(hai) "Wir haben Sibirien und die Deportation überlebt. Heute können mit unserer Rente gut leben. Aus allen unseren acht Kindern ist etwas geworden. Sie alle, wie unsere 24 Enkel und 21 Urenkel, sind gesund." Es waren Freudentränen unter denen Lenja (83) und Gottlieb Dewald (84) am Vortag von Fronleichnam über ihr 65-jähriges gemeinsame Lebenswerk erzählen. Die Eiserne Hochzeit ist es, die das Jubelpaar am 30. Mai 2018 am Rathausplatz 4 feiern konnte. "Obwohl wir arm gewesen sind, waren wir immer zufrieden und glücklich", so die Jubilarin. Wenngleich das Alter die Schaffenskraft etwas einschränkt, so meistern sie doch in ungebrochener Liebe ihren Alltag.
Groß war an diesem Tag auch die Freude des Jubelpaares über die hochkarätigen Glückwünsche. Neben Ministerpräsident Dr. Markus Söder und Landrat Hermann Hübner hatte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier in einem Glückwunschschreiben höchst persönlich dazu gratuliert, dass es ein besonderes Glück sei, so ein Jubiläum feiern zu können. "Es ist schön zu wissen, dass Menschen so viele Jahrzehnte glücklich zusammenleben, alles teilen und Verantwortung füreinander und für andere übernehmen", war in seiner Grußbotschaft zu lesen. Und in der Tat: sie haben die Lasten des Lebens geteilt und miteinander getragen. 1933 und 1935 in Hauf, einem westsibirischen russlanddeutschen Dorf nahe Omsk in Russland, im Kreise von fünf beziehungsweise sieben Kindern geboren ging das russlanddeutsche Ehepaar Dewald mit Frankfurter Vorfahren aus dem 18. Jahrhundert durch alle Höhen und Tiefen: von Stalins Diktatur und der nachfolgenden kommunistischen Herrschaft bis zu ihrer Ausreise nach der Grenzöffnung über Friedland und Oberstdorf. Seit 1993 wohnen sie in Speichersdorf.
Anfang der 40er Jahre erlebten sie ihren ersten schweren Schicksalsschlag. Über Nacht standen Lenja und Gottlieb Dewald ohne Mama und Papa da. Wie alle arbeitsfähigen Dorfbewohner wurden 1941 ihre Eltern wie ihre älteste Schwester und ihr ältester Bruder zur militarisierten Form der Zwangsarbeit in der Sowjetunion, in die russische Arbeitsarmee (Truttarmee) deportiert und an die Front geschickt. Weiter aufgezogen von ihren nächstgrößeren Geschwister hieß es nach ihrer vierjährigen Schulzeit wie ihr ganzes Leben lang für beide auf der Kolchose zu arbeiten.
Am 30. Mai 1953 gaben sie sich vor Bürgermeister Groß in der Kreisverwaltungsbehörde Scharmantai schließlich das Ja-Wort. Kirchlich-evangelisch zu heiraten war strengstens verboten, erinnert sich das Paar, das heute zu den treuesten Kirchgängern der Christusgemeinde gehört. Auch Deutsch zu sprechen war verboten.
1955 konnten sie im russischen Nachbardorf Fadinow ihre eigenen vier Wände beziehen, erst in einem kleinen Haus, und nach acht Jahren in einem größeren. In Fadinow wurden auch ihre acht Kinder Katharina, Artur, Alexander, Tatjana, Reisja, Waldemar, Natalja, Eugenia geboren. Auch erst nach 1957 durften sich die russlanddeutschen einigermaßen frei bewegen, auch wenn ihnen nachwievor Ausweise verwehrt wurden. Zwölf bis 14 Stunden von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf dem Feld zu arbeiten war keine Seltenheit. Hier konnten sie sich durch viel Fleiß einen ersten Fernseher und eine Waschmaschine leisten. Das ganze Dorf war da, erinnern sich die Kinder. Selbst bedürftige aus der ganzen Strasse wurden mitversorgt.
Doch ihr Glück in der um die 70 Familien zählenden Dorfgemeinschaft mit schönen Anlagen währte nur 15 Jahre. Ohne Vorwarnung ereilte sie 1970 der Umzugsbefehl. Gleichsam über Nacht mußten sie ihre Koffer packen, wurde das ganze Dorf Fadinow und damit auch ihr Zuhause dem Erboden gleich gemacht. Mitgenommen werden konnte nur, was man mit den Händen tragen oder ziehen konnte, erzählt Lenja Dewald. Einmal mehr mußten sie im größeren Gamischino mit 140 gemischten Familien ohne Arbeit wieder von vorne beginnen. Kindergarten oder Schule, ärztliche Versorgung gab es nicht. "Weg und fertig", ergänzt Gottlieb Dewald, den skrupellosen Umgang der Behörden. Hier verbrachten sie die nächsten gut zwei Jahrzehnte bis sie nach dem Fall der Sowjetunion den Ausreiseantrag stellten. Dann ging alles verhältnismäßig schnell. Binnen sieben Monaten wurde sie genehmigt, konnten sie nach Deutschland mit 17 Personen, darunter zwei Schwester, drei Kinder und Enkelkinder nach Deutschland ausreisen. Nach zwei Jahren in den Aussiedlerhäusern in der Neustädter Strasse und drei Umzügen haben sie 2003 am Rathausplatz ihr neues und wohl endgültiges Zuhause gefunden. Neben der diamantenen Hochzeit konnte das ungebrochen umtriebige und rastlose Ehepaar deshalb auch gleich 20 Jahre Deutschland zehn Jahre Rathausplatz mitfeiern.
Wenngleich sie in Deutschland nicht das Paradies vorfanden, das man ihnen in Rußland versprochen hatte, sind die Dewalds überglücklich, in Deutschland ihre neue Heimat gefunden zu haben und ihren Lebensabend verbringen zu dürfen. Hier hat sich die über Jahrzehnte zerissene Großfamilie wiedergefunden. Nur noch weitschichtige Verwandtschaft lebt heute in Russland. Unter dem Lebensmotto "Wir lassen und nicht unterkriegen, es geht immer weiter" blicken Lenja und Gottlieb Dewald zufrieden zurück, aus den Tiefschlägen das Beste gemacht zu haben. Das schönste sei, dass die Kinder verheiratet und versorgt sind, so das Jubelpaar.
Speichersdorf
01.06.2018 - 14:45 Uhr
65 gemeinsame Jahre
von Autor HAI

Mit einem hochwertigen Tee-Set, blau verpackt mit bayerischem Staatswappen, gratuliert Ministerpräsident Markus Söder dem Jubelpaar Lenja (83) und Gottlieb Dewald (84) zu 65 gemeinsamen Lebensjahren. Glückwünsche überbrachten persönlich Pfarrer Micha Boerschmann (stehend links) für die evangelische Kirchen- und Bürgermeister Manfred Porsch für die politische Gemeinde.
hai
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