Sulzbach-Rosenberg
06.09.2019 - 17:18 Uhr

Brexit: "Spannender als Game of Thrones"

Auf welchen Brexit steuert Großbritannien zu? Wie lange hält die neue Regierung in Italien? Und geht es mit Griechenland aufwärts? Fragen über Fragen, die gebürtige Briten, Italiener und Griechen beschäftigen - auch in Sulzbach-Rosenberg.

Boris Johnson bei einem seiner Auftritte im Londoner Parlament: Britische Abgeordnete wollen ihrem Premierminister jetzt den Weg zu einem No-Deal- Brexit per Gesetz versperren. Bild: agentur_dpa/Jessica Taylor
Boris Johnson bei einem seiner Auftritte im Londoner Parlament: Britische Abgeordnete wollen ihrem Premierminister jetzt den Weg zu einem No-Deal- Brexit per Gesetz versperren.

Europa im Umbruch: Großbritanniens Premier Boris Johnson will auf Teufel komm raus aus der EU, in Italien hatte sich der bisherige Innenminister Matteo Salvini beim Poker um die Macht im Land verspekuliert. Und in Griechenland hoffen die Menschen auf Stabilität und eine gute Zukunft für sich und ihr krisengeschütteltes Land.

Demokratie wird attackiert

"Es ist unglaublich spannend", sagt Susan Batten-Seidl, Ehefrau des früheren Schulleiters des Herzog-Christian-August-Gymnasiums, über die aktuelle Situation in Großbritannien. Sie und ihr Mann Peter sind erst diese Woche aus ihrer britischen Heimat zurückgekehrt, waren in Wales und Manchester. Die Situation beobachtet das Paar sehr intensiv, verfolgt via TV die Parlamentsdebatten. Für die gebürtige Waliserin, die die doppelte Staatsbürgerschaft hat, steht fest: "Demokratische Selbstverständlichkeiten werden attackiert." Den britischen Premier charakterisiert sie als egoistisch. "Er ist jemand, der die Macht haben will. Dafür ist er bereit, alles zu tun, inklusive Lüge." Doch Johnsons Machtgelüste haben in den vergangenen Tagen einen Dämpfer nach dem anderen bekommen. Seine Strategie war, das Parlament in die verlängerten Ferien zu schicken, um den No-Deal-Brexit durchzuboxen.

Susan Batten-Seidl. Bild: Petra Hartl
Susan Batten-Seidl.

Nun zeigte das Unterhaus dem Premier die Grenzen auf: mit einem Gesetzentwurf, der einen harten Brexit zum 31. Oktober verhindern soll. Jetzt ist das Oberhaus am Zug. Susan Batten-Seidl geht fest davon aus, dass das Gesetz so kommen wird. Sie schätzt, dass es dann im November Neuwahlen geben wird. Labour habe die Chance, diese zu gewinnen. Susan Batten-Seidl ist fest davon überzeugt, dass das Parlament das Richtige tut, wenn es Widerstand gegen Johnson leistet. "Es verteidigt die Demokratie."

"Fast schon Kriegsdenken"

Längst geht es in ihren Augen nicht mehr nur um den Brexit und die Frage, ob Großbritannien die EU verlässt, "sondern darum, dass die parlamentarische Demokratie aufrecht bleibt." Und das ausgerechnet dem Land, das sich rühmt, das Mutterland der parlamentarischen Demokratie zu sein. "Wie sich jetzt das Parlament zurückkämpft, ist beeindruckend", findet die Britin. "Besser und spannender als Game of Thrones", urteilt sie über die Machtspiele. Brexit-Hardliner würden die EU zum Feind machen. "Das ist fast schon Kriegsdenken", findet die Britin und führt an, dass unter den 21 abtrünnigen Tory-Abgeordneten, die Johnson aus der Fraktion geworfen habe, auch Winston Churchills Enkel sei.

Marjorie Friedl. Bild: Petra Hartl
Marjorie Friedl.

"Ich habe keine Prognose", gesteht Marjorie Friedl, gebürtige Schottin, die seit 1974 in Deutschland lebt. "Es ändert sich einfach von Tag zu Tag", sagt sie über die aktuelle Situation in Großbritannien. "Es ist momentan ein Hin und Her." Dass das Vereinigte Königreich keine schriftliche Verfassung hat, mache es sehr schwierig. Gesetzliche Grundlage sei die Magna Carta von 1297. Großbritannien sei momentan wie gelähmt. "Diese Unsicherheit schadet der Wirtschaft, sie schadet dem ganzen Land." Überrascht ist sie, wie ausführlich die deutschen Medien derzeit berichten. "Wäre es andersrum, wäre dies nicht der Fall", meint sie.

Über den britischen Premier sagt sie, er sei jemand, der immer gewinnen wolle. "Er hat natürlich sehr viele treue Anhänger, er ist aber auch jemand, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt." Für Marjorie Friedl ist er ein "intelligenter Populist". Darauf festlegen, was passieren wird, will sie sich wirklich nicht: "Alles in der Schwebe - Überraschungen nicht ausgeschlossen."

Hoffnung für Griechenland

Dr. Angelos Gountidoudis ist gebürtiger Grieche, lebt seit 60 Jahren in Deutschland und betrieb bis vor wenigen Jahren eine Praxis am Loderhof. Nach dem Regierungswechsel sieht er Hoffnung für seine alte Heimat.

Dr. Angelos Gountidoudis. Bild: exb
Dr. Angelos Gountidoudis.

Der aus Thessaloniki, einer Großstadt im Norden des Landes, stammende 78-Jährige hat unzählige Male seine alte Heimat besucht, nach Griechenland unterhält er nach wie vor vielfältige Kontakte. Er informiert sich aus der deutschen, griechischen und internationalen Presse, verfolgt im griechischen Fernsehen die runden Tische mit deutschen, griechischen und internationalen Politikern, Wirtschaftsexperten und Journalisten. Der konservative Kyriakos Mitsotakis hatte bei den Parlamentswahlen im Juli Amtsinhaber Alexis Tsipras abgelöst. Vor vier Jahren war „die linksradikale Partei Syriza an die Macht gekommen“, deren Chef Tsipras habe mit strikten – und in Gountidoudis’ Augen brutalen – Sparmaßnahmen die Mittelschicht vernichtet. Die Steuern seien auf die höchsten in Europa gestiegen. Über 3000 kleine industrielle Betriebe seien nach Bulgarien oder Rumänien abgewandert. Sicher seien Sparmaßnahmen notwendig gewesen, beteuert der Arzt. „Aber nicht in diesem Maße mit sechs Rentenkürzungen und Senkung des höchsten Gehaltes auf 485 Euro netto monatlich.“

Das griechische Volk sei zwar duldsam, könne aber auch „hart und gerecht bestrafen“. Und das sei bei den Parlamentswahlen passiert: Tsipras gewann lediglich sechs Regierungsbezirke gewonnen, die anderen 54 gingen an Kyriakos Mitsotakis. Dessen Partei „Nea Dimokratia“ verortet Gountidoudis Mitte-Rechts, was der CDU/CSU in Deutschland entspricht. Unter Tsipras hätten 360 000 Griechen ihre Heimat verlassen, davon 14 000 Ärzte. 8000 Mediziner fanden laut Gountidoudis Arbeit in Deutschland, der Rest in England, Schweden, Norwegen und Frankreich. Die Arbeitslosigkeit sei explodiert – auf 28 Prozent im Schnitt. Und auf 66 Prozent bei der Jugend.

Für Gountidoudis steht Mitsotakis für „neue Ansätze in der griechischen Politik“. Die griechischen Großstädte Athen und Thessaloniki sollen wieder sicher werden. Einhalt gebieten wolle er auch „den anarchistischen Gruppierungen, die immer wieder Anschläge verübten und die von der Regierung Tsipras zu pfleglich behandelt wurden“. Der 78-Jährige aus Sulzbach-Rosenberg ist überzeugt davon, dass Mitsotakis das Vertrauen vieler Länder gewinnen werde. Gountidoudis verspricht sich davon internationale Investitionen in Griechenland und damit neue Arbeitsplätze. „Die vielen Milliarden Euro Schulden bei der EU und insbesondere Deutschland sowie dem Internationalen Währungsfonds sollen je nach Wirtschaftskraft des Landes stufenweise zurückgezahlt werden.“

Der Arzt betont, seine Landsleute „wollen vor allem Stabilität und Sicherheit und keine Demagogie mehr – weder von links noch von rechts“. Froh ist er, dass die rechtsextreme „Goldene Morgenröte“ nicht den Einzug ins Parlament geschafft hat. Gountidoudis findet, die Gehälter und Renten sollen stufenweise angehoben werden, „so dass ein menschenwürdiges Leben erreicht werden kann“. Gountidoudis erwartet, dass Mitsotakis der zunehmenden Verarmung Griechenlands ein schnelles Ende bereiten werde. „Ich bin optimistisch, dass meine alte Heimat es schaffen wird.“

Froh über Italiens neue Koalition

Italiens bisheriger Innenminister, der Rechtspopulist Matteo Salvini, dachte, er könnte ein Umfrage-Hoch für sich nutzen, um an die Macht zu gelangen. Doch dieses Pokerspiel ging mächtig daneben, das Land wird jetzt von einer Koalition des Regierungspartners Fünf-Sterne-Bewegung mit den bisher oppositionellen Sozialdemokraten regiert. Giuseppe Pizzurro, gebürtiger Sizilianer, der vor 50 Jahren seine Heimat verließ und seit 1977 in Sulzbach-Rosenberg lebt, hatte befürchtet, dass es nach dem Bruch der Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Salvinis Lega zu Neuwahlen kommen würde. „Die Menschen in Italien sind unzufrieden, und dann wählen sie Rechtspopulisten wie Salvini“, erklärt er.

Giuseppe Pizzurro. Bild: san
Giuseppe Pizzurro.

Und Salvini sei einer, der die ganze Zeit dafür gearbeitet habe, an die Macht zu kommen. „Und das tut er eben auch mit Propaganda.“ Doch nach Giuseppe Pizzurros Einschätzung hätten dem früheren Innenminister auch Neuwahlen nicht recht viel gebracht. 30 bis 35 Prozent hätte seine Lega bekommen, „sie hätte Bündnisse eingehen müssen – mit Silvio Berlusconis Forza Italia oder anderen rechten Parteien“. Dennoch hätte die Lega mehr Sitze im Parlament bekommen, „und auch mehr Macht“. Giuseppe Pizzurro, der mit Vincenzo Di Garbo und Domenico Maccataio das Ristorante Imperatore in Amberg betreibt, ist froh, dass es anders gekommen ist in Italien, dass die Vernünftigen jetzt das Land regieren: Europäer, die Stabilität bieten. „Das ist für Investoren wichtig, sie wollen Sicherheit haben.“ Allerdings: „In Italien kann man nie wissen, wie lange die Regierung hält“, erzählt Pizzurro lachend. Daran hätten sich seine Landsleute schon gewöhnt, sagt er. „Fünf Jahre, das wäre schon ein Wunder.“

 
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