Wie moderne Kunst ein ganzes Dorf prägt: Pertolzhofen und ein mutiger Gastgeber

Pertolzhofen bei Niedermurach
22.07.2022 - 10:43 Uhr

Verführerisch glänzt das Eichenholz im Sonnenlicht, massive Kerben laden zum Anfassen ein. Pünktlich zu den Kunstdingertagen ist Pertolzhofen um eine Skulptur reicher.

Wer nach Pertolzhofen abbiegt, kommt gleich wenige Meter nach dem Ortsschild an der neuen Skulptur vorbei. Sie ist zusammen mit Katja von Löbtow zu den Pertolzhofener Kunstdingertagen eigetroffen. Die Künstlerin ist neu hier, auf dem Land, in dem kleinen Ort, der einmal im Jahr zu Mekka der Kunstinteressierten aus der ganzen Oberpfalz wird. Es ist die 26. Veranstaltung dieser Art, und längst hat die moderne Kunst hier eine Menge Spuren hinterlassen.

Als Keimzelle fungierte vor über 30 Jahren ein Zehentstadel. Der Münchener Künstler Heiko Herrmann hat ihn zum Atelier umgebaut. Mit viel Platz und einem großen Garten lockt er seither unermüdlich jede Menge Künstlerkollegen aus den Großstädten aufs Land. Zwei Jahre musste das jährliche Treffen allerdings wegen Corona ausfallen, jetzt hat sich wieder eine Tür geöffnet für den Austausch. Neben von Lübow sind auch Annette Reichardt und Stewens Ragone dabei, erproben mit dem Hausherrn neue Techniken und diskutieren im Team ästhetische Fragen.

"Schmerzhaftes" Geschenk

"Allein schon das Soziale hat gefehlt während der Pandemie", seufzt Ragone, der sich immerhin mit seiner Frau Annette professionell austauschen konnte. Zwar sei das "unabgelenkte Arbeiten" im Lockdown ein echtes Geschenk gewesen, aber der Verzicht auf Kontakte habe doch sehr geschmerzt. "Ich bin aus lauter Verzweiflung zu Instagram gegangen," räumt er ein.

"Für mich geht jetzt gerade ein Raum auf", gesteht Katja von Lübtow. Früher lag ihr Schwerpunkt auf dem Dreidimensionalen, jetzt bringt sie auf Zeichnungen eher ihr "inneres Empfinden" zu Papier und hat eine Ausbildung als Kunsttherapeutin gemacht. "Um Raum" titelt aber auch die neue Skulptur, die sie am Vortag aus Eichenholz "gesteckt und gedübelt" hat. Wie in einem ausgeklügelten System sind die grob bearbeiteten Holzteile miteinander verbunden. Eine Öl-Wachs-Wetterlasur schützt die Konstruktion vor Sonne und Regen. "Die Skulptur wird aber sicher einen gewissen Prozess mitmachen", gibt die Schöpferin mit Blick auf den Standort im Freien zu bedenken und fährt ein letztes Mal mit dem Pinsel über die Balken.

Es ist die vierte Skulptur, die der Kunstverein Pertolzhofen mit Vorsitzendem Heiko Herrmann dem Ort gestiftet hat, zwei hat er selbst kreiert eine weitere aus Eisen stammt von Bildhauer Harald Björnsgard. Ursprünglich war ein Skulpturenpfad parallel zum Freundschaftsweg angedacht, inzwischen hat man sich eher auf Pertolzhofen konzentriert und peilt ein Skulpturenfeld an. Für den Sockel aus Beton gab es Unterstützung aus dem Ort, und auch in diesem Jahr ist die örtliche Blaskapelle Teil eines Umzugs beim Kunstdinger-Finale am Samstag, 23. Juli, bei dem die abstrakte Kunst zwischen Kirche und Scheune in den Fokus rückt.

Eine Station ist dabei auch der Kunst-Container am Bayerisch-böhmischen Freundschaftsweg, der nicht ohne eine Prise Ironie "Kunsthalle" heißt. Kurator Heiko Herrmann hat dort eine Ausstellung mit Trinkgefäßen zusammengestellt, vom Nymphenburger Porzellan bis hin zum Pappbecher. "Ohne Gestaltung ist die Welt nicht funktionsfähig, auch eine Schiffsschraube ist gestaltete Kultur", sagt der Fachmann. "Ohne diesen Drang des Gestaltens würden wir heute noch aus der hohlen Hand trinken", gibt er mit Blick auf eine schier unerschöpfliche Vielfalt zu bedenken.

Durstig nach Kontakten

Durstig nach Kontakten sind sie eigentlich alle, die Kunstschaffenden. Ragone vergleicht so ein Treffen mit einem "Diamant, einem Edelstein" und schwärmt vom Miteinander, wenn jeder mal kocht oder abwäscht. Für Katja von Lübtow ist es schlicht "ein Geschenk". Wertvoll sei das, selbst wenn es nur um Abwechslung geht, "aber meistens kommt auch die Inspiration", gibt Ragone zu bedenken.

Am Ende geht es aber auch ums Feedback. Das sollte am Samstag, 23. Juli beim großen Abschlussfest rund um den Zehenstadel in der Dorfstraße 19 a ab 16 Uhr nicht zu kurz kommen, wenn neben der Schau im Container das komplette Atelier samt Garten zur Ausstellungsfläche wird. "Bilder wollen besprochen werden", sagt Annette Reichardt. Gastgeber Heiko Herrmann setzt noch eins drauf, indem er einen Künstlerkollegen zitiert, der mal gesagt hat: "Ihr könnt alles machen mit meinen Bildern, aber dreht sie nicht zur Wand." Kann höchstens sein, dass die Kunst ein wenig "an die Wand gespielt wird" von einer Truppe, die in der Kunst auf Action statt auf Bilder setzt: Fürs Finale werden nämlich die "Poppets" erwartet, ein Puppen-Trash-Theater unter Regie von Albert Beedi und Marcus Stiefach.

Hintergrund:

Moderne Kunst in Pertolzhofen

  • "Kunstdingertage": ursprünglich auf 14 Tage angelegtes Symposium von Künstlern, erstmals 1993
  • "Kunsthalle": Container am Bayerisch-böhmischen Freundschaftsweg für Ausstellungen (aktuell über Trinkgefäße), über Fenster rund um die Uhr einsehbar
  • Skulpturenfeld: Planung seit 2017; 2019 am Dorfplatz "Trag mich ein Stück" von Heiko Herrmann, 2021 ebenfalls von Herrmann "Nepomuk" und "Kopf" von Harald Björnsgard am Freundschaftsweg, 2022 "Um Raum" am Ortseingang von Katja von Lübtow,
  • Kunstverein: gegründet im Juni 2004 mit dem Ziel, diverse Kunstprojekte zu unterstützen
  • Fest: jeweils zum Finale der Kunstdingertage, in diesem Jahr am Samstag, 23. Juli, 16 Uhr mit Puppen-Trash-Theater, der örtlichen Blaskapelle, "Olli und die Blinden" und Ausstellungseröffnung
 
 

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