An die letzte Partynacht im WS Club in Kulmain kann sich Inhaberin in Edeltraud Weyh-Preßler noch gut erinnern. Am 13. März 2020. Danach ging es Knall auf Fall, erinnert sich die 55-Jährige. „Keiner wusste, was passiert. Wir dachten in ein paar Wochen können wir wieder aufsperren. Mit 15 Monaten hat keiner gerechnet.“
Familienbetrieb seit 90 Jahren
Wehy-Preßler ist mit dem WS – einem Familienbetrieb – aufgewachsen. Gebaut hat den Festsaal zur Metzgerei 1928 ihr Großvater, den ihr Vater übernommen hat und zur Disco umbaute. Dass der Club mal eineinviertel Jahre geschlossen blieb, das hat es noch nie in der über 90-jährigen Geschichte der Disco gegeben. Vor zwei Jahren verstarb ihr Vater im Alter von 84 Jahren. „Manchmal frage ich mich schon, was er zur aktuellen Situation sagen würde, wenn er auf uns runter schaut“, sagt die Disco-Betreiberin.
Alle zwei Tage schaut die Kulmainerin im WS nach dem Rechten, sie wohnt nur ein paar Straßen weiter. Wenn sie dann Licht und Musik startet und auf die menschenleere Tanzfläche blickt, kommen ihr manchmal die Tränen. „Der Club hier drinnen, diese Location hat einen Charme, dazu gibt es kein Ausweichprogramm“, findet auch Tochter Linda Preßler, die ihre Mutter im Club unterstützt. Wie seltsam wäre das, wenn die Leute hier wie im Stuhlkreis vorm DJ-Pult sitzen, Abstand halten und mit Maske ihre Getränke holen müssen? „Da kommt doch keine Stimmung auf. Das ist nicht das, wofür wir als Disco stehen“, sagt die 31-Jährige, die hauptberuflich im Marketing arbeitet.
Verärgert über Gerüchte
Besonders dass es Gerüchte über das WS gibt, ärgert die Betreiberin. Es hieß schon, das WS werde abgerissen und stattdessen ein Wohnblock oder ein Hotel hingebaut. Weyh-Preßler hält dagegen: „Sobald wir wieder dürfen, sperren wir auf.“ Der Club ist ihr Leben. Sie stand schon gemeinsam mit ihrer Mutter als 13-Jährige hinter dem Tresen. „Ich wollte nie etwas anderes machen!“ Zwar machte sie als junge Mutter zweier Kinder eine Ausbildung zur pharmazeutisch technischen Angestellten während ihr Mann studierte. Jede freie Minute verbrachte sie im WS.
Trotz der monatelangen Zwangspause ist die 55-Jährige motiviert. Sie ließ die Lüftungsanlage mit Reinigungsfiltern aufrüsten. Im Eingangsbereich will Weyh-Preßler für den Kassier eine Plexiglasscheibe montieren, ebenso werden neue Bildschirme angeschafft, über die dann die Getränkekarte zu sehen ist. „Flyer auf den Tresen, die jeder anfasst, will bestimmt keiner mehr“, findet auch ihre Tochter Linda. Die 31-Jährige hat Verständnis. Das Geschäftsmodell Disco sei schwer mit einem Hygienekonzept vereinbar. Trotzdem scheiße, dass zu ist. Eine Öffnung mit Regeln – vielleicht nur die Hälfte der Leute in die rund 350 Quadratmeter große Disco reinlassen, Registration mit Luca-App – können sich beide gut vorstellen. „Es wäre schön, wenn uns langfristig eine Perspektive in Aussicht gestellt wird“, sagt Linda. Dass die Diskotheken und Nachtclubs in die gleiche Schublade gesteckt werden wie Spielotheken und Bordelle, ärgert Mutter und Tochter. „Die Party im Club ist doch auch eine Kulturveranstaltung und nicht mit einem Bordell zu vergleichen!“
„Mit den Überbrückungshilfen kommen wir gut hin“, sagt Weyh-Preßler. Damit kann die Inhaberin die laufenden Kosten für den Betrieb ungefähr ausgleichen. Das Geld sei aber für den Betrieb und nicht für sie als Privatperson. „Da braucht man schon ein sehr dickes Sparbuch. Wer hat schon ein finanzielles Polster, dass man eineinviertel Jahre nicht arbeiten muss? Hoffnung, im Herbst wieder aufsperren zu können, haben Mutter und Tochter dennoch. „Ich hab zwar schon letztes Jahr auf den Herbst gehofft, aber vielleicht wirds heuer was.“
Leben von Tag zu Tag
„Jetzt werden es schon 15 Monate“, sagt Alex Holländer er niedergeschlagen. Der 30-Jährige betreibt das No4 in Tirschenreuth. „Schön ist anders. Man hangelte sich anfangs von Monat zu Monat, jetzt eher von Tag zu Tag.“ Dass die Diskotheken und Clubs als erstes dicht machen mussten und wahrscheinlich als allerletztes wieder öffnen dürfen, enttäuscht ihn bitter. Holländer fühlt sich von der Politik im Regen stehen gelassen.
In allen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens gebe es Lockerungen: Fußball sei wieder erlaubt, sogar mit mehreren Hundert Zuschauern unter freiem Himmel, die Außengastronomie darf öffnen, selbst in den Urlaub kann man wieder fliegen. „Das wird langsam lächerlich. Nur bei den Discos und Clubs kriegt man es nicht auf die Reihe. Über uns wird nicht mal nachgedacht oder gesprochen“, ist Holländer wütend. Im Freistaat gibt es für Discos noch gar keine Öffnungspläne. Kommen diese dann doch mal in irgendwelchen Stufenplänen vor, werde eine Öffnung ab einer Inzidenz von unter 5 empfohlen. Bei den 1200 Quadratmetern Fläche aufgeteilt in die Bereiche Bistro, Terrasse, Club und Mainhall dürfe pro 10 Quadratmeter nur ein Gast eingelassen werden. Für 120 Leute aufzusperren – wo normalerweise 500 bis 1500 Leute tanzen – mache für Holländer keinen Sinn. Man müsse „die Burg“ ja trotzdem heizen, DJ und Personal bezahlen. Seiner Meinung nach wären Öffnungen der Clubs und Discos mit Hygienekonzepten aber durchaus möglich. „Die Clubs könnten teil der Lösung sein“, findet der 30-Jährige. Denn junge Leute hätten sich im Frühjahr illegal getroffen. In der Disco würde man laut Holländer die Kontaktdaten besser verfolgen und auch die Personenanzahl überschaubar halten können.
Wirtschaftliche Einbußen enorm
Er ist mindestens einmal wöchentlich im No4, um etwa die Licht- und Tontechnik in Schuss zu halten. Außerdem lässt er gerade Reinigungsfilter in die Lüftungsanlage einbauen. Weitergehen wird es sicher, sagt der Club-Betreiber, die Frage sei nur wie. „Das Ganze hat mich schon viele schlaflose Nächte gekostet.“ Die Schließung sei für ihn sowohl psychisch als auch finanziell sehr belastend. Die wirtschaftlichen Einbußen seien enorm. Zwar habe er für das No4 November- und Dezember-Hilfe beantragt, die erste Abschlagszahlung kam dann im Januar. „Das waren vorher trotzdem neun Monate in denen man keinen Cent verdient hat.“ Auch einen Antrag auf Überbrückungshilfe III reichte Holländer ein.
Dennoch schätzt sich der Disco-Inhaber, der das No4 seit September 2019 betreibt, noch glücklich. Sein Verpächter sei sehr verständnisvoll. „Das geht Hand in Hand“, sagt Holländer. Neben Familie und Freunden unterstützt ihn auch sein Arbeitgeber. Der 30-Jährigen arbeitet hauptberuflich als Bauleiter für Elektrotechnik bei der Firma Schmeller in Waldsassen. „Man merkt, man steht nicht alleine da.“
Hoffnung auf Öffnung im Herbst
Die Live-Streams oder Open-Airs, die er im vergangenen Sommer etwa mit Kollegen auf dem Autohof Bergler in Neuhaus organisierte, seien mit massiven Aufwand verbunden. Ebenfalls die Veranstaltungen in Grafenwöhr und in Pressath, bei denen er als DJ auftrat. „Damit zeigen wir nur, dass wir noch da sind. Aber rentieren tut sich das nicht.“ Für diesen Sommer seien laut Holländer noch keine Veranstaltungen vorgesehen. „Man kann ja nicht groß was planen.“ Am Ende müsse man nur absagen, dann sei die Enttäuschung noch größer, bedauert er die Planungsunsicherheit.
Aufgrund der rapide gesunkenen Inzidenzwerte in den vergangenen Wochen und den Impfungen hofft Holländer, dass er im Herbst das No4 wieder aufsperren kann. Wenn er aber daran denkt nur Getestete, Geimpfte und Genesene reinlassen zu dürfen, wird ihm Angst und Bange: „Wir wollen eigentlich niemanden ausschließen.“
„Das wird langsam lächerlich. Nur bei den Discos und Clubs kriegt man es nicht auf die Reihe.“
„Die Party im Club ist doch auch eine Kulturveranstaltung und nicht mit einem Bordell zu vergleichen!“
Sehnsucht nach Party
Es gibt eine Branche, deren Kerngeschäft seit Beginn der Pandemie brach liegt. Voraussichtlich wird diese auch die letzte sein, die wieder durchstarten darf. Leise sterben die eigentlich so lauten, bunten Discos und Clubs in der Coronakrise vor sich hin. Geschäfte, Restaurants, Kinos, Sport, Kultur: Allen Bereichen des öffentlichen Lebens werden Perspektiven geboten. Nur den Clubs nicht. Sie durften nicht einmal wie andere Kultureinrichtungen zwischen den beiden Wellen im Sommer des vergangenen Jahres öffnen. Der Besuch in der „Disse“ fehlt. Sehr. Man möchte sich wieder in die Menge stürzen, laut Musik hören, vor dem DJ-Pult abtanzen. Das Partyvolk ist genervt – Aber den Disco-Betreibern geht es an die Existenz. Alle bisherigen Lockerungen waren dringend nötig. Schön, dass wieder Konzerte und Kultur möglich sind. Aber Leute in den 20ern wollen bei keiner Stadtführung dabei sein, sondern in den Club. Und auch die Diskotheken gehören zur Kultur, genauso wie Museen oder Kinos. Die Betreiber bemühen sich sehr, sind kompromissbereit, erarbeiten Hygienekonzepte. Bitte, liebe Politik, lass das Nachtleben nicht sterben!
Von Lena Schulze