Speinshart
29.10.2018 - 14:07 Uhr

100 Jahre Tschechoslowakei

Die Nachbarn aus Böhmen setzen zum Erinnern an. Der 28. Oktober 1918 gilt als Tag der Gründung einer unabhängigen Tschechoslowakei. Ein kurzlebiges Erfolgsmodell, heißt es, auf das viele noch nach 100 Jahren wehmütig zurückblicken.

Zwischen Böhmen und Bayern gibt es viele Berührungspunkte. Zum 100-jährigen Gründungsjubiläum des tschechoslowakischen Staates dokumentiert eine Ausstellung die wechselvollen Beziehungen zwischen den Nachbarstaaten und vor allem die Reaktionen der südmährischen Bevölkerung nach einem Leben unter böhmischer Krone bei der Ausrufung der Republik. Einen Vortrag dazu hält Dr. Vojen Drlík (rechts). Bild: do
Zwischen Böhmen und Bayern gibt es viele Berührungspunkte. Zum 100-jährigen Gründungsjubiläum des tschechoslowakischen Staates dokumentiert eine Ausstellung die wechselvollen Beziehungen zwischen den Nachbarstaaten und vor allem die Reaktionen der südmährischen Bevölkerung nach einem Leben unter böhmischer Krone bei der Ausrufung der Republik. Einen Vortrag dazu hält Dr. Vojen Drlík (rechts).

Auf den Tag genau 100 Jahre nach Gründung der Tschechoslowakei eröffnete die Internationale Begegnungsstätte Kloster Speinshart zu diesem Ereignis eine Ausstellung. Sie legt das Augenmerk nicht auf die großen politischen Ereignisse des Jahres 1918. In zeitgenössischen Dokumenten und Bildern spiegelt sie vielmehr die Reaktionen der südmährischen Bevölkerung, ob deutsch oder tschechisch, über die Staatsgründung wider.

Wechselvolle Beziehungen

Ein spannendes Thema, wie Thomas Englberger, Leiter der Begegnungsstätte, zur Eröffnung betonte. Fernab des "Goldenen Prag", der Schönheit der Hohen Tatra oder des "braven Soldaten Schwejk" erzählt die Geschichte die Berührungspunkte zwischen Völkern in bewegenden Zeiten. Diesen wechselvollen Beziehungen nach der Staatsgründung vor 100 Jahren geht die Ausstellung nach, die am Sonntagvormittag im Kloster Speinshart eröffnet wurde. Die Ausstellungstafeln zeigen einen lehrreichen Blick auf diese Zeitepoche in den böhmischen Landen im Allgemeinen und auf Reaktionen der südmährischen Bevölkerung nach Ende des Ersten Weltkrieges. Viele Originaldokumente, Bilder und Zeitungsberichte weisen den Besuchern den Weg durch die Ausstellung.

Begleitende Infos zur ungewöhnlichen Vorlesungszeit am Sonntagvormittag gab Dr. Vojen Drlík, Brünner Kulturhistoriker und langjähriger Mitarbeiter des Brünner Rundfunks, ehemaliger Dramaturg des Nationaltheaters in Brünn und später Leiter des Dokumentationszentrums des Schrifttums in Mähren. Anhand historischer Zeugnisse nach dem Auseinanderbrechen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie legte der Autor Wert auf die Darstellung damaliger kontroverser Standpunkte. "Die Dokumentation ist einer gespaltenen Gesellschaft von damals gewidmet."

Drei Millionen Deutsche

Der Wissenschaftler schilderte den zahlreichen Besuchern, die sich rund um den Info-Point des Klosters versammelt hatten, das neue demokratische Gebilde, das sich nach der Staatsgründung als Produkt des Ersten Weltkrieges entwickelte, verwies auf das gewonnene Selbstbewusstsein des neuen Staates und bekannte dennoch: "Die Konstruktion einer tschechoslowakischen Nation war absurd und für Tschechen und Slowaken trotzdem notwendig, um drei Millionen Deutsche zu einer Minderheit abzustempeln". Geblieben seien damals die Bitternis der Unterlegenen und eine kurze Begeisterung der Gewinner. "Großer Krieg - kleines Land" nennt Vojen Drlík diese Entwicklung, die mit einem Bündel an Hoffnungen und einem noch größeren Paket an Vorurteilen überladen gewesen sei.

Den Vortrag prägten viele Einzelheiten bis hin zur Vaterfigur Tomas Masaryk, der mit Edvard Benes am 18. Oktober 1918 im Exil in den USA die Gründung der Tschechoslowakei proklamierte. Zehn Tage später akzeptierte Österreich die Bedingungen einer 14 Punkte umfassenden Erklärung von US-Präsident Wilson für einen Waffenstillstand. Eine davon: Die Abtrennung von Böhmen, Mähren, der Slowakei und einem Teil von Schlesien und die Staatsgründung am 28. Oktober 1918. Ungelöst blieben der Status und die Stellung der nun deutschen Minderheit. Eine Hypothek, die der Tschechoslowakei 1938 zum Verhängnis geworden sei.

Daraus resultierend dokumentiert die Ausstellung die Schlüsselerlebnisse nach der Befreiung aus österreichisch-ungarischer Bevormundung aus mährischer Sichtweise. Eigenstaatlichkeit, Staatsgründung und das Verhältnis zur deutschen Minderheit markieren die Wendepunkte, die in der Dokumentation aufgearbeitet werden. Für den Lektor besonders wichtig war die Schlussbemerkung: "Trotz aller Lasten in der Vergangenheit bestehen Brücken, die an glückliche Zeiten erinnern und an denen es gilt, weiterzubauen".

Die gemeinsam mit dem Deutschen Kulturverein Region Brünn organisierte Ausstellung der Internationalen Begegnungsstätte ist bis 25. November an allen Sonn- und Feiertagen zwischen 13.30 und 17 Uhr zugänglich. Außerhalb dieser Zeiten ist eine Besichtigung auf Anfrage (09645/60193601) möglich.

 
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