(do) Einen unterhaltsamen, humorvollen aber auch historischen Abend erleben die Zuhörer beim Setzwein-Abend im Musiksaal des Klosters. Der Chamer Autor erzählt mit böhmischen Schalk im Nacken eine spannende Geschichte, in dem er sich auf die Spuren der böhmischen Adelsfamilie Coudenhove-Kalergi begibt. Die bewohnte einst das Schloss in Ronsperg/Pobezovice, wenige Kilometer hinter der bayerisch-böhmischen Grenze gelegen. Das Anwesen ist noch heute zu besichtigen, genau wie das Kloster Stockau/Pivon, das die Familie ebenfalls bewohnte.
Kenntnisreich und mit präzisem Blick für das Widersprüchliche erzählt Bernhard Setzwein die Geschichte eines der großen europäischen Adelsgeschlechter. Wesentlicher Hauptteil ist die faszinierende Familiengeschichte der Coudenhove-Kalergi auf Ronsperg, die Entwicklung der Paneuropa-Bewegung und die zahlreichen Klatschgeschichten über die vielen Familienmitglieder. Und warum nennt sich das Buch wohl der „Böhmische Samurai“, wo doch jedermann weiß, dass es Samurais nur in Japan gibt? Im Roman geht es um eine höchst ungewöhnliche Familie: eine Japanerin als Mutter von sieben Kindern, wovon eines der Begründer der Paneuropa-Bewegung wurde und der älteste Sohn als „Graf Hansi“ das Leben eines Paradiesvogels führt mit einer Flugpionierin als Frau an seiner Seite.
In flüssig lesbarer, ungekünstelter Sprache mit interessanten Vor- und Rückblenden und mit präzisen Ortsangaben lässt Bernhard Setzwein die Besucher die Schicksale der Roman-Menschen hautnah miterleben, in Schloss Ronsperg um 1900, im tschechischen Internierungslager Chrastavice um 1945. Budapest, Wien, Berlin und das München um 1910 spielen eine Rolle. An diesen Orten treten reale Personen mit unglaublichen Lebensgeschichten mit dem Habsburger Diplomaten Graf Heinrich von Coudenhove-Kalergi und dessen japanischer Ehefrau Mitsuko aus Tokio auf. Sie muss ihrem Gatten folgen, als der sein böhmisches Erbe antritt. In Japan ist die Geschichte der „ersten japanischen Frau in Europa“ so populär wie bei uns die der Kaiserin Sissi. Zu den Protagonisten der Familiensaga zählen Richard, der Bruder des Grafen und vor allem der schillernde „Graf Hansi“ mit Ehefrau Lilly, einer er ersten Frauen des Habsburgerreiches, die einen Pilotenschein macht.
Viel und oft ist die Rede von Graf Hansi. Nach dem Tod des Vaters lebt er sein Leben als Lebemann und als Schlossherr. Er lässt sich nicht unterkriegen und versucht mit Witz und Intelligenz, aber auch mit Arroganz und Hochnäsigkeit, sich jenseits aller Normen zu bewegen. Eine Figur die polarisiert. Im Laufe der Jahre wird der Graf immer spleeniger. Auf Reisen nimmt er eine Mumie in Nobelhotels mit. Das extravagante Leben von Graf Hansi endet abrupt im Jahr 1945. Enteignet und mit hineingerissen in den Strudel der sudetendeutschen Vertreibungs-Tragödie durchlebt er schreckliche Momente in verschiedenen Sammellagern. Erst als er in Regensburg strandet, beginnt noch einmal eine Lebensphase, auf die ein schwacher Abglanz der alten Zeiten fällt. Ein letztes Mal blitzt seine spitzbübische Extravaganz auf. Sein Roman „Ich fraß die weiße Chinesin“ sorgt auf der Frankfurter Buchmesse 1967 für Furore. Der reichlich schrullige Roman handelt, wie sollte es anders sein, von Menschenfressern.
Bernhard Setzwein gelingt es, dem Speinsharter Publikum die besondere Atmosphäre zu vermitteln, in der die Ronsperger Adelsfamilie und mit ihr Graf Hansi lebte. Die Familiengeschichte aus den Jahren 1896 bis 1968 ist höchst unterhaltsam und in leicht ironischer Erzählweise geschrieben. Setzwein entfaltet ein aspektreiches Tableau der Zeitabläufe. Eine facettenreiche Geschichte vom Eintreffen des Grafen aus Tokio, vom Aufeinandertreffen böhmischer und japanischer Kultur , vom Wandel der Rollenbilder der Geschlechter , von der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei , vom Aufstieg des nationalsozialistischen Deutschland aus der Perspektive des Böhmerwald-Grenzlandes bis hin zur Vertreibung. Bernhard Setzwein beschreibt unterhaltsam und lebendig einen Teil mitteleuropäischer Geschichte, aber auch die grausamsten Jahre des 20. Jahrhunderts. Ein Buch, für das man sich Zeit nehmen sollte.
Der Autor
Bernhard Setzwein, geboren 1960 in München. Ausgezeichnet mit vielen zahlreichen Preisen, unter anderem mit dem Bayerischen Staatsförderpreis für Literatur, der Poetik-Professur der Universität Bamberg und dem Friedrich-Baur-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste lebt Setzwein in Cham. Der Schriftsteller ist Verfasser zahlreicher Bücher, darunter Lyrikbände und Theaterstücke. Bekannt ist Bernhard Setzwein auch für seine Hörfunk-Features für den Bayerischen Rundfunk.




















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