Das aktuelle Chaos um die Brexit-Verhandlungen und die Abstimmungen im britischen Parlament verfolgt die gebürtige Schottin natürlich in den Medien. Der deutschen Presse stellt sie diesbezüglich ein sehr gutes Zeugnis aus: "Sie berichten wirklich gut darüber." In englischen Zeitungen sei dies nicht so, die Berichte seien parteipolitisch eingefärbt, je nachdem ob die jeweilige Zeitung dem linken oder dem rechten Lager zuzuordnen ist. Marjoirie Friedl schaut momentan täglich die BBC ("Die ist einigermaßen neutral") und Sky news.
Für Marjorie Friedl liegt das momentane Dilemma um den Brexit darin, dass sich zwei Parteien uneins sind. Für die Sulzbach-Rosenbergerin wurden in der Vergangenheit in Zusammenhang mit dem Brexit viele Fehler gemacht. Zum Beispiel, dass Premierministerin Theresa May im April 2017 eine vorgezogene Neuwahl zum britischen Unterhaus ausgerufen hatte, wodurch ihre Partei die absolute Mehrheit der Unterhaussitze verlor. "Jetzt braucht May Unterstützer außerhalb ihrer Partei." Und da seien die Abgeordneten der nordirischen Democratic Unionist Party nicht immer zuverlässig. "Sie sind ziemlich pro-britisch und haben auch eine bestimmte Macht", erklärt Marjorie Friedl die DUP.
In den Austrittsverhandlungen mit der EU habe May zudem zu viel Rücksicht auf ihre eigene Partei genommen, kritisiert Friedl. "Jetzt muss man irgendwie einen Konsens finden", erklärt sie. Zumal die Uhr ticke. "Ich hoffe, dass sie es irgendwie schaffen, einen soften Brexit hinzubekommen." Egal, wie es ausgehe - "es wird immer welche geben, die unzufrieden sind." Bei den Tories gibt es laut Friedl rund 30 Abgeordnete um Boris Johnson, einem der Väter der Brexit-Kampagne, die dem ganz rechten Lager zugehören. "Sie haben es mit Lügen und Propaganda geschafft, das viele Leute für den Austritt aus der EU gestimmt haben."
Laut Marjorie Friedl hätten sich viele frustrierte junge Leute gar nicht an der Abstimmung über den Verbleib in der Europäischen Union beteiligt. Für den Brexit hätten vor allem ältere Bürger votiert. "Sie haben immer noch den Traum vom vergangenem Großbritannien und seiner Größe." Dem sei aber nicht so. "Der Wirtschaft im Land geht es nicht gut, das Bruttoinlandsprodukt ist im vergangenen Monat um 2,5 Prozent runtergegangen." Marjorie Friedl verhehlt nicht, dass sie momentan schwarz sieht. "Die aktuelle Situation lähmt alles, die Fronten sind so verhärtet." Sie sieht Kooperationen in Gefahr, zum Beispiel beim Kulturaustausch. Oder bei den britischen Universitäten mit vielen europäischen Studenten. Jetzt hofft Friedl inständig, dass es zu einer Lösung kommen wird und es keinen harten Brexit geben wird.
In ihre Heimat hat sie noch viele Kontakte. Viele ihrer Bekannten und Freunde seien hinsichtlich des Brexit-Chaos’ genervt „von der Unfähigkeit der Politiker, einen Kompromiss zu finden“. Marjorie Friedl ist Schottin. Ihre Landsleute hatten zu 60 Prozent für „remain“, also für den Verbleib in der EU votiert. „Nordirland und Schottland waren die Regionen, die von der EU profitiert haben und das auch zu schätzen wissen“, sagt sie.
Anders habe es in London und im Südwesten Englands ausgesehen. „Da leben vor allem gut betuchte Familien.“ Sollte es zu einem harten Brexit – und damit zu einer Grenze zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich – kommen, dann sieht Marjorie Friedl in der Region Wales den großen Verlierer. Warenverkehr aus Irland in Richtung europäischem Festland verlaufe aus Kostengründen zu einem großen Teil über Wales. Wäre eine Grenze, würden Waren direkt von Irland nach Frankreich gebracht, zum Beispiel Butter und Milch von Kerrygold. „In Wales hängen also auch viele Arbeitsplätze davon ab.“
Marjorie Friedl wird derzeit in Deutschland viel auf den Brexit angesprochen. Auch in den Englisch-Kursen, die sie an der Volkshochschule gibt, wird die aktuelle Situation thematisiert. Sie erzählt, dass einige im Gespräch mit ihr gesagt hätten, die Briten sollen endlich rausgehen aus der EU, „aber im großen und ganzen ist die Einstellung der Leute hier, dass es schade ist, dass Großbritannien die EU verlassen wird“.
Die Ansicht vieler Befürworter eines harten Brexit, dass Großbritannien ohne die EU eigene Handelsabkommen schließen könne, teilt Marjorie Friedl nicht. „Ich glaube, diese Leute überschätzen die Bedeutung des Commonwealth gewaltig.“ Sie hatte als Expat, also als eine außerhalb Großbritanniens lebende Bürgerin des Vereinigten Königreichs, nicht am Brexit-Referendum teilnehmen dürfen. Hätte sie gedurft, sie hätte mit "remain" gestimmt: also für den Verbleib ihres Mutterlandes in der EU.
Uralte Tradition
Für viele Menschen hierzulande muten die Brexit-Debatten im britischen Parlament skurril an. Für die gebürtige Schottin Marjorie Friedl hingegen ist es „eine ganz andere Art zu debattieren“. Dass es ziemlich ungeordnet aussieht, liege daran, dass es zu wenige Sitzplätze im britischen Unterhaus für die Abgeordneten gibt und deshalb manche mit Stehplätzen vorlieb nehmen müssen. „Aber sie wollen das so“, sagt Marjorie Friedl. „Sie halten sehr an ihrer Tradition fest“, erklärt die Sulzbach-Rosenbergerin. Selbst bei hitzigen Debatten im Parlament wird der politische Gegner immer noch mit „the honourable Gentleman“ (der ehrenwerte Herr) angeredet.
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.