Neustadt an der Waldnaab
08.05.2019 - 14:38 Uhr

Kreisräte uneinig über Billig-Buskarte

SPD und ÖDP hätten es am liebsten gleich, die CSU will noch abwarten: Trotzdem rückt die Entscheidung über ein ÖPNV-Sozialticket im Landkreis näher. Zur Umsetzung muss sich die Verwaltung den Kopf zermartern. Viel Zeit hat sie nicht.

Der Bus von Weiden nach Flossenbürg macht auch in Altenstadt Halt. Nach Ansicht vieler Kreisräte kostet die Fahrt für Sozialschwache aber zu viel. Auf einen Zuschuss zu vergünstigten Tickets können sie sich die Parteien vorerst aber nicht einigen. Bild: Gabi Schönberger
Der Bus von Weiden nach Flossenbürg macht auch in Altenstadt Halt. Nach Ansicht vieler Kreisräte kostet die Fahrt für Sozialschwache aber zu viel. Auf einen Zuschuss zu vergünstigten Tickets können sie sich die Parteien vorerst aber nicht einigen.

Sozialdemokraten und Jusos fordern seit langem vergünstigte Bus- und Bahntarife für Bürger mit schmalem Geldbeutel. Erst Anfang des Jahres hatte die SPD dazu einen Antrag in den Kreistag eingebracht. Von dort wurde er in den zuständigen Sozialausschuss verwiesen. Doch auch der war sich am Dienstag nicht einig.

Die zuständige Sachgebietsleiterin am Landratsamt, Andrea Höning, skizzierte die Ausgangslage. Die ist verzwickt: Der Landkreis ist Mitglied der Nahverkehrsgemeinschaft Weiden-Neustadt und an das dort geltende Tarifsystem Oberpfalz-Nord, kurz "TON", gebunden. Die beauftragten Busunternehmer sowie die Bahn fahren auf eigene Rechnung. Sie haben die Tarifhoheit und winken beim Sozialticket auf ihre Kosten ab.

Die Regierung der Oberpfalz zahlt ebenfalls nichts. Ein Sozialticket wäre also eine freiwillige Leistung des Landkreises. Tirschenreuth und Amberg-Sulzbach haben aus diesem Grund bereits abgewunken. Der Landkreis Schwandorf hat ein Sondermodell, den "SAD-Pass". Er sieht zahlreiche Ermäßigungen vor, von günstigeren Volkshochschulkursen bis zur kostenlosen Ausleihe in Büchereien. Und eben Gutscheine für Einzelfahrten zum halben Preis, etwa für Sozialhilfeempfänger. Diese Bus-Rabatte allein kalkuliert das Landratsamt Schwandorf mit 70 000 bis 80 000 Euro jährlich.

Wer kommt infrage?

Was es in Neustadt kosten würde, steht noch nicht fest. Dazu müsste die Politik erst den Benutzerkreis festlegen. Rechnet man Behinderte, Menschen mit Grundsicherung, Asylbewerber und Hartz-IV-Empfänger zusammen, kommt man laut Höning auf rund 3500 Personen.

Doch damit türmen sich einige Fragen auf: Was tun mit der Bahn? Sie bleibt beim Sozialticket außen vor, weil es zu teuer käme, sie einzubeziehen. Manche Gemeinde, etwa Weiherhammer, sind aber nur per Bahn an den ÖPNV angeschlossen. Später soll das Baxi dazukommen. Wie geht man mit den Landkreisgrenzen um? Viele Bürger aus dem Landkreis-Westen zieht es zu Einkauf und Arbeit Richtung Bayreuth. Wer stemmt und bezahlt den Verwaltungsaufwand? So bräuchte es personifizierte Berechtigungskarten, um Missbrauch zu vermeiden. Der "SAD-Pass" wird von der dortigen Koordinierten Kinderschutzstelle (KoKi) betreut. Sie besteht aus drei Kräften, in Neustadt sind es zwei. Überdies gibt es auch in Neustadt bereits etliche Billig-Tickets. Kinder und Senioren sparen 40 Prozent, ein Zehner-Block kommt 25 Prozent günstiger.

SPD und ÖDP - Klaus Bergmann von der Grünen fehlte entschuldigt - wollten den Beschluss für die Einführung gleich fällen. Die CSU war dagegen. Stellvertretender Landrat Albert Nickl baute schließlich die Kompromissbrücke. Der Sozialausschuss sei ein beratendes Gremium, aber der Kreisausschuss habe Entscheidungsgewalt. Daher wäre eine Abstimmung in diesem Gremium, das sich am 6. Juni trifft, sinnvoll. Bis dahin könnten sich die Fraktionen beraten. Damit konnte sich auch die SPD anfreunden.

Kreisausschuss am Zug

Im Haushalt des Jahres 2019 sind für den ÖPNV 386 664 Euro eingestellt. Das Sozialticket wird laut Landratsamt wohl kein Fall für einen Nachtragsetat. " Ein Sozialticket wäre auch eine Sozialleistung, da muss geklärt werden, aus welchem Topf es finanziert würde", erklärt Pressesprecherin Claudia Prößl.

Für Andrea Höning und ihre Kollegen aus der Kreisverwaltung wird es dadurch nicht einfacher. Sie sollen nun bis zur Sitzungsladung am 25. Mai einen Beschlussvorschlag finden, dem möglichst alle folgen.

Die Diskussion:

"Da steckt der Teufel im Detail", ahnt stellvertretender Landrat Albert Nickl, wie schwer eine Entscheidung fällt. Dominik Brütting (SPD) begründet die Haltung seiner Partei pro Sozialticket. "Ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger hat 34 Euro monatlich für Mobilität zur Verfügung. Eine einzige Fahrt von Eslarn nach Vohenstrauß kostet aber schon 5,40 Euro." Mit Rabatten könnte der ÖPNV neue Nutzer gewinnen, meint der Kirchenthumbacher. Barbara Kindl unterstützt den Antrag im Namen der ÖDP.

Die CSU ist weniger euphorisch. Andrea Lang warnt vor Schnellschüssen und fordert vor dem Sozialticket ein Gesamtkonzept für den Nahverkehr. "Warten wir weitere Erfahrungen ab. Wir wissen noch nicht, wie sich die Baxi-Einführung auswirken wird und was das 365-Euro-Ticket der Staatsregierung bringt." Nickl setzt ebenfalls große Hoffnungen in das Baxi: "Damit soll ein großer ÖPNV-Wurf gelingen, auch für die, die kein Auto haben." Zudem habe Ministerpräsident Markus Söder große Investitionen in den Nahverkehr auf dem Land angekündigt. "Gut und schön, aber warum nicht auch ein Gutscheinsystem nach Schwandorfer Vorbild?", hielt Peter Lehr (SPD) dagegen. "Und auch das Baxi bleibt genauso teuer für die Leute", ergänzte Barbara Kindl. Brütting drängt auf eine schnelle Entscheidung. "Das 365-Euro-Ticket soll bis 2030 kommen. So lange sollten wir nicht warten. Wir sollten nicht immer auf die Staatsregierung warten. Da muss ich mit nur die Digitalisierung anschauen."

Dominik Baschnagel (CSU) sieht keinen akuten Handlungsbedarf. "Mich interessiert erst einmal, wie die bisherigen Vergünstigungen schon genutzt werden." Uli Münchmeier (CSU) möchte in diesem Zusammenhang auch wissen, ob die Verwaltung dazu zusätzliches Personal bräuchte.

Kommentar:

Die Probefahrt wagen

Mal ganz unabhängig von Verbindungen, Fahrzeiten und Takten: Ärmere bekämen mit dem Angebot eines Sozialtickets wirklich einen Anreiz für mehr Mobilität. Das dürfte im Landkreis mit seiner niedrigen Arbeitslosenquote vor allem Rentnerinnen mit Grundsicherung und ohne Führerschein zugute kommen. Abgesehen davon würden auch einige andere Personengruppen profitieren.
Die Frage bleibt allerdings, ob der Wunsch nach Billig-Busfahrten wirklich so ausgeprägt ist. Es ist gerade einmal ein Jahr her, dass der Landkreis und die Regionalbus Ostbayern bei einer Fragebogenaktion ermittelt haben, was sich die Bürger von einem besseren ÖPNV wünschen. Die Rücklaufquote war mit sieben Prozent gelinde gesagt mau.
Trotz aller berechtigter Bedenken vonseiten der CSU und vor allem aus der Verwaltung, könnte das Sozialticket einen Versuch wert sein. Als Sicherungsmechanismus könnte eine zeitliche Begrenzung dienen. Etwa nach dem Muster: Nehmen aus dem Kreis der Berechtigten nach einem Jahr weniger als 50 Prozent das Angebot wahr, lohnt sich der Aufwand nicht und es wird eingestellt.
Bei den derzeitigen Steuereinnahmen könnte der Landkreis das stemmen. Die Hoffnung bleibt jedoch, dass er im Gegenzug entlastet wird, wenn der Freistaat kräftig in den Nahverkehr auf dem Land investiert, wie von Ministerpräsident Markus Söder angekündigt.

Von Friedrich Peterhans

 
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