Speichersdorf
12.01.2024 - 14:09 Uhr

Speichersdorf sieht Planungshoheit bei PV-Anlagen stark gefährdet

Der vordringliche Ausbau erneuerbarer Energieformen ist das erklärte Ziel der Bundes- und Landespolitik. Die Energiewende sollte jedoch nicht gegen, sondern mit den Gemeinden zum Erfolg geführt werden.

Die Gemeinde Speichersdorf hatte sich im Sommer 2023 wegen der "Neuerungen bei der Privilegierung von Freiflächen-Photovoltaikanlagen entlang von Bahnlinien" an den Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder, den Bayerischen Gemeindetag und Fraktionsvorsitzenden der SPD im Deutschen Bundestag, Ralf Mützenich, gewandt. Weitere Adressatin ihres Schreibens war die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundestagsabgeordnete Anette Kramme aus Bayreuth. Ihnen gegenüber beklagte die Gemeinde die fehlende Steuerungsfunktion der Kommunen durch das "Gesetz zur sofortigen Verbesserung der Rahmenbedingungen für die erneuerbaren Energien im Städtebaurecht".

Darin heißt es unter anderem, dass im Außenbereich ein Vorhaben nur zulässig ist, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es der Nutzung solarer Strahlungsenergie auf einer Fläche längs von Autobahnen oder Schienenwegen eines übergeordneten Netzes dient. Zudem sind mindestens zwei Hauptgleise erforderlich, die wiederum zu diesen in einer Entfernung von bis zu 200 Metern stehen.

Massiv betroffen ist dabei die Gemeinde mit der durch das Gemeindegebiet verlaufenden Bahntrasse Nürnberg-Marktredwitz. Sie hatte im Zuge der Erstellung eines Energienutzungsplanes eine Potenzialanalyse für PV-Freiflächenanlagen in Auftrag gegeben. Demnach würde sich der Korridor entlang der Bahnlinie Kirchenlaibach-Weiden und Kirchenlaibach-Marktredwitz (bis zur B22) aufgrund der verfügbaren Netzverknüpfungspunkte und der Bündelungsmöglichkeit mit Bestandsanlagen gut für den weiteren Ausbau eignen.

Überlegungen nun überholt

Der Gemeinderat hatte sich daher am 17. Oktober 2022 einstimmig für eine Positivplanung für den zukünftigen weiteren Zubau von PV-Freiflächenanlagen anhand dieser Leitlinien ausgesprochen. Die Flächen würden ein Potenzial von weiteren rund 100 Hektar bieten. Mit dem "Gesetz zur sofortigen Verbesserung der Rahmenbedingungen für die erneuerbaren Energien im Städtebaurecht" haben sich die planerischen Überlegungen und Festsetzungen des Gemeinderates jedoch praktisch über Nacht überholt.

Die Planungshoheit und Steuerungsfunktion der Gemeinden würden durch das Gesetz komplett ausgehebelt. "Gerade für Gemeinden wie Speichersdorf, die sich sehr ausführlich und im Diskurs mit der Bürgerschaft über den weiteren Zubau von PV-Freiflächenanlagen Gedanken gemacht hat, ist dies ein Schlag ins Gesicht, der so nicht hingenommen werden kann", schimpft Bürgermeister Christian Porsch. Durch die Privilegierung von PV-Freiflächenanlagen entlang von mehrgleisigen Bahnstrecken werde dem Wildwuchs von Anlagen Vorschub geleistet und die Steuerung der Energiewende vor Ort entgegengewirkt. "Dies schmälert die Akzeptanz der Energiewende innerhalb der Bürgerschaft enorm", meint der Rathauschef.

Jetzt Fläche von 288 Hektar

Für seine Gemeinde bedeute das neue Gesetz, dass entlang von rund 7,2 Kilometern Bahntrasse auf Gemeindegebiet, Ortsbebauung bereits abgezogen, links und rechts des Bahnkörpers in einem Korridor von je 200 Metern ohne Einwirkungsmöglichkeit der Gemeinde PV-Freiflächenanlagen errichtet werden können. Das entspricht einer Fläche von 288 Hektar. Dies wären in Summe rund 5,5 Prozent des Gemeindegebiets. Nach Auffassung der Kommune stellt dies einen gravierenden Eingriff in die eigene Planungshoheit da.

Die Kommune strebt daher eine Ergänzung des Gesetzes an. Demnach sollten öffentliche Belange einem Vorhaben auch dann entgegenstehen, wenn unter anderem hierfür im Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt sei. Zudem erachtet die Gemeinde den im Gesetz beschriebenen Korridor von je 200 Metern als zu groß bemessen. Bis ins Jahr 2021 sei der im EEG festgelegte Bereich auf beidseits jeweils 110 Meter beschränkt und nach Erfahrung der Kommune völlig ausreichend gewesen.

Die zuständige parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Bundestagsabgeordnete Elisabeth Kaiser, bestätigte in ihrem Schreiben, das auch der Gemeinde vorliegt, dass den Kommunen nun Steuerungsmöglichkeiten entzogen worden seien. Der Ausbau erneuerbarer Energien liege im überragenden öffentlichen Interesse und diene der öffentlichen Sicherheit. Auch gelte es, die nationalen Klimaschutzziele zu erreichen und den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels entgegenzuwirken. Die gesetzliche Privilegierung beschleunige den Ausbau der erneuerbaren Energien, indem sie die Flächenverfügbarkeit erhöhe. Sie entlaste die Gemeinden um entsprechende Planverfahren, argumentiert sie in dem Schreiben. Auch seien die Privilegierungen auf ohnehin vorbelastete Flächen entlang von Autobahnen und größeren Schienenwegen beschränkt.

"Bemühungen konterkariert"

Sauer stößt Bürgermeister Porsch auch eine weitere Passage in dem Schreiben auf. Darin helfe das neue Instrument Gemeinden in ausreichendem Umfang Flächen für die erneuerbaren Energien auszuweisen. Sie könnten so dazu beitragen, dass eine weitere Ausweitung der planungsrechtlichen Privilegierung von PV-Freiflächenanlagen nicht erforderlich werde. "Dieser Satz, wenn man betrachtet, was die Gemeinde Speichersdorf bereits in Bereich der erneuerbaren Energien geleistet hat und plant, ist unakzeptabel und konterkariert das bisherige Bemühen der Gemeinde im Bereich Ausbau der erneuerbaren Energien."

Porsch verdeutlichte, dass sich der Gemeinderat im Zuge der Erstellung des Energienutzungsplanes auch eingehend mit einer Potenzialanalyse für PV-Freiflächenanlagen beschäftigt habe. Dafür sei einstimmig ein Kriterienkatalog verabschiedet worden. Ein Punkt sieht vor, dass jede neu errichtete Anlage zwingend ein Bürgerbeteiligungsmodell anbieten müsse. Auch sei die Beteiligung der Gemeinde oder der Bioenergie Speichersdorf von Fall zu Fall zu prüfen.

Das erklärte Ziel der Kommune ist, den Eigenstromanteil an den kommunalen Liegenschaften und in der Gemeinde zu erhöhen und einen möglichst hohen Autarkiegrad zu erreichen. "Diese Zielsetzungen sind durch diese Gesetzesänderung völlig obsolet geworden. Unsere verfassungsrechtlich garantierte gemeindliche Planungshoheit wurde dem Gemeinderat mit der Privilegierung auf nunmehr 280 Hektar Gemeindegebiet genommen", klagt Christian Porsch. Immerhin unterstützen laut dem Rathauschef der Bayerische Gemeindetag und auch die Bayerische Staatskanzlei die Haltung der Gemeinde Speichersdorf.

Hintergrund:

Erneuerbare Energie auf Gemeindegebiet

  • Laut der Energieagentur Nordbayern sind im Jahr 2023 stromseitig 71.118.000 Kilowattstunden erzeugt worden.
  • Der aktuelle Stromverbrauch in allen Sektoren beträgt 20.854.000 Kilowattstunden.
  • Der Anteil erneuerbarer Energien beträgt demnach rund 341 Prozent.
  • Rund 57,7 Hektar werden für die Erzeugung regenerativer Energie durch PV-Freiflächenanlagen genutzt. Dies entspricht rund 1,1 Prozent des Gemeindegebietes.
 
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