ONETZ: Woher kommt dein Interesse an Kultur?
Anne Schleicher: Ich hatte eine wilde Kindheit, war viel mit Erwachsenen unterwegs, die mich mit ins Kino und auf Musikveranstaltungen genommen haben. Der Austausch über Kunst und Kultur wurde in meiner Familie groß geschrieben. So bin ich quasi selbstverständlich damit aufgewachsen. Dokumentarische Filme habe ich lustigerweise schon gerne als Kind angesehen, zum Beispiel bei „Löwenzahn“, wenn die kleinen Filmchen kamen, in denen gezeigt wurde, wie etwa Dosenkonserven hergestellt werden. Das „Echte“ hat mich schon immer auf eine besondere Art fasziniert.
ONETZ: Nach deinem Studium in Wien bist du zurück in deine Heimat Schwandorf? Warum diese Entscheidung?
Anne Schleicher: Ich bin wieder nach Schwandorf zurück, weil ich mich hier durch meine Familie und die Orte, die ich in- und auswendig kenne, zu Hause fühle. Ich bin generell ein sehr rastloser Mensch, dem das Heimatgefühl Stabilität gibt. Ich bin nicht mit der Intention nach Schwandorf gekommen, die Stadt umzukrempeln. Erst habe ich mich entschieden, hier zu leben, und durch meine Arbeit habe ich dann auch etwas verändert. Aber das kam einfach, weil ich halt Kulturschaffende bin und dort auch arbeiten möchte, wo ich lebe. Generell ist es für mich als Kulturschaffende interessanter, an einem Ort zu arbeiten, an dem es so viel Potenzial gibt, das noch nicht ausgeschöpft ist, wie hier in Schwandorf.
ONETZ: Du bist Initiatorin der Dokumentarfilmtage ZWICKL. Wie bist du dazu gekommen?
Anne Schleicher: Ich habe mich schon immer von Dokumentarfilmen faszinieren lassen. Dann habe ich 2010 den Film „Plastic Planet“ gesehen und gemerkt, welche Macht ein Dokumentarfilm haben kann. Ich wollte, dass so viele Menschen wie möglich diesen Film sehen. Das war der Startschuss für das Festival.
ONETZ: Steckt viel Aufwand dahinter?
Anne Schleicher: Jedes Jahr ein neues Konzept an einem neuen Ort zu erstellen, mit neuen Kooperationen, ist sehr aufwändig. Es ist für rund fünf Monate ein Halbtagsjob, vier Monate vor dem Festival arbeite ich Vollzeit. Denn wir müssen ja viel mehr machen als nur die Filmplanung: Filme ansehen, Kontaktaufnahme und Verhandlung mit den Verleiher, Planung der Festivalwoche mit Bauhof und Technik, Vorverkauf und Kinokasse, Websitepflege und Social Media, Gäste einladen und Gespräche mit ihnen moderieren. So viele große und kleine Dinge, die jährlich das ZWICKL auferstehen lassen. Das alles würde ohne die Sponsoren in Schwandorf, die Stadt und das Kulturamt als Veranstalter nicht möglich sein.
ONETZ: Nach welchen Kriterien suchst du die Filme aus?
Anne Schleicher: Ich suche die Filme nicht immer nur alleine aus, sondern auch oft im Team mit anderen Filmbegeisterten. Grundsätzlich haben wir jedes Jahr ein Regulärprogramm, bei dem der Anspruch ist, eine möglichst große Bandbreite an Interessengruppen anzusprechen. Das heißt, wir suchen auch Filme nach Kategorien wie Sport, Umwelt oder Gesellschaftskritik aus. Der Querschnitt soll bunt sein. Außerdem greifen wir jedes Jahr Filmvorschläge aus der Bevölkerung auf.
ONETZ: Jedes Ticket kostet zwei Euro. Warum der niedrige Preis?
Anne Schleicher: Der Preis soll den Besuchern zeigen, dass das eine Kulturveranstaltung ist, die nur für sie gemacht ist. Ein Geschenk an die Bürger, eine Möglichkeit, Bildung auf hohem Niveau zu erfahren und für eine kurze Zeit mit anderen im Raum eine gemeinsame Seherfahrung zu teilen. Dokumentarfilme berühren uns auf eine andere Weise als Spielfilme, weil es Inhalte sind, die letztendlich aus dem Leben gegriffen sind. Sie können uns verändern und uns zum Beispiel zu einem Thema besonders intensiv informieren – wie ein Sachbuch. Das ist die Macht des Dokumentarfilms.
ONETZ: Du bist Herausgeberin von „WAA Wackersdorf – vor und hinter dem Zaun“ ...
Anne Schleicher: … Ich kenne den Fotografen Gerhard Götz schon länger und habe für das Szenenbild in „Wackersdorf“ in seinem Fotoarchiv recherchiert. Dabei kam mir die Idee zum Buch. Durch Zufall bin ich auf den Verlag in Amberg gestoßen, der die Idee mit mir umsetzen wollte. Meine Aufgabe bei der Vorbereitung war die Digitalisierung, Chronologisierung und die Auswahl der Bilder. Der Grafiker und ich haben das Buch zusammen kreiert, der Verlag hat sich um die Distribution gekümmert. Am Schluss haben wir dann gemerkt, dass die Fotos Texte benötigen, um den Leser bei der Geschichte mitzunehmen. Da hab ich mich dann hochschwanger ins Zeitungsarchiv der Stadt gesetzt und Artikel durchforstet, um mehr Informationen über die Fotos herauszufinden.
ONETZ: Was hat sich kulturell in Schwandorf verändert, seit du da bist?
Anne Schleicher: Junge Leute sind aus Schwandorf weggegangen, das verändert auch die kulturelle Landschaft. Vor allem Bars und Diskos gibt es hier kaum mehr.
ONETZ: An welchen Projekten arbeitest du aktuell?
Anne Schleicher: Bevor der Lockdown kam, waren für mich eigentlich viele Schul- und Filmworkshops mit Jugendlichen geplant. Auch der Kurzfilm „Kräfte“, für den ich 2019 das Szenenbild gemacht habe, muss momentan die Premiere verschieben. Wann das alles weitergeht, ist noch unklar.
ONETZ: Was sind deine Zukunftspläne - für dich, aber auch für die Stadt?
Anne Schleicher: Das ZWICKL wird es weiterhin geben, momentan planen das Kulturamt der Stadt Schwandorf und ich die nächste Auflage für März 2021. Als kleiner Lichtblick führen wir demnächst die Veranstaltungsreihe ZWICKLlight ein. Alle drei Monate etwa wollen wir in und um Schwandorf in Kooperation mit Vereinen oder Betrieben Dokumentarfilme zeigen. Die erste Vorstellung ist am 30. August am Brunnerhof in Richt. Wir zeigen einen Dokumentarfilm mit anschließender Podiumsdiskussion. Karten gibt es über den Brunnerhof.
ONETZ: Was macht Schwandorf kulturell besonders?
Anne Schleicher: Besonders sind die Leute, die bei kulturellen Veranstaltungen hierher strömen. Es gibt hier so tolle Menschen, die verschiedenste Lebensentwürfe leben. Es ist ein Irrtum, zu glauben, Freiheit gäbe es nur in der Großstadt. Die Kulturveranstaltungen hier bei uns im ländlichen Gebiet sind oftmals der Treffpunkt für diese ganz verschiedenen Personen, sozusagen haben sie das Potenzial eines Melting pots. Deswegen ist das auch so wichtig, dass wir Angebote schaffen. Nur, wer in seinem Alltag und in seiner Freizeit auf Leute trifft, die ihn inspirieren, und wer sich von einem Kulturangebot gesehen fühlt, der lebt auch gerne an diesem Ort. Das ist auch ein Thema, das die kommunale Politik sehen muss.
ONETZ: Hast du auch Spaß an "leichter" Unterhaltung?
Anne Schleicher: Na klar, ich bin so kitschig, das glaubt mir kein Mensch. Wenn „Traumschiff“ oder „Rosamunde Pilcher“ kommt, dann freue ich mich wie ein Schnitzel. Da lieg ich dann wie Bridget Jones auf der Couch, esse Schokolade und da kullert dann auch mal eine Träne.
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