"Es hat sich herausgestellt, dass die Kinder gesund waren." Dieser Satz einer Schulärztin aus dem Landkreis Meiningen (Thüringen) war ein erster Paukenschlag im Prozess gegen ein Mediziner-Ehepaar aus dem südlichen Landkreis Schwandorf, das sich wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse vor dem Amtsgericht Schwandorf verantworten muss. Die erfahrene Kinderärztin erläuterte dem Erweiterten Schöffengericht unter Vorsitz von Silvia Schatz am zweiten Verhandlungstag, warum sie bei der Vorlage von Attesten stutzig wurde, die Kindern eine Impfunfähigkeit bescheinigen sollten. Ausgestellt waren die Atteste in der Praxis des Ärztepaars.
Warum fahren Eltern mit ihrem Kind 300 Kilometer aus Thüringen zu einer Privatarztpraxis in den Landkreis Schwandorf, um ihr Kind auf Impffähigkeit untersuchen zu lassen? Vor allem, wenn die Kinder bis dahin immer bei Ärzten in ihrer Heimatregion untersucht wurden? Die Frage stellte sich der Medizinerin aus Meiningen, die auch fachliche Zweifel an den Attesten hatte: Eine lebenslange Befreiung von allen Arten von Impfungen, weil es Kontraindikationen gebe: Das sei "sehr, sehr, sehr selten", eine absolute Rarität. "Das hat mich hellhörig gemacht", sagte die Medizinerin, die einige der Kinder, für die später Impf-Atteste kamen, von Schuluntersuchungen her kennt. Sie und eine Kollegin hätten einen Teil der Kinder nach den Attesten erneut untersucht. Ergebnis: Keine Spur von Kontraindikation gegen Impfungen. Letztlich resultierte darauf eine der Anzeigen gegen das Schwandorfer Ärztepaar.
Die Masern-Impfpflicht war zum 1. März 2020 eingeführt worden. Schulen und Kindergärten überprüften für "Neuzugänge", ob diese erfüllt ist. Wenn Atteste vorgelegt wurden, ließen viele Einrichtungen diese von den zuständigen Gesundheitsämtern bewerten. In weiten Teilen Süddeutschlands und darüber hinaus fielen den Behörden offenbar die Atteste der Ärzte aus dem Landkreis Schwandorf auf: Weil sie auf eine lebenslange Befreiung zielten, formale Anforderungen aus Sicht der Behörden nicht erfüllten oder schlicht wegen der großen Zahl gleichlautender Atteste.
Genau 32 Gesundheitsämter listete eine Mitarbeiterin des Schwandorfer Gesundheitsamts als Zeugin auf, hätten sich hier bei der Behörde gemeldet und nach der Praxis des Ärztepaars gefragt. Allen lagen aus Sicht der Anklage zweifelhafte Atteste vor. Und auch die Schwandorfer Aufsichtsbehörde selbst bekam die Gesundheitszeugnisse Dutzendweise zu Gesicht. "Im März 2020 bekamen wir die ersten Anrufe von anderen Gesundheitsämtern, denen die Atteste aus der Praxis suspekt vorkamen", sagte die ehemalige Leiterin des Schwandorfer Amts, Dr. Daniela Hierhammer, die inzwischen an der Regierung der Oberpfalz tätig ist. Als auch aus dem Landkreis Schwandorf rund 20 zweifelhafte Masern-Impfbefreiungen aus der Praxis vorlagen, erstattete das Gesundheitsamt nach Rücksprache mit der Regierung Anzeige. Weitere einige Nachforschungen habe sie nicht angestrengt, sagte Hierhammer. Das habe der Ausbruch der Corona-Pandemie verhindert. Sie habe auch keines der Kinder untersucht, für die Atteste vorgelegt wurden.
Die Neumarkter Gesundheitsbehörde versuchte, mit den jeweiligen Eltern der Kinder ins Gespräch zu kommen – was nicht einfach gewesen sei, wie eine Amtsärztin erläuterte. "Erzählt hat da keiner was". Gleiches galt auch in Neustadt/Aisch, wie ein Amtsarzt bescheinigte: "Die Eltern waren auf Abblocken bedacht." Die Behörde musste vom Attest sogar eine Abschrift anfertigen, weil die Eltern es weder aushändigen noch kopieren lassen wollten.
Die Anklage, die Oberstaatsanwalt Carsten Reichel vertritt, wirft dem Ärztepaar vor, zwischen Oktober 2019 und Oktober 2020 in 60 Fällen unrichtige Atteste zur Befreiung von der Impflicht oder der Corona-Maskenpflicht ausgestellt zu haben. Der Ärztin werden 20, ihrem Mann 40 Fälle vorgeworfen. Die Angeklagten äußerten sich auch am zweiten Prozesstag nicht. Die Verteidigung haben Christoph Schima (Passau) und Prof. Dr. Jan Bockemühl (Regensburg) übernommen. In einer gemeinsamen Erklärung hatte Schima am ersten Verhandlungstag betont, dass die Mandanten den ärztlichen Beurteilungsspielraum in keinem Fall überschritten oder gar Gefälligkeitsgutachten ausgestellt hätten. ""Die Angeklagten werden freizusprechen sein", sagte Schima. Für den Prozess sind bislang weitere 22 Verhandlungstage angesetzt. Mit einem Urteil ist frühestens Ende Juli zu rechnen.
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