Wer den Dokumentarfilmpreis erhält, ist bereits im Vorfeld öffentlich geworden: "Langsam vergesse ich eure Gesichter". Könnte auch von Demenz handeln. Ein junger Mann gräbt einen über 30 Jahre alten Briefwechsel aus, lässt den beiden Protagonisten Schriftstücke vorlesen und macht daraus einen Film. Klingt nicht gerade spannend, klingt nach Kammerspiel, so ganz ohne Action-Szenen. Stimmt. Und ganz ohne Spezialeffekte, laute Musik zieht der Film mit zwei Laiendarstellern – Vater und Onkel des Regisseurs – und einer Stimme aus dem Off die Zuschauer in der Spitalkirche in seinen Bann. Sie tauchen ein in den Iran zu Beginn der 80er Jahre als die Ayatollahs die weltliche Macht übernehmen und immer tiefer in ein Familienschicksal. Genauso dürfte er in seiner unaufdringlichen und zugleich eindringlichen Art die Jury beeindruckt haben.
Intensiv, berührend
Regisseur Daniel Asadi Faezi ist ein nachdenkliches und berührendes Werk gelungen. Der Eindruck bleibt haften. Das ist auch an den Reaktionen der Zuschauer zu spüren. "Das muss man erst einmal sacken lassen", sagt eine Besucherin. Intensive Bilder und zwei Brüder, die auf der Leinwand und parallel an diesem Abend unter den Zuschauern zu sehen sind. Von fünf engen Schulfreunden erzählt Hassan Asadi Faezi, der Vater des Regisseurs, leben noch zwei. Ein Freund, der nach Dänemark geflohen ist und er. Die anderen drei sind schon lange tot, im iranisch-irakischen Kriege gefallen, bei Straßenkämpfen ums Leben gekommen oder hingerichtet worden. Straßenkämpfe, Hinrichtungen: Das Thema der 80er Jahre könnte aktueller nicht sein.
Zurückhaltend und abwägend
Die Weltgeschichte scheint immer wieder durch das dünne Briefpapier hindurch. "Mein Vater hat mit mir immer Deutsch gesprochen", sagt der junge Regisseur. Und wohl wenig über die Vergangenheit. Onkel Ibrahim dagegen schildert dem Neffen, Jahrgang 1993, immer wieder seine Flucht. "Ich wollte eigentlich eine Film über seine Flucht machen", erzählt Daniel Asadi Faezi. Doch da sich die Verhältnisse im Iran aber nicht zum Besseren gewendet haben, verwirft er den Gedanken. Er wendet sich den Briefen zu. Die beiden Männer geben sich auf der Leinwand und in der Spitalkirche dennoch zurückhaltend, wägen ihre Worte ab, fürchten das Regime. Sie gewähren aber durchaus intime Einblicke in die Familie, die Zeit damals und die Gefühlslage. "Uns war schon klar, dass wir hier die Hosen runterlassen", sagt Hassan Asadi Faezi. Sichtlich Stolz sind die beiden Hauptdarsteller an diesem Samstag schon auf Daniel, den Film und die sehr positiven Reaktionen aus dem Publikum.
"Es ist auch eine Geschichte über Migration", sagt Daniel Asadi Faezi gegenüber Oberpfalz-Medien. "Migranten sind nicht nur die Bösen oder die Superreichen, sondern es gibt viele Graustufen." Zu diesen Graustufen gehört Familie Faezi. Daran, dsss sich nicht alles in schwarz oder weiß einteilen lässt, will auch Hassan Asadi Faezi erinnern, als er erzählt: Seinem Bruder Ibrahim ist nur mittels eines Schleppers die lebensrettende Flucht in Türkei gelungen.
Wieder Flucht als Thema
Wenige Wochen vor der Schwandorfer Auszeichnung hat der aus Schweinfurt stammende Daniel Asadi Faezi mit einem Kurzfilm einen Preis auf der Berlinale geholt. "Waking up in silence" handelt ebenfalls von Flucht. In einer ehemaligen Wehrmachtskaserne sind ukrainische Flüchtlinge untergebracht. Kinder finden beim Spielen militärische Gegenstände. Und wieder berühren sich Gegenwart und Vergangenheit. Der Regisseur will an diesem Thema weiterarbeiten. 1000 Euro Preisgeld sowie den Rental-Gutschein in Höhe von 5000 Euro von Vantage Film könnten in dieses Projekt fließen. Eine lobende Erwähnung erhält am Festabend der Film von Tnaja Cummings "Das Zelig". Das Münchner Café, in dem sich Holocaust-Überlebende treffen ist der Ausgangspunkt dieses Dokumentarfilms.
Zwickl 2023
- 25 Filme
- Rund 40 Vorstellungen
- Bayerischer Dokumentarfilmpreis "Zett" für Beiträge, die in Bayern gedreht wurden oder mit Bayern zu tun habe.
- Nominiert: "Anima - Die Kleider meines Vaters", "Vogelperspektiven","Das Zelig", "Nichts Neues","Langsam vergesse ich Eure Gesichter".
- Publikumslieblinge: "Nawalny", "Der wilde Wald", "Willi und die Wunder dieser Welt"
- Festivalleiterin, Organisatorin und "Zwickl"-Erfindern Anne Madelene Schleicher
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