Pertolzhofen bei Niedermurach
06.09.2024 - 13:48 Uhr

Kunst vor dem Kindergarten in Pertolzhofen: Was macht der Opa mit dem Stein?

So viel Publikum gibt es bei der Entstehung eines Kunstwerks selten. In Pertolzhofen können kleine Kunstinteressierte einem Bildhauer über die Schulter schauen. Sein Werk entsteht nicht im Atelier, sondern direkt vor dem Kindergarten.

Wer durch Pertolzhofen schlendert, hört ihn schon aus der Ferne: Da klopft einer. "Man hört ihn schon, den Specht", scherzt der örtliche Kunstvereinsvorsitzender Heiko Herrmann. Das Geräusch kommt aus Richtung Kindergarten, und es ist kein Vogel, der hier für Lärm sorgt. Mit Kopftuch, Maske und Schutzbrille ist Martin Schneider mit Hammer und Meißel dabei, aus hartem Granitgestein ein Kunstwerk herauszuarbeiten, das Teil der Skulpturenwegs in Pertolzhofen werden soll. Den Atemschutz trägt er wegen des feinen Quarzstaubs, der dabei entsteht. "Der Staub, den man nicht sieht, ist der gefährlichste", weiß der Fachmann.

Der Bildhauer ist im Dorf kein Unbekannter. Nicht wenige haben ihn in den vergangenen Jahren bei den Pertolzhofener Kunstdingertagen angetroffen, einem 14-tägigen Symposium mit einem halben Dutzend kreativer Köpfe. Auch in diesem Jahr sollte er zu den Gästen für die von 29. Juni bis 6. Juli geplante Veranstaltung gehören, die üblicherweise mit einem großen Fest und einer Ausstellung endet. Heuer musste die 27. Veranstaltung dieser Art in Pertolzhofen allerdings wegen einer Erkrankung des Gastgebers abgesagt werden. Mit dem großen Stein vor dem "Haus für Kinder" rückt die Kunst nun zumindest wieder ein klein wenig in den Fokus der Öffentlichkeit. Und vor allem die Kleinsten im Ort bekommen schon mal einen Eindruck davon, was ein Bildhauer leistet.

Action statt Endprodukt

"Was macht der Opa mit dem Stein?", lautete eine Frage, die Eltern und Personal im "Haus für Kinder" St. Martin in diesen Tagen häufig beantworten mussten. Vor allem die Feriengruppe konnte täglich die Fortschritte verfolgen, wenn Martin Schneider schon morgens mit seinem Schubkarren und der ledernen Aktentasche mit den Werkzeugen anrückte. "Die Kinder sehen ja normalerweise nur die Endprodukte", erzählt Kinderpflegerin Theresa Reitinger. "Wann hat man schon mal die Chance, einem Künstler bei der Arbeit zuzusehen? Das ist auch für uns selber interessant."

Um so recht mit der abstrakten Form etwas anfangen zu können, sind die Besucher des Kindergartens freilich noch zu klein. "Aber bei meiner Arbeit hier bekomme ich ganz viel Lob von den Kindern, weil ich so fleißig bin", freut sich der "Opa". "Das sind jetzt die "Kunstdingertage in Kleinstform", erläutert Heiko Herrmann, dessen Atelier mit dem großen Garten und zahlreichen Spuren der Künstlertreffen nur ein paar Häuser weiter liegt. "Granit ist schon ein hartes Material, so hart wie die Oberpfalz", kommentiert er die Mühen seines Kollegen.

Morgens ist noch Schatten am Eingang zum Kindergarten, aber nachmittags brennt die Sonne auf den Arbeitsplatz des Künstlers, der auch der endgültige Standort des Kunstwerks sein wird. Der große Stein stammt aus der Umgebung von Pertolzhofen. Bürgermeister Martin Prey hatte den Kontakt zu dem Besitzer des Steinbruchs vermittelt, berichtet Herrmann. Auf Einladung des Kunstvereins Pertolzhofen sollte Schneider gleich vor Ort dann das "einheimische" Material bearbeiten, zwei Wochen waren dafür eingeplant.

Nicht ohne Hintergedanken an eben diesem Standort. "Kleine Kinder sind schließlich unsere Zukunft", sagt der Kunstvereinsvorsitzende. "Auch die Eltern sind sehr freundlich, respektvoll und gespannt, was das wird", berichtet der Bildhauer in einer Arbeitspause. "Die Zeiten, wo so etwas als Schmarrn bezeichnet wurde, sind vorbei", bestätigt sein Künstlerkollege, der sich noch gut an seine ganz frühe Zeit im Dorf erinnert, als die moderne Kunst für viele Neuland war und er den Tipp bekam, statt "Gschmier" doch lieber Hirsche zu malen, die würden sich besser verkaufen lassen.

Lieber einen Hirsch malen?

Aus dem harten Granit wird auch diesmal kein Hirsch entstehen. Stattdessen will der Bildhauer vorhandene Stärken des großen Brockens herausarbeiten, in dessen Grau er viele schöne Farben sieht. Die roten Markierung sind da nicht gemeint, die stammen von den Arbeitern im Steinbruch, ebenso das große Bohrloch in der Mitte. Trotz der groben Werkzeuge wirkt es wie feines Herantasten, wie Schneider hier mit Meißeln in unterschiedlicher Größe und Qualität mal hier, mal da Splitter für Splitter zur Skulptur vordringt.

"Die Steinskulptur ist eigentlich die älteste Form der Geschichte, in meinen Augen auch die risikoreichste", erklärt Herrmann, "Formen finden heißt in diesem Fall wegschlagen, und was weg ist, ist keine Form mehr". Als Maler habe man es da leichter mit der Kunst: "Wenn mir ein Kopf nicht gefällt, dann kann ich den ganz einfach übermalen", verdeutlicht er. Für den Bildhauer dagegen ist Vorsicht geboten auf der Suche nach der Vielfalt im Stein. "Man zieht das dann immer näher zusammen", versucht Schneider seinen Weg zu einem endgültigen Werk zu erklären.

Zwischendurch ist Zeit für eine Pause. Dann wird die Schubkarre unter dem großen Baum umgedreht und zum Liegestuhl. Wenn die Kleinen im Kindergarten ihren Mittagsschlaf machen, ist auch der Bildhauer froh, den Meißel abzulegen und den Bohrer ruhen zu lassen. Abends im Atelier von Gastgeber Herrmann wird er die Meißel in den verschiedensten Größen und die japanischen, mit Messing ummantelten Fabrikate noch einmal zur Hand nehmen, um sie nachzuschleifen.

Sechs bis acht Stunden harter Arbeit liegen an so einem Tag dann hinter dem 1952 in Wolnzach geborenen Künstler, der seine Laufbahn mit einer Modellbauerlehre begann, bevor er an der Akademie der bildenden Künste in München studierte. Wer sein Werk kennt, wird erahnen, dass der grobe Stein bald erstaunlich sanfte Rundungen aufweisen wird, spätestens am Dienstag soll er fertig sein Bis dahin werkelt der Künstler im Pertolzhofener Kindergarten meist noch weiter, wenn die Schatten länger werden und die Kleinen längst abgeholt sind. Sie haben dann auch eine Ahnung davon bekommen, das Kunst mit harter Arbeit verbunden sein kann.

Hintergrund:

Ausstellung und Skulpturen

  • Ausstellung: Werke von Martin Schneider und der weiteren, ursprünglich für die 27. Pertolzhofener Kunstdingertage geplanten Teilnehmer Michele Bernardi (Wolkenstein),
    Esther Rutenfranz (Münster) und Heiko Herrmann (Pertolzhofen/München) sind in der "Kunsthalle Pertolzhofen" (Container am Bayerisch-Böhmischen Freundschaftsweg) zu sehen; Titel: "Für den Fisch ist der See eine Insel"; Eröffnung am Samstag, 28. September, gegen 16.30 Uhr.
  • Skulpturenweg: mit dem "Neuzugang" von Martin Schneider inzwischen fünf Skulpturen in und um Pertolzhofen: "Trag mich ein Stück" und "Nepo-Muk" (Eisenskulpturen von Heiko Herrmann), "Kopf" (Harald Björnsgard) und Holzskulptur (Katja von Lübtow); öffentliche Vorstellung der neuen Skulptur am 28. September um 16 Uhr
  • Feier: Umtrunk mit Wein, Bier und Brot im Anschluss an Ausstellungseröffnung und Skulpturenvorstellung im Garten des Zehentstadels (Atelier Heiko Herrmann)
 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.