Kreuzfahrt-Schiff gegen Kleinstadt-Hotel getauscht

Tirschenreuth
11.09.2020 - 14:04 Uhr
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Nach dem Corona-Lockdown bringt Michael Ochmann den Betrieb im Hotel Seenario wieder auf Kurs. Als Hoteldirektor auf Kreuzfahrtschiffen fuhr er jahrelang zur See. Er erzählt, wie es ihn nach Tirschenreuth verschlagen hat.

Die vergangenen 20 Jahre lebte Michael Ochmann, seit Juni neuer Hoteldirektor im Seenario, überwiegend in den USA. Ursprünglich stammt der 53-Jährige aus Bielefeld. Bis zum Frühjahr arbeitete Ochmann für die Reederei MSC. "Ich habe miterlebt, wie die ganze Industrie wegen Corona von einer Woche auf die andere still stand." Wenn sich diese Tür schließt, muss eine neue aufgehen, sagte sich Ochmann und entschied, sich anderweitig umzusehen. "Nicht nur die Kreuzfahrt-Industrie, sondern die ganze Hotellerie weltweit leidet", weiß der erfahrene Hotelier. Er entschied sich bewusst für einen Job in Deutschland. Hier schätzt er besonders das Sozial- und Gesundheitssystem. Ochmann landete in Tirschenreuth der nördlichen Oberpfalz, einer Stadt mit rund 9000 Einwohnern - so viele Menschen wie auf einem der größten Schiffe, die Ochmann betreute, Platz hätten. "Große Städte hatte ich genug in meinem Leben. Hier ist es wirklich erholsam", zieht er eine erste Bilanz nach zwei Monaten in der Kreisstadt. "Man pflegt hier eine sehr gesunde Lebensweise im Vergleich zu dem, was ich bisher kennengelernt hatte."

Nach Ausbildung ins Ausland

Nach seiner Ausbildung zum Koch und zum Kellner an einer Hotelfachschule landete er ziemlich schnell im Ausland. London, Orlando, Maui: Bei der Hyatt-Hotelgruppe arbeitete er sich hoch bis zum Restaurant-Manager. Über weitere berufliche Stationen in Tirol, Köln und Berlin ging es Mitte der 90er ins "Four Seasons" nach Boston. Private Umstände führten dazu, dass Ochmann "etwas ganz Exotisches" ausprobierte und um die Jahrtausendwende in die Kreuzfahrt-Industrie wechselte. Von Boston ging es nach Miami im US-Bundesstaat Florida, zunächst zwei Jahre als stellvertretender Hoteldirektor bei der "Norwegian Cruise Line", von 2003 bis 2013 fuhr der Ostwestfale als Hoteldirektor bei der Reederei "Royal Caribbean International" zur See. 2013 wechselte er als Hoteldirektor zur "Aida Cruise Line" mit Sitz in Rostock. Die letzte berufliche Station vor Tirschenreuth: Ochmann war bei "MSC Cruises" mit Sitz in Genf für die Inbetriebnahme großer Schiffe mit Platz für bis zu 7000 Passagieren zuständig, von der Werft bis zur Gästebetreuung bei der Jungfernfahrt.

Ob an Land oder an See, die Motivation der Mitarbeiter entscheidet alles. Und die Gäste wollen unterhalten werden.

Michael Ochmann

"Das Vagabundenleben sollte man schon im Blut haben", kommentiert der 53-Jährige die vielen Stationen seiner beruflichen Karriere. Mit der Familie sei die Arbeit auf See gut zu vereinbaren, findet der Hoteldirektor. Turnsmäßig war er drei Monate am Stück auf See und 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche für alles und jeden auf dem Schiff zuständig. Dafür genoss er die Zeit mit seiner Familie umso mehr, wenn er zwei bis drei Monate am Stück Landurlaub hatte. Dann gewann er auch wieder Abstand von der "verrückten Dynamik" auf den Kreuzfahrtschiffen. Während der Zeit auf dem Schiff besuchte ihn seine Familie ein, zwei Mal pro Einsatz. Zwischen den Einsätzen auf See lebte er die vergangenen Jahre meist in Berlin oder in Seattle, wo seine 11-jährige Tochter mit ihrer Mutter lebt.

Hurrikan und Todesfälle auf See

"Das Schiff ist eine eigene kleine Welt", erklärt Ochmann. Als Hoteldirektor auf See war er für die "positive Energie" zuständig, dass die Dinge funktionieren. "Die Crewzufriedenheit hat den gleichen Stellenwert wie die Gästezufriedenheit", betont Ochmann. "Bei den vielen Menschen auf engem Raum passiert alles, was zum Leben dazugehört." Auch etwa das Ableben eines Passagiers um drei Uhr morgens müsse koordiniert werden. Auch von Notfällen kann der Hoteldirektor erzählen. "Da gab es einiges", sagt er. "Einmal gerieten wir in einen Hurrikan nahe Acapulco. Der Kapitän entschied sich, Richtung Hawaii zu steuern, obwohl er keine Erlaubnis dafür hatte. Wir waren drei Tage vom Radar verschwunden." Am Ende entschied der Kapitän richtig, denn Acapulco habe der Hurrikan direkt getroffen. Ansonsten spüre man vom Wellengang meist überhaupt nichts, die Schiffe wiegen bis zu 250 000 Tonnen und haben teils einen eigenen Park mit 300 Bäumen an Board.

Im Winter in die Wärme

Mit den Kreuzfahrtschiffen begleitete Ochmann verschiedene Routen: Von drei Monaten in der Karibik bis hin zur kompletten Weltreise. Besonders faszinierend fand er dabei auch immer das wechselnde Gäste-Segment. "Man merkt, wenn Brasilianer auf dem Schiff sind, Deutsche, Amerikaner oder Italiener." Aber das könne man Planen - vom Unterhaltungsangebot bis hin zur Verköstigung.

Dass sich Italiener zu Treffen immer verspäten und dann auch noch ihre Tickets vergessen, kann Ochmann genauso bestätigen, wie die Tatsache, dass die Deutschen ihre Sonnenliegen frühmorgens reservieren. Der 53-Jährige hat auch eine Lieblings-Route, verrät er. Wenn es hierzulande Winter wurde, war er gerne in Südamerika oder Neuseeland unterwegs. "Dort ist es wunderschön."

Im Seenario für alles zuständig

Aber: "In der Krise ist man hier am Besten aufgehoben", ist Ochmann von seiner neuen Wahlheimat überzeugt. Zwar fehlt ihm hier die schnelle Dynamik im Tagesablauf, die er vom Kreuzfahrtschiff her kannte, schon ein bisschen. Ein Schiff funktioniere eben anders. Angefangen bei den Dimensionen: Das Hotel Seenario mit 27 Zimmern ist wesentlich kleiner als ein Schiff, auf dem Tausende Passagiere Platz haben. Die schwankende Auslastung des Hotels sei auch ein Unterschied. Die Hierarchien an Bord sind durch die Streifen an der Uniform klar definiert, hier muss er sich erst einarbeiten.

Ähnlich wie auf dem Schiff, auf dem er täglich 24 Stunden erreichbar war, wohnt der Direktor in direkter Nähe zum Hotel. "Wenn ein Gast noch ein Handtuch möchte, werde ich angerufen. Das hatte ich so vorher nicht." Hier sei er für alles zuständig. Gäste einchecken, eine Glühbirne auswechseln. Auch wenn der Computer streikt, springen keine 14 IT-Experten auf. Wenn der Küchenchef vergessen hat, die Bratwürste abzuholen, macht Ochmann das.

An Status quo nicht interessiert

Der 53-Jährige kam mit vielen Ideen nach Tirschenreuth. "Den Status quo beizubehalten - bei dem, was auch immer ich beruflich mache - daran bin ich nicht interessiert." Auch weil sich die Dinge ständig verändern, möchte er das "Schiff" kraftvoll nach vorne steuern. Eins bleibe aber gleich: "Ob an Land oder auf See, die Motivation der Mitarbeiter entscheidet alles. Und die Gäste wollen unterhalten werden."

Wenn ein Gast noch ein Handtuch möchte, werde ich angerufen. Das hatte ich so vorher nicht.

Michael Ochmann

Im Restaurant verbucht er schon erste Erfolge. Er führte einen Erlebniskalender mit Lounge- oder Barbecue-Abenden ein. Das Restaurant habe im August 20 Prozent mehr Zulauf gehabt als im Vorjahresmonat. "Trotz Corona, trotz Abstand, trotz Masken - die Leute nehmen's an", freut sich der Hoteldirektor.

Auch im Hotel läuft der Betrieb wieder besser als noch vor zwei Monaten. Die Übernachtungszahlen steigen moderat an. Was fehlt, sind aber Geschäftskunden. "Die haben sich komplett auf Videokonferenzen umgestellt", begründet Ochmann. Zwar verbessere sich die Belegung von Monat zu Monat, doch begrüße man immer noch die Hälfte der Gäste, die zur gleichen Zeit im Vorjahr da waren.

Mit E-Bike Region erkunden

Die Oberpfalz kannte der Weitgereiste vorher nicht. "Als ich noch ein Kind war, war ich mit meinen Eltern in Urlaub in Selb", erinnert er sich. Dass die Oberpfälzer als Grantler und Sturköpfe gelten, davon hatte er schon gehört. "Aber das sagt man auch über die Ostwestfalen." Das gehe schon zusammen. "So passt der Preuße auch in die Oberpfalz", sagt er und lacht. Der Dialekt sei allerdings manchmal eine Hürde, verrät er. Doch er kommt gerne mit einheimischen Restaurant-Gästen ins Gespräch und konnte so schon einige private Kontakte knüpfen. Schon mehrmals besuchte er das Sibyllenbad in Bad Neualbenreuth: "Für mich ist das Luxus. Fünf Sterne!" Er beschreibt sich als naturverbundenen Menschen. Auch die Großregion Pazifischer Nordwesten in Nordamerika nahe Vancouver und Seattle sei wie die Oberpfalz eine Traumlandschaft. Vor kurzem kaufte sich der 53-Jährige ein E-Bike, mit dem er die Region erkunden will. Aktuell sei aber noch Hochsaison. Im Herbst wird Ochmann mehr Zeit für sich haben. "Aber erst muss es laufen."

Tirschenreuth22.06.2020
 
 

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