Kliniken Nordoberpfalz: Banges Warten im Landkreis Tirschenreuth auf Entscheidungen

Tirschenreuth
09.05.2023 - 11:51 Uhr
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Ist das Gesundheitswesen noch zu retten oder bleiben vor allem kleinere Krankenhäuser auf der Strecke? In einem Flächenlandkreis wie Tirschenreuth ist die Sorge groß. Der Vorstand der Kliniken Nordoberpfalz (KNO) bemüht sich um Klartext.

Krise war eigentlich immer. Das weiß Michael Hoffmann, der seit 2021 Chef der Kliniken AG ist und sein Arbeitsleben in der Pflege begonnen hat. 1983 stand er mit Kollegen in Mainz auf dem Markt und forderte mehr Pflegekräfte, erinnert er sich. Doch die Krise im Gesundheitswesen hat eine bisher unbekannte Ausprägung angenommen: "Selbst wenn wir Geld hätten, kriegen wir keine Leute", benennt er das Problem des Personalmangels bei gleichzeitig prekärer Finanzlage.

Betriebswirtschaftlich, betont der Vorstand, ist ein Unternehmen wie die Kliniken AG eigentlich nicht mehr tragbar. Die Nordoberpfälzer stehen mit den Problemen nicht alleine da, zitiert er Pressemeldungen von zwei- oder gar dreistelligen Millionen-Defiziten von Krankenhäusern aus der ganzen Republik. Wie hoch die Verluste der AG aktuell ausfallen, ist öffentlich nicht bekannt. Auch nicht, ob und wie viel Geld die Landkreise Neustadt und Tirschenreuth und die Stadt Weiden noch zuschießen müssen – zusätzlich zu den bereits erfolgten Summen. Zuletzt musste 2019 ein Trägerdarlehen von 50 Millionen Euro die Insolvenz abwenden.

"Sterben auf Raten"

Vorstand Michael Hoffmann und Dr. Edgar Pscheidl, Chefarzt der Anästhesie in Tirschenreuth, stehen einer Delegation von CSU-Politikern aus dem Landkreis Tirschenreuth unter dem Titel "Regionale Gesundheitsversorgung sichern" Rede und Antwort. Die Zeit drängt: "Wenn es noch ein halbes oder ein ganzes Jahr dauert, bis eine Regelung kommt, werden viele Krankenhäuser nicht mehr existieren", befürchtet der Chef der KNO ein "Sterben auf Raten". Der Klinikbetrieb müsse finanziell so auskömmlich sein, dass die Kommunen nicht ständig Geld nachschießen müssen. Hoffmann formuliert die zentrale Frage: "Wie schaffen wir es, dass die Bevölkerung möglichst schnell auf hohem Niveau Hilfe bekommt und nicht gleich in eine Uniklinik muss?"

Richtig viel Hoffnung auf einen guten Ausgang der Gesundheitsreform, die Bundesminister Karl Lauterbach angekündigt hat, liegt nicht in der Luft im Besprechungszimmer des Medizinischen Versorgungzentrums am Krankenhaus Tirschenreuth. Und dennoch ist es mehr als ein Strohhalm, die Kliniken weg von Fallpauschalen und reiner Rentabilität zu bringen. Allerdings tun sich bei den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern, die für die Krankenhausplanung zuständig sind, Konflikte um Kompetenzen auf, sagt Landtagsabgeordneter Tobias Reiß. Die Kliniken Nordoberpfalz verteidigt er als von den Kommunen getragenes Flaggschiff. Die Akutversorgung sei eine der großen Herausforderungen in der Region: "Entscheidend ist, dass Betroffene im Notfall sofort kompetente Hilfe bekommen."

Zulauf in der Notaufnahme

Stichwort Notfall: Der ist bei Aufsuchen der Notaufnahme nicht immer gegeben, weiß Vorstand Hoffmann. "In Weiden hatten wir dort vergangenes Jahr 10.000 Patienten mehr als vor Corona 2019." Nicht alle seien schwer krank: "Die finden einfach keine Ärzte mehr." Ziel müsse eine stärkere Verzahnung der Arbeit von Krankenhaus und niedergelassenen Ärzten sein, fordert er Gespräche mit der Kassenärztlichen Vereinigung und eine Stärkung der ambulanten Struktur. Es sei eine politische Aufgabe, beide Systeme zu synchronisieren. Viele Patienten, die in der Notaufnahme landeten, könnten bei einem zeitlich und örtlich annehmbaren Angebot anderweitig ordentlich versorgt werden, ist der Klinikvorstand überzeugt.

Wo bekommen die Krankenhäuser Mitarbeiter her? Ein riesiges Problem, das sich auch durch Zentralisierung auf weniger Standorte nicht einfach lösen lässt, gibt Chefarzt Pscheidl zu bedenken. Das habe man nach der Schließung des Krankenhauses Waldsassen gesehen: "Die wenigsten sind heute noch in der AG." Viele Pflegekräfte orientierten sich neu und wollten wohnortnah arbeiten, das werde sich auch bei weiteren Konzentrationen zeigen. Es sei ein falscher Schluss der Politik, dass jemand aus Tirschenreuth ohne weiteres täglich etwa nach Weiden fahre.

Betten gesperrt

Auch in Tirschenreuth sind Betten gesperrt, "weil wir keine Leute kriegen", bestätigt Vorstand Hoffmann. Finanzielle Anreize zeigten wenig Wirkung: Selbst eine vierstellige Werbeprämie, vor etlichen Wochen ausgelobt, brachte keine einzige Empfehlung im Pflegebereich, erzählt er. Bewährt hat sich seiner Ansicht nach die Möglichkeit, dass Operateure standortübergreifend arbeiten. Das bestätigt der Chef der Tirschenreuther Anästhesie: Auch Assistenzärzte und Pfleger profitierten davon, wenn sie auch mal mit einer Lungen-OP anstatt einem Blinddarm zu tun haben.

Man müsse definieren, wer was wo finanziert, und das den Bürgern auch mitteilen, fordert Landrat Roland Grillmeier. "Weder der Bund noch das Land sagt, wie es weitergeht." Derzeit sei kein Weg erkennbar: "Viele meiner Kollegen sagen, wir können nicht mehr", bringt er die Stimmung der Landräte bei der Gesundheitsversorgung auf den Punkt. Der Landkreis Tirschenreuth habe viele Millionen Euro in die Krankenhäuser investiert und nicht zuletzt für funktionierende Ärztehäuser gesorgt. Jetzt müsse eine Entscheidung über die Ausrichtung der Kliniken fallen, um auch die Bevölkerung mitzunehmen. Sein Bekenntnis zur AG ist dennoch klar: "Wenn wir eigenständig geblieben wären oder privatisiert hätten, wären wir schon weg."

Welcher Standort hat Bestand, welche Abteilung Zukunft? Auf konkrete Fragen gibt es bei diesem offenen Austausch keine Antworten, aber nachdenkliche Mienen der CSU-Mandatsträger aus dem Landkreis. "Wir verwalten den Kollaps", fühlt sich Tirschenreuths Bürgermeister Franz Stahl von der höheren Politik im Stich gelassen. Das Aufsichtsratsmitglied der Klinken AG verrät: "Wir diskutieren auch über schmerzhafte Dinge."

"Wir müssen vor Ort flexible Strukturen möglich machen", hofft Tobias Reiß auf konstruktive Lösungen. Demnächst trifft er sich wieder mit dem bayerischen Gesundheitsminister. Die Lage ist ernst, macht Kliniken-Vorstand Hoffmann deutlich: "Wenn in München oder Berlin ein Krankenhaus schließt, kann der Patient mit der Straßenbahn einfach zur nächsten Klinik fahren." Für Orte wie Tirschenreuth ist das aus zweierlei Gründen keine Option.

Hintergrund:

Krankenhaus Tirschenreuth

  • Geschichte: 1819 als Armen- und Krankenanstalt gegründet, Neubau seit 1953 in Betrieb, 1993 Erweiterungsbau
  • Letzte Sanierung: für 26 Millionen Euro 2021 abgeschlossene Modernisierung Notaufnahme, OP-Bereich und Endoskopie
  • Betten:145, davon knapp 100 verfügbar
  • Mitarbeiter: rund 400 vor Ort tätig
  • Patienten: rund 6000 jährlich (vor Corona)
  • Abteilungen: Innere Medizin und Akutgeriatrie sowie standortübergreifend mit Klinikum Weiden Allgemeinchirurgie, Unfallchirurgie/Orthopädie sowie Gynäkologie und Geburtshilfe
 
 

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