Tirschenreuth
25.02.2019 - 12:25 Uhr

Plötzlich große Erinnerungslücken

Ein Lokal-Betreiber und sein Mitarbeiter sollen einen Gast verprügelt haben. Beide sind vor dem Amtsgericht Tirschenreuth wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Bei der Verhandlung kommt es zu skurrilen Szenen.

Symbolbild Bild: Oliver Berg/dpa
Symbolbild

Schon der Beginn der Verhandlung am Freitagvormittag gestaltet sich schwierig. Alle sind da, nur die zwei Angeklagten fehlen. Mit 30 Minuten Verspätung kann es dann aber losgehen. Die beiden entschuldigen sich damit, dass ihr Auto kaputt gewesen sei.

Im Gerichtssaal sind die nächsten drei Stunden dann verschiedenste Versionen von der Tatnacht am 7. Februar 2018 kurz vor Mitternacht in und vor einer Pizzeria und Shisha-Bar im Landkreis Tirschenreuth zu hören. Was zur Tatzeit genau passiert ist, da gehen die Meinungen der Beteiligten weit auseinander. Von den elf geladenen Zeugen erscheinen zehn. Einige haben auf einmal große Erinnerungslücken und ihre Aussagen decken sich nicht mehr mit den damaligen Angaben bei der Polizei.

Staatsanwältin Franziska Paintner wirft dem Lokal-Betreiber (44) und seinem Mitarbeiter (24) gefährliche Körperverletzung vor. Es ist von Faustschlägen, einem Sturz über drei oder vier Treppenstufen und Fußtritten gegen Schulter, Kopf und Rippen die Rede. Dies hätten die beiden einem 25-jährigen Berufschüler zugefügt. Er habe dadurch Abschürfungen an beiden Kniescheiben, am Handballen und am Auge erlitten. Zudem verlor er einen Zahn.

Die beiden Angeklagten streiten die Tat vehement ab. Für den Kurden und den Türken übersetzen zwei Dolmetscher. Der Pizzeria-Betreiber behauptet, niemanden geschlagen zu haben. Damals seien zwei junge Leute in seine Kneipe gekommen und hätten noch eine brennende Zigarette in der Hand gehabt. Seine Frau habe den beiden freundlich mitgeteilt, dass sie daher den Raum verlassen sollten.

Besuch im Richter-Büro

Später seien die beiden wieder in die Pizzeria gekommen und er habe ihnen Hausverbot erteilt. Beim Hinausgehen habe einer einen Kaugummiautomaten kaputt gemacht. "Ich habe gesagt, sie sollen aufhören. Dann ist aber der Junge, den wir geschlagen haben sollen, auf mich zugelaufen." Später habe der 44-Jährige noch mitbekommen, dass es vor der benachbarten Spielothek eine Schlägerei gegeben habe.

Schon nach dieser Aussage macht Richter Thomas Weiß darauf aufmerksam, dass ein Bekannter eines Zeugen ihn kurz vor der Verhandlung in seinem Büro aufgesucht habe. Dieser hatte befürchtet, dass ein Zeuge eine Falschaussage machen werde. Der Zeuge sei am Abend der Tat gar nicht in dem Lokal gewesen.

Weiß erklärt dem 44-jährigen Angeklagten, dass eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr im Raum stehe, die nur unter besonderen Umständen zur Bewährung ausgesetzt werden könnte. "Wenn sich herausstellt, dass Sie lügen oder Zeugen unter Druck gesetzt haben, gibt es keine besonderen Umstände und Sie gehen ins Gefängnis." Der 44-Jährige beteuert, nicht zu lügen.

Der zweite Angeklagte (24), der in dem Lokal als Barkeeper arbeitet, stützt die Version seines Chefs. Was aber auf der Terrasse passiert sei, habe er nicht mitbekommen. Später sei er nur kurz zum Rauchen raus. Dabei habe er vor der Spielothek eine laute Gruppe wahrgenommen. "Die hatten eine Diskussion und es kam zum Streit. Ich bin dann gleich wieder hinein zu meiner Arbeit."

Die ersten vier Zeugen besuchten damals die Berufsschule. Einer von ihnen ist der Geschädigte (25). Er sagt aus, dass er am Tatabend "angeheitert" war. In der Pizzeria habe er mit anderen Schülern noch ein Bier getrunken. Ein Mitschüler (22) habe sich dann eine Zigarette angezündet und sei aus dem Lokal geworfen worden. "Als er raus ist, hat es gescheppert und er ist weggerannt." Später auf der Terrasse hätten der Lokal-Chef und dessen Mitarbeiter von ihm den Namen des Rauchers wissen wollen. "Ich wollte ihn aber nicht verraten." Nach kurzer Diskussion habe der Chef ihm ins Gesicht geschlagen und er sei die Treppe hinuntergefallen. Danach habe er noch einen Schlag verpasst bekommen. Als er wegrennen wollte, habe ihm der Barkeeper ein Bein gestellt und noch einen Fußtritt verpasst.

Die nächsten beiden Berufschüler im Zeugenstand haben diese Version auch so in etwa damals bei der Polizei ausgesagt. Allerdings weichen sie vor Gericht nun deutlich davon ab. Den Vorfall mit der Zigarette und dem Kaugummiautomaten bestätigen beide. Allerdings sei der 25-Jährige später von der Treppe geschubst worden oder selber gefallen. Beide können sich nicht mehr erinnern, ob der Pizzeria-Betreiber den 25-Jährigen geschlagen habe.

"Das haben Sie aber damals bei der Polizei äußerst genau beschrieben. Ich glaube Ihnen ihre heutige Aussage nicht", hält der Richter den beiden vor. Und auch die Staatsanwältin sieht Unregelmäßigkeiten: "Jetzt können Sie auf einmal nicht mehr sagen, wer wen geschlagen hat? Das machen Sie mir nicht weis." Dass es zu möglichen Absprachen zwischen den beiden Zeugen und dem Lokal-Chef und dessen Frau gekommen sei, bestreiten die Berufsschüler. Auch wenn sie zugeben, noch öfter in der Pizzeria gewesen zu sein. Immer wieder verweisen sie auf Erinnerungslücken zur Tatnacht.

Zeugen beeinflusst?

Weiß platzt der Kragen: "So viele ahnungslose Leute wie heute habe ich noch nie in meiner ganzen Berufslaufbahn erlebt. Offensichtlich sind Zeugen beeinflusst worden, dass es schlimmer nicht geht." Richtung des Pizzeria-Betreibers macht der Richter deutlich, dass er überlege ihn wegen Verdunkelungsgefahr vorläufig festnehmen zu lassen.

Im weiteren Verlauf der Verhandlung gibt der 22-jährige Berufschüler zu, den Kaugummiautomaten "umgerempelt" zu haben. Danach sei er weggelaufen. Die nächsten beiden Zeugen, offenbar Stammgäste des Lokals, haben nichts von Schlägen auf der Terrasse mitbekommen. Dies versichern auch noch drei weitere Zeugen.

Nach über drei Stunden unterbricht Richter Weiß die Sitzung. "Ich denke, wir brauche die beiden Polizisten, die damals die Zeugen vernommen haben." Als nächsten Termin setzt der Amtsgerichtsdirektor den 15. März, 10 Uhr, an. Dann soll auch die Frau des Lokal-Besitzers in den Zeugenstand.

 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.