Mann fährt nach Cannabis-Konsum mit Motorrad und wird freigesprochen

Tirschenreuth
01.12.2022 - 10:11 Uhr
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Wer Cannabis im Blut hat, darf nicht mehr Motorrad fahren. Es gibt aber eine Ausnahme. Ob ein Mann deshalb eine Ordnungswidrigkeit begangen hat und warum sein Arzt jetzt 500 Euro zahlen muss, klärte das Amtsgericht Tirschenreuth.

Die Blüten von medizinischem Cannabis werden in der Schmerztherapie eingesetzt. Die Blüten werden für den Konsum in einem sogenannten Vaporizer erhitzt. Der entstehende Dampf wird eingeatmet.

Hat ein Mann aus dem Landkreis Tirschenreuth Cannabis unsachgemäß konsumiert und sich dann hinters Steuer seines Kraftrads gesetzt? Oder ist der hohe THC-Gehalt im Blut auf den medizinischen Gebrauch zurückzuführen? Das und ob es sich um eine Ordnungswidrigkeit nach dem Straßenverkehrsgesetzes handelt, galt es bei einer Verhandlung am Amtsgericht Tirschenreuth zu klären.

Für den Betroffenen, wie der Beschuldigte in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren heißt, war die Sache von Anfang an klar: Er habe sich korrekt verhalten und keinen Fehler gemacht. Den Vorwurf, ordnungswidrig ein Kraftfahrzeug unter der Wirkung berauschender Mittel geführt zu haben und das damit verbundene Bußgeld in Höhe von 500 Euro sowie einen Monat Fahrverbot wollte er nicht akzeptieren.

Joint statt Vaporisator

Seit gut eineinhalb Jahren ist der 34-Jährige aus dem Landkreis Tirschenreuth Cannabis-Patient. Das bedeutet: Wegen seiner chronischen Knieschmerzen konsumiert er täglich eine ärztlich verordnete Menge an Cannabis. Die verschriebenen Cannabisblüten werden dabei nicht mit einem Joint geraucht, sondern über einen Verdampfer – einem Vaporisator – aufgenommen. Die Blüten werden dabei erhitzt, die gasförmigen Wirkstoffe werden im Anschluss inhaliert.

Auch der Betroffene besitzt ein solches Gerät, allerdings brach kurz vor der Polizeikontrolle im März dieses Jahres ein Stück des Vaporisators ab. Ersatz beschaffte sich der Mann im Internet. Nur wie die Arznei in der Zwischenzeit einnehmen? Der 34-Jährige entschied sich für einen Joint. "Mein Arzt hat gesagt, dass ich das im Notfall machen darf, sollte der Vaporisator einmal kaputt gehen", sagte er zu Richter Peter Neuner.

Cannabisblüten mitgeführt

Am Tag der Kontrolle wurde das Ersatzteil geliefert. "In der Mittagszeit habe ich wegen meiner Knieschmerzen vaporisiert", sagte er. Am Nachmittag habe er sich dann mit seinem Kraftrad auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz gemacht. Dabei geriet er in eine allgemeine Verkehrskontrolle. "Der Betroffene hat uns gesagt, dass er Cannabis-Patient sei und sich wegen des defekten Vaporisators einen Joint gedreht hat", sagte die Polizeibeamtin, die als Zeugin geladen war. Drogentypische Auffälligkeiten habe er nicht gezeigt. Auch habe er die Bescheinigung des Arztes mitgeführt.

Der 34-Jährige zeigte auch die Cannabisblüten vor. Jedoch hatte er den Vaporisator nicht dabei, dafür Tapes, die zum Drehen von Joints gebraucht werden. Sie klärte den Mann darüber auf, dass ein unsachgemäßer Gebrauch im Raum stehe und somit eine Blutprobe entnommen werden müsse.

Kurze Flucht vor der Polizei

Was folgte, war eine „Kurzschlussreaktion“, wie der Betroffene erklärte. Er ergriff die Flucht, wurde aber schon wenig später von den Beamten aufgehalten. Handschellen kamen zum Einsatz. Im Krankenhaus wurde eine Blutentnahme durchgeführt, die Weiterfahrt wurde unterbunden. Weil er dem Bußgeldbescheid widersprach, sollte nun ein Sachverständiger die Blutwerte prüfen. Machte sich die unsachgemäße Einnahme durch den Joint bemerkbar und hätte er überhaupt ein Fahrzeug führen dürfen? Ganz allgemein gilt: Mit Cannabis im Blut darf man laut Straßenverkehrsgesetz kein Kraftfahrzeug führen. Dies gilt aber nicht für Menschen, die Cannabis als Medizin einnehmen.

89 Nanogramm THC pro Milliliter Blut wurden dem 34-Jährigen nachgewiesen. Dieser Wert sei mit den Angaben in Einklang zu bringen und deuten auf einen regelmäßigen Konsum hin, so die Einschätzung des Sachverständigen Dr. Reinhard Schwarze, der in der forensischen Toxikologie der Universität Erlangen tätig ist. Werden Blutproben relativ kurz nach der Einnahme von Cannabis genommen, liegen die Werte in diesem Bereich. Allerdings lasse sich anhand dieser Werte nicht nachweisen, dass der Konsum unsachgemäß, zum Beispiel über einen Joint, erfolgt ist.

Fahrtüchtigkeit selbst prüfen

Wie steht es um die Fahrtüchtigkeit? Einen genauen Grenzwert wie beim Alkohol hat der Gesetzgeber bislang nicht festgelegt. In der deutschen Rechtsprechung hat sich aber der Wert von einem Nanogramm pro Milliliter Blut etabliert. Cannabispatienten sollten ihre eigene Fahrtüchtigkeit selbst kontrollieren, hieß es vonseiten des Sachverständigen. Bei den Werten des Betroffenen habe er allerdings "etwas Bauchschmerzen", was die Fahrtüchtigkeit angehe.

Auf Freispruch plädierte Rechtsanwalt Dominic Kriegel. Zu diesem Urteil kam auch Richter Peter Neuner. Zwar habe der Betroffene das medizinische Cannabis nicht eingenommen, wie er es hätte machen sollen, aber ein unsachgemäßer Gebrauch könne auch durch das Gutachten nicht bewiesen werden. Eine Geldstrafe gab es aber dennoch – und zwar für den Arzt des Betroffenen. Der Mediziner aus Frankfurt war als Zeuge geladen, allerdings nicht zur Verhandlung erschienen. Er muss mit einer Geldstrafe von 500 Euro rechnen.

Hintergrund:

Cannabis als Medizin

  • Cannabis-Arzneimittel: Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität, verschreibungspflichtig
  • Gesetz: "Cannabis als Medizin" trat im März 2017 in Kraft, regelt den Einsatz von medizinischem Cannabis als Therapiealternative im Einzelfall.
  • Anwendung: Schmerztherapie bei chronischen Erkrankungen und im Verlauf einer Chemotherapie, wenn schwere Appetitlosigkeit und Übelkeit auftreten.
  • Kostenübernahme durch die Krankenkasse bei schwerwiegenden Erkrankungen, wenn es keine alternative Behandlung gibt und Aussicht auf spürbare positive Beeinflussung vorhanden ist.

Quelle: Bundesgesundheitsministerium

 
 

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