So erlebte Klimaaktivistin Ronja Künkler zwei Wochen in der JVA Stadelheim

Regensburg
19.09.2023 - 17:00 Uhr
OnetzPlus

Vierzehn Tage in Stadelheim: Im Interview spricht Ronja Künkler (24), aufgewachsen in Rothenstadt bei Weiden, über ihre Zeit hinter Gittern und die Proteste der "Letzten Generation".

ONETZ: Sie sind nach Protesten mit der "Letzten Generation" und zwei Wochen Präventivhaft in der JVA Stadelheim in München nun seit ein paar Tagen wieder auf freiem Fuß. Wie geht es Ihnen?

Die Proteste waren anstrengend. Ich war teils zweimal am Tag auf der Straße. Die Haft war dann zwar eine körperliche Pause, aber eine psychische Herausforderung. Jetzt sortiere ich gerade viele Dinge, die liegengeblieben sind – und treffe mich mit Freunden.

ONETZ: Wie kam es dazu, dass Sie präventiv in Gewahrsam genommen wurden?

Ich war ab Mitte August bei Protestmärschen und Straßenblockaden in Nürnberg, Regensburg und München dabei, um dagegen zu protestieren, dass die Bundesregierung uns sehenden Auges in die Klimakatastrophe fährt. Nach einer Demo in München wurde ich dann einer Haftrichterin vorgeführt – das ging alles ganz schnell. Beantragt wurde Haft bis 12. September, eine Richterin hat das abgenickt. Nach einer Nacht in einer Polizeiinspektion wurde ich dann in die JVA gebracht.

ONETZ: Präventivhaft ist ja nicht als Bestrafung gedacht. Hat es sich trotzdem so angefühlt?

Ja. Auch wenn die Freiheitseinschränkung nicht repressiv gedacht ist, fühlt es sich am Ende gleich an, wenn immer Gitter vor den Fenstern sind und die Tür sich nur ein paarmal am Tag öffnet. Aber ich finde es traurig, zu sehen, dass das der Weg ist, wie der Staat mit uns umgehen will: Wir sind ein warnender Feueralarm, und nur, weil man den Feueralarm ausschaltet, heißt das ja nicht, dass es nicht mehr brennt. Von Beginn an war uns Aktivisten und Aktivistinnen klar: Wir können in Bayern präventiv in Gewahrsam genommen werden. Vergangenes Jahr waren einige von uns sogar über die Weihnachtstage in Haft. Mir ist aber immer noch unklar, nach welchen Kriterien vorgegangen wurde – ich kenne Aktivisten, die bei denselben Blockaden dabei waren, aber nicht in Präventivhaft mussten.

ONETZ: Wie kann man sich Ihren Alltag in der JVA vorstellen?

Wir waren zu fünft in einer Zelle, die eigentlich für vier Frauen gedacht war – ein Bett wurde noch dazugestellt. Das war schon ein bisschen eng, aber wir haben uns ganz gut arrangiert – obwohl wir 22 Stunden pro Tag zusammen verbracht haben. In München waren wir zehn Frauen von der "Letzten Generation" – und wir waren separat untergebracht, hatten also nur untereinander Kontakt. Der Tag begann immer sehr früh um 6:15 mit wecken und Hofgang. Vormittags dann noch mal eine Stunde Aufschluss. Um 11 Uhr gab es Mittagessen, um 14 Uhr haben wir Abendessen und das Frühstück für den kommenden Tag bekommen.

ONETZ: Wie haben Sie die Zeit rumbekommen? Und: Was gab es zu Essen?

Die meisten von uns ernähren sich vegan – dafür war das Essen erstaunlich okay. Mal besser, mal schlechter. Ich habe in diesen zwei Wochen sehr viel gelesen. Ich hatte beim Protest in meinem Rucksack Bücher, die ich mit reinnehmen durfte. Später konnte ich dann Bücher von einer Liste aus der JVA-Bücherei ausleihen. Ansonsten habe ich viel Tagebuch und Briefe geschrieben und an Texten gearbeitet. Ich habe viel Solidaritätspost bekommen. Viele Menschen waren empört darüber, wie es möglich ist, dass ich hinter Gittern sitze. Insgesamt habe ich recht viele Nachrichten bekommen – auch von Menschen, zu denen ich schon lange Zeit keinen Kontakt mehr hatte.

ONETZ: Wie oft haben Sie sich inzwischen an die Straße geklebt? Und wie haben die Menschen reagiert?

Ich habe bei ungefähr 30 Blockaden mitgemacht – war dabei aber auch manchmal die „Rettungsgasse“ und habe nicht geklebt. Viele Menschen reagieren erst mal wütend, das kann ich auch nachvollziehen. Wir üben deshalb vorab schon zu deeskalieren, wir versuchen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und ihnen zu erklären, weshalb wir auf der Straße sind. Ich wurde schon von der Straße geschleift – ich habe aber auch schon Schokoriegel von Passanten bekommen. Damit sich etwas verändert, müssen nicht alle Menschen uns gut finden. Es reicht, eine Mehrheit für die Ziele zu haben. Und für wirksamen Klimaschutz haben wir eine Mehrheit.

ONETZ: Im Frühjahr waren Sie bei der Kundgebung in Lützerath – danach sind Sie tiefer in die Klimaproteste eingestiegen. Was hat sich danach für Sie verändert?

Ich habe mich im Frühjahr viel damit beschäftigt, was ziviler Ungehorsam ist, und damit, dass viele Dinge – wie zum Beispiel das Frauenwahlrecht – durch eigentlich illegale Streiks erkämpft wurden. Der Sommer hat mir dann noch mal gezeigt, wie sehr die Klimakrise bereits eskaliert. Und: Indem die Bundesregierung unsere Lebensgrundlagen nicht schützt, begeht sie einen Verfassungsbruch. Das kann ich nicht mehr hinnehmen.

ONETZ: Haben Sie Angst davor, beim nächsten Protest wieder eingesperrt zu werden?

Jein. Ich rechne damit, dass es wieder passieren kann, richtige Angst habe ich eigentlich keine. Die zwei Wochen haben mir gezeigt, dass es aushaltbar ist. Vor allem, wenn ich es mit den Folgen einer eskalierenden Klimakrise vergleiche.

Rothenstadt/Weiden in der Oberpfalz03.09.2023
Hintergrund:

Was ist Präventivgewahrsam?

  • Sinn: Mit Präventivgewahrsam sollen Rechtsbrüche und Straftaten vorab verhindert werden.
  • Dauer: In Bayern sind 30 Tage Präventivhaft (mit einer Option auf Verlängerung um einen Monat) möglich – in Berlin maximal 48 Stunden.
  • Grundlage: Jede präventive Ingewahrsamnahme muss von einem Richter bestätigt werden. Sie kann angeordnet werden, wenn die Gefahr einer „erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit“ besteht, „Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ abgewehrt werden soll, eine „Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit“ oder eine Straftat verhindert werden sollen.
 
 

Kommentare

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Andreas Brummer

2 Wochen Präventivhaft ist viel zu wenig.
Wenn sich die Mitglieder dieser Gruppierung, die Vorsätzlich gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr verüben, massiv Sachbeschädigung (teils an Straßenbelägen, teils an Gebäuden u. ä.) begehen und auch Menschenleben durch blockierte RTWs billigend in Kauf nehmen, lieber einen Müllsack schnappen und 2 Stunden in Stadt, Land und Wald Müll sammeln würden, dann hätten sie Aktiv was für die Umwelt getan.
Oder sie verlegen ihre Aktivitäten in Länder, in denen diese Art von Protest nötig ist. Denn dazu gehört Deutschland nicht.
Auch wäre es ein Anfang, wenn auch die Letzte Generation Nachhaltiger leben würde. Aufgewachsen in Saus und Braus - da fehlen einem schlicht weitere Worte.

20.09.2023
Ferdinand Schraml

Für mich sind das unverbesserliche Straftäter, die ins Gefängnis gehören. Warum da einen großen Bericht.

20.09.2023
Ferdinand Schraml

Für mich sind das unverbesserliche Straftäter, die ins Gefängnis gehören. Warum da einen großen Bericht.

20.09.2023
Reinhard Scheffler

Vielleicht, weil es manche Menschen an zum Glück - dachte ich - längst vergangene Zeiten erinnert? Man wird den Verdacht schlecht los, dass sich aber nur den Name geändert hat....

20.09.2023