In der Serie "Geistliche Gedanken zur Fastenzeit" kommt die Krankenhausseelsorgerin in Tirschenreuth und Religionslehrerin Doris Mehler zu Wort: Der Palmsonntag steht an – er ist das Tor zur Karwoche. Und zugleich Vorschau auf das, was uns in dieser Woche erwartet: eine wahre Achterbahn an Emotionen.
Palmsonntag, das ist Musik, bunte Palmbuschen, Prozession. Wir erinnern uns an den Jubel damals, in Jerusalem. Jesus wurde als Friedenskönig begrüßt. Und ich frage mich: Wo ist unser Jubel, unsere Freude? Jesus, seine Botschaft des Friedens und der Liebe will auch bei uns ankommen: in unserem „Jerusalem“, in dem Ort, wo wir wohnen und im Wirrwarr der Freundschaften, der Beziehungen, des Miteinander und Nebeneinander. Jesus kommt zu uns nicht, obwohl unsere Welt so ist, sondern weil sie so ist. Freude – das ist die eine Seite des Palmsonntags.
Kein Wegschauen
Die andere ist düster: Bereits am Palmsonntag hören wir die Passionsgeschichte Jesu. Mit ihr hören wir vielleicht die vielen Passionsgeschichten der heutigen Welt und nicht zuletzt auch unsere eigene. In der Passion verdichtet sich die Erfahrung der Menschheit: Freundschaft und Feindschaft, Gemeinschaft und Einsamkeit, Freude und Leid, selbstlose Hilfsbereitschaft und gedankenlose Aggression, Tod und Auferstehung.
Die "Heilige Woche“ kennt kein Wegschauen und führt uns schonungslos vor Augen, wozu Menschen fähig sind. Damals wie heute drehen sich viele wie das Fähnchen im Wind, werden Menschen durch Propaganda verhetzt, treibt abgrundtiefer Hass Menschen zu grauenvollen Taten. Auch in unserer Zeit durchleben Menschen Angst um Leib und Leben, erleiden Verfolgung, herrschen Trauer und Entsetzen. Sagen auch wir „Da kann ich doch nichts dafür“ und verpassen den richtigen Moment, um zu helfen. Und heute wie damals gibt es Menschen, die einfach handeln, Liebe und Erbarmen zeigen, Hoffnung wecken.
Tor der Auferstehung
All das gilt es zu sehen und zu deuten; nichts wird verschwiegen. Für mich persönlich ist es wichtig, jeden Tag in der Karwoche ernst zu nehmen und zu feiern und gleichzeitig die Zusammenhänge zu sehen. Es gibt keine Woche im Jahr, in der so viele und so unterschiedliche Gottesdienste gefeiert werden. Ich bin überzeugt, dass es für jeden von uns und für uns als Gesellschaft wichtig und hilfreich ist, alle Tage zu feiern. Wenn ein Tag fehlt, fehlt ein Glied in der Kette. Karwoche ohne Karfreitag ist wie Reden über Gott, ohne an die Menschen zu denken. Eine Karwoche ohne Ostermorgen wäre ein Todeskommando. Wir fahren nicht auf eine dicke Betonwand zu, sondern auf das unbeschreibliche Tor der Auferstehung.
So wünsche ich uns allen, dass es uns gelingt, bei den Gottesdiensten ein Gespür für die Symbole und Zeichen zu haben, etwa die Fußwaschung, das Teilen von Brot und Wein, die Kreuzverehrung, die Dunkelheit und das Licht in der Feier der Osternacht. Auch die außergewöhnlichen Uhrzeiten wollen unsere Wachsamkeit schulen: das Gebet am Ölberg am Gründonnerstag spätabends, die Sterbestunde Jesu am Karfreitag um 15 Uhr, die Feier der Osternacht in der Nacht. Gehen wir langsam durch diese Woche – Schritt für Schritt mit Jesus.















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