Schwandorf
14.04.2020 - 12:28 Uhr

Schwandorfer Kriegssplitter in der Literatur

Schwandorf und Literatur? Wenn man sich auskennt, findet man Belegstellen in Büchern, in denen die Stadt vorkommt. Manche Autoren haben Schwandorf am Ende des Zweiten Weltkriegs kennengelernt - und darüber geschrieben.

Auf Schloss Fronberg wird kurz nach Kriegsende am 26. Juni 1945 als „Flüchtlingskind“ der spätere Schriftsteller Joseph von Westphalen geboren, der hier auch seine Kindheit verbringt. Bild: Clemens Hösamer
Auf Schloss Fronberg wird kurz nach Kriegsende am 26. Juni 1945 als „Flüchtlingskind“ der spätere Schriftsteller Joseph von Westphalen geboren, der hier auch seine Kindheit verbringt.

Wohl kaum eine andere Stadt hat in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs neben Regensburg (Messerschmitt-Werke) unter den alliierten Bombenangriffen so gelitten, wie Schwandorf. Am 23. April 1945 geht in Schwandorf der Zweite Weltkrieg zu Ende. Im Gegensatz zu Neumarkt, wo bis zuletzt vergebens gekämpft wird, bleibt es in Schwandorf still. Teile der 3. US-Army ("Patton-Armee"), die unbehelligt einrückt, finden eine gespenstische Stadt aus Ruinen. Die Straßen sind menschenleer. Ausschlaggebend für den apokalyptischen Anblick ist zweifelsohne der zuletzt agierende britisch-kanadische Flugzeugverband vom 17. April 1945, der Schwandorf in ein wahres Trümmermeer verwandelt und über 1000 Menschen das Leben kostet. Bombardiert wurden auch mehrere voll besetzte Züge: Lazarett-Transporte der Wehrmacht, KZ-Häftlinge, Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten sowie ein Zug mit evakuierten Kindern aus Prag. Die Stadt Schwandorf ist fassungslos. Der Gau "Bayerische Ostmark" existiert nicht mehr. Das "Großdeutsche Reich" ist Geschichte. Die Zeit scheint stehen zu bleiben. Plünderungen, Raub und gegenseitiger Diebstahl sind an der Tagesordnung.

Es ist viel über diese harte Zeit geforscht und geschrieben worden; der frühere Bibliothekar Alfred Wolfsteiner ging ebenfalls engagiert der Frage nach, warum es noch 1945 zu einer apokalyptischen Bombennacht kam, obwohl der Schwandorfer Bahnhof schon längst seine frühere zentrale Bedeutung verloren hatte. Interessant ist es, dass es neben den zahlreichen historischen Quellen auch einige literarische Quellen über jene Zeit gibt, die es dem interessierten, vor allem jungen Lesern, vielleicht leichter machen, die damalige Zeit nachzuvollziehen.

Sandra Paretti

Erfolgsautorin Sandra Paretti wird vom damaligen Weidener Kulturamtsleiter Bernhard M. Baron, dem Autor dieses Artikel über Schwandorf in der Literatur, bei den "1. Weidener Literaturtagen" im Mai 1985 mit Blumen begrüßt. Archivbild: Rudolf Bonkoß
Erfolgsautorin Sandra Paretti wird vom damaligen Weidener Kulturamtsleiter Bernhard M. Baron, dem Autor dieses Artikel über Schwandorf in der Literatur, bei den "1. Weidener Literaturtagen" im Mai 1985 mit Blumen begrüßt.

Sandra Paretti (Pseudonym für Irmgard Schneeberger, 1935-1994), die Grande Dame der bundesdeutschen Unterhaltungsliteratur ("Der Winter, der ein Somme war" "Der Wunschbaum"; beides verfilmt), erinnert sich literarisch an die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Sie verlässt im Herbst 1944 mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Karl - Vater Clemens ist bereits zur Wehrmacht eingezogen - infolge der verschärften Kriegslage und der Entbindung der Mutter ihre Heimatstadt Regensburg und fährt mit der Eisenbahn von Regensburg schutzsuchend nach Weiden zu ihren Großeltern. Sandra Paretti dazu in ihrem Mutter-Roman "Das Echo Deiner Stimme": "In einer Herbstnacht stehen wir vor der Tür. Wir sind seit dem Morgen unterwegs. In Schwandorf wurde unser Zug für einen Militärtransport gebraucht, und wir mussten aussteigen. Bis der Ersatzzug kam, vergingen Stunden. Wir sind durchfroren und hungrig. Unsere Koffer liegen auf dem Kinderwagen, einem weißen klobigen Vehikel. Was nicht in den Koffern Platz hatte, tragen wir am Leib; meine Mutter Kleid, Kostüm, Staubmantel und Wintermantel, auch Karl und ich haben sieben Schalen wie eine Zwiebel. Trotzdem frieren wir. Es ist der Hunger.

Eugen Oker

Fritz Gebhardt, der spätere Schriftsteller, Mundart-Lyriker und Spiele-Kritiker Eugen Oker (1919–2008) aus Schwandorf. Archivbild: Peter Geiger
Fritz Gebhardt, der spätere Schriftsteller, Mundart-Lyriker und Spiele-Kritiker Eugen Oker (1919–2008) aus Schwandorf.

Wie Hunderte andere Schwandorfer auch wird Fritz Gebhardt, der spätere Schriftsteller, Mundart-Lyriker und Spiele-Kritiker Eugen Oker (1919-2008), "einer der bekannteren Unbekannten der bayerischen Literatur", Soldat. Als junger Topograf beim Vermessungsamt München meldet er sich nach anfänglichem Zögern freiwillig zur "Hitlerwehrmacht". Da Vermesser benötigt werden, kommt er zur "Beobachtungseinheit 7". "Auf Staatskosten" kommt er "ganz schön herum": nach Frankreich, Polen, Rußland, Italien. Jahrzehnte später wird er das näher literarisch ausführen - in seinem, auf sein eigenes Tagebuch gestützten, authentischen Kriegsbuch "Zahlbar nach dem Endsieg" (1996, Neuauflage 2008 mit Zeichnungen und zahlreichen Abbildungen in der neuen Eugen Oker-Edition "Kuckuck & Straps" im Lichtung Verlag Viechtach). Sein romanhaftes Alter Ego "Fritz Kagerer" - den der Leser vielleicht von "Lebenspullover. Die Abenteuer des Fritz Kagerer aus Schwanheim" (1986) her kennt - beendet für sich den kriegerischen Wahnsinn (seine zwei Brüder sind gefallen!), schließt "einen Separatfrieden mit den Alliierten" und geht einfach heim in sein (damals) geliebtes "Schwanheim" (Schwandorf). Eine rettende Rolle spielt dabei seine Ziehharmonika, die ihn auf seinem Weg durch den fünfjährigen Krieg begleitet und in so manch kritischer Situation zum Einsatz kommt.

Frank Baer

In seinem dokumentarischen Jugendroman "Die Magermilchbande. Mai 1945: Fünf Kinder auf dem Weg nach Hause" (1979) lässt der in Würzburg aufgewachsene Schriftsteller Frank Baer (Pseudonym für den BR-Journalisten Frank Widmayer, Jg. 1938) eine Berliner Schulklasse aus einem sogenannten "Kinderlandverschickungslager" (KLV-Lager) in der Nähe der böhmischen Stadt Pilsen in den letzten Kriegstagen des April 1945 auf dem Weg nach Hause auch durch die Oberpfalz Richtung Weiden-Hof-Berlin streifen. "Maxe Milch", Spitzname "Magermilch" "Peter", "Adolf", "Bille" und "Tilli" bilden die verwegene, unternehmungslustige Gruppe, die sich bald "Magermilchbande" nennt. Der direkte (nördliche) Weg ist für die Halbwüchsigen durch die sich nähernde Front abgeschnitten. So irren sie zwischen geschlagenen Soldaten, Flüchtlingstrecks und Gefangenenkolonnen westwärts. Die ersten "Friedenstage" im Mai 1945 kommen. In Schwandorf kümmert sich (im Roman) die junge Flüchtlingsfrau Sophie Scherdel um die Berliner Kinder. Bald lernen die Kinder auch den Lebensstil der US-Soldaten kennen.

Victor Klemperer

Obwohl der Dresdner Romanistik-Professor und Hochschullehrer Victor Klemperer (1881-1960) - Cousin des renommierten schlesischen Dirigenten Otto Klemperer (1885 - 1973) - ein zum Protestantismus konvertierter Jude ist, muss er nach Hitlers Machtergreifung 1933 Tag für Tag erleben, wie seine Rechte eingeschränkt werden. Bei einem Luftangriff auf Dresden in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 entkommt er mit seiner nichtjüdischen Frau Eva Schlemmer und flüchtet über Marktredwitz (3. April 1945) nach Bayern. Ausführlich notiert Victor Klemperer in seinem Tagebuch seinen Rückweg vom Münchner Stadtteil Giesing ab dem 26. Mai 1945 ins heimatliche Sachsen, dessen Tour auch durch Schwandorf führt:

"An der Pumpe des Streckenhäuschens konnte ich unser Wasserglas füllen, so hielten wir im Gras Mahlzeit und warteten auf den Zug, den ersten für uns seit dem Kriegsende. Er kam nach sechs: ein Pack- und zwei offene Güterwagen. Wir fanden Platz in einem der Güterwagen, es war eine Seligkeit, nun sooo schnell nach Norden zu rollen, in knapp anderthalb Stunden waren die 30 km bis Schwandorf geschafft, wir waren in der Oberpfalz, im beginnenden Industriegebiet. Auf dem Markt erhielt ich amerikanische Auskunft [...], dass anderntags ein amerikanisches Auto uns mitnehmen würde, und die deutsche Polizei wies uns auf die Stadthalle als Gemeinschaftslager der Flüchtlinge und militärischen Heimkehrer. Es war ein wüstes und beschädigtes Haus, Hauptraum darin ein Festsaal mit Bühne. Am Sonnabend, den 2. Juni, vor fünf wach und zeitig zum Markt, wo sich in verschiedenen Gruppen je nach Fahrtziel Soldatengruppen sammelten. Wir stellten uns zu der nach Weiden strebenden. Es war uns tags zuvor bei den Amerikanern versichert worden, dass man uns mitnehme. Wir fanden dann einen der vielen Gasthöfe offen und bereit, uns einen Kaffee zu unserem Brot abzulassen. Gegen acht begannen amerikanische Laster vorzufahren. Wir kamen auf dem für Weiden bestimmten unter, ich aber in sehr gequetschter und wenig blickfreier Stellung."

Joseph von Westphalen

Zum Kriegsende macht der Flüchtlingsstrom aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten auch vor Schwandorf nicht halt. In Baracken, Gasthäusern und Wohnheimen kommen sie unter. Eine schlesische schwangere Gräfin Marie Agnes von Westphalen zu Fürstenberg geborene von Kospoth (1903-1994) - findet Aufnahme und Zuflucht im Schloss Fronberg unweit der Naab. Sie ist eine Nichte des rheinländischen Schlossherrn Hubert von Breidbach-Bürresheim. Seit 1944 befindet sich im Schloss Fronberg ein Reserve-Lazarett für 200 Verwundete. Auf Schloss Fronberg wird kurz nach Kriegsende am 26. Juni 1945 als "Flüchtlingskind" Ernst Joseph Hubertus Randolph Graf von Westphalen zu Fürstenberg geboren, der hier auch seine Kindheit verbringt. Seine Eltern stammen aus alten katholischen westfälisch-schlesischen Adelsfamilien. Die große Schlossanlage von Fronberg, der weitläufige, sagenumwobene Park, das ist sein Kosmos, sein Abenteuerspielplatz in der Nachkriegszeit, dem er in seinem Schlüssel-Roman "Das schöne Leben" (1993) auch ein literarisches Denkmal setzt.

1951 zieht Joseph von Westphalen mit seiner Familie nach München. Jahre später schreibt er in der Süddeutschen Zeitung vom 23. April 2002 in der Serie "Reise in die eigene Stadt" einen ironisch-witzigen Artikel über seinen damaligen Besuch in seiner "ungeliebten Heimatstadt" unter dem bezeichnenden Titel "Naabtal-Solo": "Schwandorf? Ja, da bin ich mal geboren. Hin und wieder bin ich auch da, zu Beerdigungen und Geburtstagen." Joseph von Westphalen wäre wohl nie in Schwandorf geboren - wenn es Hitlers Weltkrieg nicht gegeben hätte. So "verfolgt" ihn sein Geburtsort dafür bis an sein Lebensende, weil er in all seinen persönlichen Dokumenten und Biografien auftaucht.

 
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