"Kirche ist langweilig". Ein provokativer Satz, der ausgerechnet auf einem Zettel an der Tür einer Kirche prangt. Neue Reformen von Martin Luther sind es nicht. Aber was dieser Hinweis sagen möchte, geht schwer in Richtung Kirchenreformen.
Von Grund auf umkrempeln
Mit "Kirche ist langweilig" für die Jugend und einer zweiten Einladung mit Titel "Kirche für mich" sind alle Generationen eingeladen, Veränderungen mitzutragen. Schauplatz ist die Erlöserkirche. Pfarrerin Dr. Stefanie Schön steht im Kirchenschiff und erklärt, um was es ihr geht. "Veränderungen gab es hier häufig." Jeder ihrer Vorgänger habe seine eigenen Vorstellungen von Kirche umgesetzt, sagt sie. Stefanie Schön möchte das innere Kirchenbild nebst Gemeinderäume von Grund auf umkrempeln. Was sie sagt, klingt ein wenig auch wie ein geistiges Umkrempeln der menschlichen Vorstellungen von Glaube und Kirche.
Kirchenbänke werden entfernt
In Tirschenreuth wird das Reformieren von altbackener Kircheninnenarchitektr keine kleine Sache: Es werden Türen versetzt, Wände sollen lichten Glasschiebetüren für mehr Weitblick weichen, die Kirchenbänke werden herausgerissen, eine Theke und eine offene Küche sind angedacht. Ob und was möglich ist, damit hat sich bereits das Architektenehepaar Winter vom Büro M8 aus München befasst. Dr. Schön lädt nun am Samstag im zweiten Schritt Interessierte ein, diese ersten Pläne kennenzulernen und sich selbst mit Ideen einzubringen.
Die Fragestellung lautet: "Wie sieht ein Raum aus, in dem wir uns wohlfühlen und gern Zeit verbringen?" "Wie ein Wohnzimmer" kann sich die Pfarrerin Kirche vorstellen. Sie möchte Kirche damit attraktiver machen, zum Anfassen, wohlfühlen, gern verweilen. "Wenn hier 80 Kinder sitzen, ist die Bewegungsfreiheit arg eingeschränkt", erklärt sie mit Blick auf die starren Kirchenbänke und den Kinderbibeltag, wo es nur so wimmelt von Kindern im Gebäude. Schön ist sich sicher, diese Bankreihen müssen endlich weg. Zumal sie auch keinen antiken oder materiellen Wert haben.
Lockere Stuhlkreise
Die Pfarrerin hat als Test bereits drei Bankreihen entfernt und Stühle aufgestellt. "So können wir lockere Stuhlkreise bilden, uns gegenüber sitzen oder einfach gar nicht bestuhlen." Geselligkeit als Comeback in einem Haus, das einst eine Gaststätte war wie die Erlöserkirche. Pfarrerin Schön hat konkrete Vorstellungen, was moderne Kirche ist. Als nur eines von vielen Beispielen nennt sie das "Gründonnerstagsmahl" mit immer vielen Teilnehmern. "Wir sind eine lebendige, große Gemeinde. Im Landesdurchschnitt sind wir zahlenmäßig in Tirschenreuth bestens aufgestellt", so Schön.
Besonders der Jugend will sie mehr Freiraum ermöglichen. "Laufen bei uns 80 Buben und Mädchen herum, ist was los." Schön denkt aber auch an offene Gottesdienste, Konzerte, christliches Yoga, was immer in einem großen Saal möglich ist. Mit Blick auf das große Kreuz im Altarraum stellt sie sich die Fragen, ob eine derartige Darstellung von Jesus noch sein müsse und ob auch Predigt wie bisher nicht längst überholt sei. "Wir können Gesprächsrunden bilden. Die Leute sollen sich unterhalten, ihre Sorgen und Alltagsgeschehnisse austauschen können."
Erbschaft ermöglicht Umbau
Kirche neu definieren: Dafür werden in der Erlöserkirche Wände weichen, ein offenes Foyer soll einladen zum Bleiben und Verweilen, auch nach den Gottesdiensten. Der Weg raus aus der Starre hin zu mehr Offenheit und Gemeinschaftssinn ist allerdings nicht von heute auf morgen getan. Schön erzählt von einer Erbschaft, die eine Umgestaltung überhaupt erst möglich macht. Auch sollen Fördermittel eingesetzt werden. Sie schätzt mit einer Planungsphase bis Ende dieses Jahres. "2022 können die Umbauten beginnen." Im Zuge der Umgestaltung ist moderne Technik möglich. Eine Fußbodenheizung, neue Fenster und Barrierefreiheit sind angedacht. "Kirche kann ein zweites Wohnzimmer sein", sinniert Schön darüber, was neben dem spirituellen Gedanken, der natürlich erhalten bleibe, möglich sei.
"Alle Generationen werden eingebunden. Es geht auch darum, wie sich unsere Jugendlichen Kirche heute vorstellen", sagt sie. Sie würde sich freuen, wenn am digitalen Workshop auch viele Jugendliche teilnehmen. "Und nicht nur Protestanten sind zum Mitgestalten eingeladen", betont sie.
Online-Workshop "Kirche für mich" an diesem Samstag
- Online-Workshop „Kirche für mich“ am Samstag, 15. Mai von 14 bis 18 Uhr. Beginn ist mit einer Präsentation des Projekts durch das Architekturbüro M8. Nach ersten Rückfragen kann aus vier Themenbereichen ausgewählt werden: 1. Kirchen(t)raum – sakrale Elemente und Raumnutzung sowie alternative Gottesdienstformen. 2. Co-Work-Space – flexible Nutzung der Gemeinderäume. Neue Angebote, z. B. Musik, offene Bühne, Kultur, Kino, Lesungen, geistliche Angebote. Angebote für Familien, Senioren, Miteinander kochen. 3. Komm herein: Gestaltung der Außenbereiche, Eingänge und des Foyers. Konzepte für eine einladende Gemeinde. 4. Jugend-Projekt Container, Bauwagen. Ideen für Jugendliche. Anmeldungen sind über die E-Mail pfarramt.tirschenreuth[at]elkb[dot]de möglich. Bitte rechtzeitig anmelden, damit die Zoom-Schaltung vorbereitet werden kann.
- Zur Erlöserkirche. 1904 wurde eine Turnhalle mit Gastwirtschaft und Tanzsaal südlich der Altstadt erworben und umgebaut. Eine eigenständige Pfarrei wurde Tirschenreuth erst 1940. 1965 folgte der Bau des Kirchturms. Im Altarraum stand anfangs eine Plastik eines Münchener Künstlers, die Jerusalem darstellte. Sie wurde in den 90er Jahren durch das Kruzifix ersetzt. Die Kirche habe sich je nach Bedarf, Zeitgeist und Geschmack des Pfarrers immer wieder verändert, betont Stefanie Schön.
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