Das Erste, was die Krisen-Fachkräfte von ihren Klienten hören, sind oft Schreie, Weinen. Viele sind panisch, hilflos, bekommen keine Luft. Sie rufen an, weil sie Druck und Belastung nicht mehr aushalten, wissen nicht weiter. Viele Anrufer tragen ein bestimmtes Thema zu diesem Zeitpunkt schon jahrelang mit sich herum: eine Trennung, akute Panikattacken, der Verlust von Wohnung oder Arbeitsplatz, eine schwere Krankheitsdiagnose, Suizidgedanken. Auch ausgebrannte oder verzweifelte Angehörige von suizidalen und psychisch kranken Menschen oder Drogenkonsumenten wählen die 0800/6553000. Sie landen in der Oberpfälzer Telefonzentrale des Krisendienstes in Schwandorf.
Ein Lämpchen blinkt: Leitung zwei ist jetzt belegt. In Leitung eins wartet währenddessen Lena, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, auf Anrufe. Sie trägt ein Headset, sitzt an einem Schreibtisch, vor ihr Telefon, Maus, Tastatur, zwei Bildschirme, Notizblock. Was aussieht wie ein Bürojob, ist Krisenbewältigung im Akkord: Lena ist eine von 15 Sozialpädagogen, psychiatrischen Fachpflegekräften und Psychologen, die hier in der Oberpfälzer Leitstelle des Krisendienstes Telefongespräche entgegennehmen. Alle sind speziell für telefonische Krisengespräche ausgebildet.
"Große Unaufgeregtheit"
Lenas Schicht dauert ungefähr 8 Stunden, zwischen 10 und 15 Anrufe nimmt sie in dieser Zeit entgegen. Nachts rufen deutlich weniger Menschen an – deshalb teilt sich der Oberpfälzer Krisendienst die Nachtschichten mit den Kollegen aus Ober- und Mittelfranken. Zwischen 8 und 18 Anrufe aus den drei Bezirken erreichen die Krisenzentrale in der Nacht. "Die Zahl an sich sagt aber wenig aus", sagt Krisendienst-Teamleiterin Katjenka Wild. "Manche Gespräche dauern 30 Minuten, andere 3 Stunden." Für ihren Job benötigen Lena und ihre Kolleginnen und Kollegen viel Berufserfahrung und Flexibilität.
Sie sind da, hören zu und stellen Fragen. Schon das hilft oft, um die Gedanken zu sortieren. Die Krisenmanager hören als unbeteiligte Dritte von einer Situation. "Für viele Menschen ist es einfacher, ihre Belastung mit jemandem zu teilen, den sie nicht kennen: Sie enttäuschen oder verletzen dann niemanden", sagt Wild. Am Krisentelefon würde auch da noch zugehört, wo Betroffene in der Gesellschaft oft auf Tabus und Widerstände treffen. Zum Beispiel, wenn es um Suizid geht. "Menschen, die Suizidgedanken aussprechen, hören oft nur, sie sollen sich zusammenreißen. Bei uns darf jeder seine Bedenken und Gedanken formulieren", sagt die Teamleiterin. Niemand müsse in diesen Telefongesprächen mehr so tun, als würde er alleine mit allem fertigwerden. "Viele haben im Alltag andere Erfahrungen gemacht: Dass auf die Frage ‚Wie geht es dir?‘ kaum jemand eine ehrliche Antwort hören will, ist ein gesellschaftliches Problem." Wenn sie den Hörer abheben, rauschen sie in ein Gespräch mit jemandem, den sie gar nicht kennen – und sind für einen Unbekannten der Fels in der Brandung, strahlen Ruhe aus. "Das hat sehr viel mit Haltung zu tun: Wir gehen mit großer Unaufgeregtheit in die Gespräche."
Nummer für seelische Krisen
Eine gewisse Unaufgeregtheit und Ruhe strahlen schon die Räume des Oberpfälzer Krisendienstes aus: Sie werden von Licht durchflutet, eine Couch lädt zum Verweilen ein. An der Wand eine Karte der Oberpfalz, auf der die Standorte der 35 mobilen Krisenteams markiert sind. Der ganze Bezirk ist zwischen 9 und 21 Uhr per Rufbereitschaft abgedeckt. Wenn eine Situation zu eskalieren droht, können sich Anrufer auch für Unterstützung vor Ort entscheiden. Während es in Cham und dem Raum Regensburg viele Teams gibt, kleben um Neumarkt, Weiden, Amberg und Tirschenreuth weniger bunte Zettel. In alle Richtungen zeigen Pfeile mit Kilometerangaben: Ein Krisenteam soll immer spätestens nach einer Stunde vor Ort sein können.
"Wir sehen uns als Notrufnummer für seelische Krisen," sagt Jens Scheffel, Geschäftsführer des Krisendienstes Oberpfalz. Die Nummer schließe eine Lücke. Sie sei ein kleines Puzzlestück in der Landschaft der psychosozialen Versorgung. Um diese Versorgung ist es ja, gerade am Land, nicht immer gut bestellt. Er wünscht sich, dass sich die Nummer so etabliert wie die 112.
Aber was ist eigentlich eine Krise? Katjenka Wild erklärt: Was jemand als Krise erlebt, sei ganz individuell. Das Gefühl von Hilflosigkeit und Überforderung dominiert dann den Alltag. "Man weiß einfach nicht weiter." Nicht jede Krise könne auch am Telefon gelöst werden, ergänzt sie. "Aber mit jemandem über die Situation zu sprechen, entlastet schon." Dazu vermittelt das Team mögliche Anlaufstellen, und es wird zusammen überlegt, wie Betroffene künftig mit Belastung umgehen können.
Der Krisendienst Oberpfalz
- Die Nummer: 0800/6553000.
- Erreichbarkeit: Der Krisendienst Oberpfalz gehört zu den Krisendiensten Bayern, seit einem Jahr ist die Nummer 24 Stunden am Tag erreichbar.
- Anonymität: Zwar wird jedes Gespräch intern dokumentiert, aber die Mitarbeitenden haben Schweigepflicht, und die Anonymität der Anrufer kann auf Wunsch komplett gewahrt werden.
- Einsätze: Seit März 2021 hat das Team rund 7000 Anrufe entgegengenommen, 2021 gab es 38 mobile Einsätze. 2022 bisher 20.
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