Seit 1700 Jahren ist jüdisches Leben nördlich der Alpen belegt. Dieses Jubiläumsjahr nutzt der Schriftsteller Uwe von Seltmann, um in einem umfangreichen Buch über jüdisches Leben zu informieren und damit zu zeigen, wie viel die deutsche Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik den Juden verdankt. Bei einer Lesung in der Sulzbach-Rosenberger Synagoge stellte der Autor sein neuestes Werk vor.
Das Buch hat 344 Seiten, viel zu wenig, um wirklich umfassend die lange Geschichte und die vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten darzustellen. Seltmann musste deshalb auswählen und vieles herausstreichen. Deshalb kommt die Gemeinde in Sulzbach-Rosenberg zum Beispiel praktisch nicht vor. Auch die bedeutende Rolle von Juden im Sport, insbesondere im Fußball, ist dem Rotstift zum Opfer gefallen.
Gute Freunde
Jetzt ist das umfangreiche Werk keine trockene Abhandlung, sondern bietet Geschichte und Gegenwart in Geschichten – es ist ein Lesebuch. Der Lesung in der ehemaligen Synagoge mit dem Autor war deshalb auch keine wissenschaftliche Vorlesung, sondern eher ein Abend, bei dem gute Freunde vorgestellt wurden.
Einer davon war der Tenor Joseph Schmidt, ein großer Star der Zwanzigerjahre, dessen Hit „Ein Lied geht um die Welt“ aus dem gleichnamigen Film auch heute noch jeder kennt. Von Seltmann spielte das Lied vor, und obwohl die Aufnahme von 1933 rauschte und knisterte, war der Zauber von Schmidts Stimme spürbar. Der „Völkische Beobachter“ hetzte gegen den „Volksfremden“ und verherrlichte den „ehrlichen Marsch“.
Ein anderer, den die Besucher in der Synagoge kennenlernten, war Ludwig Börne (1786-1837). An seinem Werdegang lässt sich eines der ganz großen Themen darstellen, die die Juden im 19. Jahrhundert bewegten. Damals begann die Judenemanzipation, also die Gleichstellung mit Christen, und die Assimilation. Auch Börne, geboren als Juda Löw Baruch ließ sich taufen, um die „erhoffte Eintrittskarte in die christliche Mehrheitsgesellschaft“ zu erhalten.
Religion oder Volk?
Bei der Beschäftigung mit Börne stellte sich die schwierige Frage, was überhaupt Judentum ist: eine Religion oder ein Volk? Unterschiedliche Gruppen geben verschiedene Antworten. Für die jüdische Orthodoxie ist das Kind einer jüdischen Mutter Jude. Aber was ist dann mit den Juden, die aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen sind, und einen großen Anteil an den hiesigen Gemeinden haben? Die sowjetischen Behörden haben die „jüdische Nationalität“ den Kindern eines jüdischen Vaters zuerkannt. Oder hängt es an der Religion? Wie sieht man dann getaufte oder atheistische Nachkommen einer jüdischen Mutter? Ein Rabbi, berichtete von Seltmann, sagte heute, dass Jude ist, wer Jude sein will. Das ist pragmatisch und respektvoll.
Der Abend mit den vielen Geschichten und Liedern gab einen Einblick in die faszinierende Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland mit ihren guten und auch schlechten Zeiten. Eine wichtige Erkenntnis nahmen die Besucher mit: Das eine Judentum gibt es nicht.
Uwe von Seltmann: „Wir sind da – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“; 344 Seiten; homunculus Verlag Erlangen 2021; 35 Euro.
„Ein Rabbi sagte, dass Jude ist, wer Jude sein will. Das ist pragmatisch und respektvoll.“
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