Zwei Brüder machen es vor: Die Ärzte Alexander und Christian Ried hatten längst einen Platz in der Oberviechtacher Gemeinschaftspraxis mit Vater Adolf Ried gefunden, als ein unerwartetes Angebot auftauchte. Im acht Kilometer entfernten Winklarn hatte Allgemeinmediziner Paul Gierlach die Hoffnung auf einen Nachfolger fast aufgegeben. Sein Arzt-Sitz sei zu haben, informierte er die Kollegen. Die haben den Schritt zu einer "Filiale" gewagt – und es bislang nicht bereut. In der Nachbargemeinde Dieterskirchen hofft man aktuell auf eine ähnliche Lösung.
Am 1. Juli sind es genau zwei Jahre her, dass der nahtlose Übergang an die Familienpraxis Ried erfolgt ist, und die erste Bilanz klingt durchaus positiv. "So eine Filiale ist ja eigentlich nichts Neues", sagt Dr. Alexander Ried. Solche Modelle habe es schon im Landkreissüden und auch im Nachbarlandkreis gegeben. "Aber diese Praxen werden in der Regel so nach zwei Jahren wieder geschlossen", schränkt er ein. Der Grund: Es sei ein "Draufzahlgeschäft", weil zweimal die komplette Infrastruktur bereitzuhalten ist. Am Ende würden sich viele wieder auf den Hauptsitz zurückziehen, vielleicht mit ein paar Patienten mehr im Gepäck.
Sofort investiert
"Wir haben entschieden einen anderen Weg zu gehen und gleich in ein neues Ultraschallgerät investiert", berichtet der Mediziner. Damals habe man damit gerechnet, dass nach dem Übergang vielleicht 50 Prozent der Patienten bei den Neuen in Winklarn bleiben. Die Neuen, das sind Alexander und Christian Ried. Wer gerade wo Sprechstunde hält, hängt nicht von Vorlieben ab, sondern davon, wer Notarztdienst hat. Wie sich jetzt herausgestellt hat, haben aber 80 bis 90 Prozent der Patienten der Adresse in Winklarn unter neuer Führung die Treue gehalten. "Manchmal fahren sogar Oberviechtacher nach Winklarn", berichtet Alexander Ried. Gerade ältere Menschen würden es sehr schätzen, einen Arzt vor der Haustür zu haben, so der 41-Jährige: "Die Patienten honorieren das." "Es funktioniert – ich denke die meisten sind zufrieden", bestätigt sein zwei Jahre jüngerer Bruder Christian.
Doch wie schafft man es, dass sich die Arbeit bei doppelter Infrastruktur auch lohnt? "Mit kürzerer Zeit für die gleichen Patientenströme", stellt der 41-Jährige klar. Für eine Plauderei zwischendurch ist da kaum Zeit. Aber es gibt noch mehr Gründe, warum das System mit den zwei Standorten funktioniert. Die Arbeit am PC sei die gleiche, egal an welchem Standort. "Wir haben inzwischen gelernt, wie das funktioniert", sagt Ried. Dass der fliegende Wechsel in Winklarn so gut geklappt hat, liege aber auch an den Voraussetzungen bei der Übergabe. "Die Praxis ist bis zum Schluss gut gelaufen", sagt er und vergleicht sie mit einem "fahrenden Auto in gutem Zustand". Man habe sich da Patienten nicht erst zurückholen müssen. "Außerdem mussten wir hier nicht mit einer neuen Truppe anrücken, das ist auch ein Erfolgsgeheimnis" verrät er und lobt dabei das Team, das er in Winklarn mit übernommen hat.
Familiensache
Im Zweier- oder Dreier Team sei die Work-Life-Balance auch ganz in Ordnung, fügt Alexander Ried hinzu. Überhaupt ist auch die Familie dabei für ihn ein Faktor. "Bei uns klappt das, weil sich keiner vor Arbeit drückt", meint er, "keiner ruht sich auf dem Rücken des anderen aus". Da gebe es auch keinen Streit um die Verteilung der Einnahmen. Ganz bewusst habe man sich gegen ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) entschieden und die "Familienpraxis" gewählt, erklärt er. Auch wenn ein MVZ Vorteile hätte wie weniger Stress, keine Verwaltung und kaum Verantwortung für Regresse. "Bei uns ist die Arbeitszeit halt länger als 40 Stunden", räumt der Oberviechtacher mit einem Schulterzucken ein.
Steckt also auch eine Spur Idealismus hinter dieser Entscheidung? "Das habe ich heute meine Frau auch gefragt", gesteht der Arzt. Er würde das lieber unter dem Begriff "berufsethische Einstellung" sehen: "Wir sind hier, weil wir hier die Versorgung gewährleisten wollen, deshalb machen wir auch Notarztdienst und sind täglich von 8 bis 18 Uhr erreichbar". Und deshalb steht für ihn jetzt schon fest, dass die Praxis in Winklarn auch dann offen gehalten wird, wenn sein Vater nun mit 70 Jahren ausscheidet. Im Gegenteil: "Wenn sich ein neuer Arzt zur Verstärkung findet, dann könnten wir die Sprechzeiten sogar noch ausbauen." Letztlich sei es ja auch nicht verkehrt, dass gleich zwei Ärzte sich mit ein und derselben Krankengeschichte auskennen: "Im Zweifel ist es immer gut, wenn noch jemand einen Blick darauf wirft."
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