Vohenstrauß
23.04.2020 - 13:39 Uhr

Besetzung der Stadt Vohenstrauß durch Amerikaner jährt sich

Panzersperren und Ausgangsbeschränkungen waren vor 75 Jahren in Vohenstrauß der Fall, als die Amerikaner die Stadt besetzten. Aktuell erfahren die Leute wieder, wie es sich anfühlt, nicht aus dem Haus zu dürfen.

Fritz Lang besitzt noch ein Bild von der im Jahr 1956 abgerissenen Ledermühle. Repro: dob
Fritz Lang besitzt noch ein Bild von der im Jahr 1956 abgerissenen Ledermühle.

Es werden nun 75 Jahre, dass die Amerikaner Vohenstrauß am 24. April 1945 besetzten. Eine Ausgangsbeschränkung, ähnlich der jetzigen in Corona-Zeiten gab es auch schon vor 75 Jahren, wie das Blättern in Geschichtsbüchern aufzeigt. Karl Ochantel vom Heimatkundlichen Arbeitskreis stieß auf interessante Informationen zu Panzersperren und Ausgangsbeschränkungen, auch noch in vielen Gesprächen mit Zeitzeugen.

Flieger griffen Weiden bei Tage an. Es wurden Explosionen und Brände beobachtet. Panzerspitzen wurden in Richtung Vohenstrauß gemeldet. Die Angst der Bevölkerung wuchs. Man befürchtete jetzt auch für Vohenstrauß Feindbeschuss.

General Schulz im Rathaus Vohenstrauß ordnete über den Kreisleiter an, in allen Orten Panzersperren vorzubereiten. Auch der örtliche Volkssturm in Vohenstrauß legte derartige Panzersperren an den Ortsausgängen an. Am 8. April traf eine Pionierabteilung ein, die bei der Holzbeschaffung behilflich war und auch Angaben über die richtige Anlage der Sperren machte. Sie verließ aber bald wieder die Stadt.

Es wurden drei Panzersperren angelegt: in der Wernberger Straße beim Winklergarten, in der Waidhauser Straße zwischen der Apotheke und dem Bamler-Garten und in der Bahnhofstraße bei der Ledermühle. Die Panzersperren bestanden aus je fünf Baumstämmen übereinander quer über die Straße. Zunächst waren sie wegen des starken Verkehrs durch Soldaten und Flüchtlinge noch offen. Für die Einwohner galt seit Monaten eine Sperrzeit von 13 bis 15 Uhr. Während dieser Zeit durfte niemand sein Haus oder seine Wohnung verlassen.

Immer wieder kamen amerikanische Flieger und schossen auch auf Leute, die auf den Feldern arbeiteten. Am 22. April näherten sich amerikanische Truppen von Weiden her. Bei den drei Kreuzen bei Waldau nahmen Panzer Vohenstrauß ins Visier. Zeitzeugen erinnern sich, dass sie an diesem Sonntagmorgen etwa 86 Schuss „in der Größe eines Maßkruges“ in die Stadt jagten. Beim Beschuss flohen viele Bewohner in Richtung Weißenstein oder Fuchssteinach. Familie Schwägerl flüchtete mehr in Richtung Retz zu ihren Feldern. Die Familien Bamler und Helgert eilten in den Keller in der Waidhauser Straße. Die Bäckerfamilie Pinter suchte Schutz in ihrem Felsenkeller. Bei ihnen war auch eine Ukrainerin, die im Haushalt als Magd arbeitete. Während des Beschusses ging sie einmal aus dem Keller und rief dann, dass es irgendwo brennen müsse. Sie ging mit einem Kübel Wasser die Stiege hinauf, der Bäcker mit zwei Eimern voll Wasser hinter ihr. „Wenn wir zehn Minuten später gekommen wären, hätten wir es nicht mehr löschen können. Wir wären abgebrannt wie das Anwesen Krapfenbauer“ in der Pfarrgasse, berichteten sie später. Am westlichen Stadtrand wurde fast jedes Haus getroffen. Das Rathaus erhielt drei Treffer.

Am Montag hatte man an den Ausgängen der Stadt die Panzersperren geschlossen. Frau Höllerer und andere mutige Frauen machten sich daran, die Panzersperren an der Ledermühle zu durchsägen und die Stämme in den Bach zu werfen: „Wir lassen unsere Heimatstadt nicht zerstören!“ Dieser Vorgang wurde General Schulz gemeldet. Er drohte sogar mit Erschießen. Die Frauen mussten weichen. Von nun an wurde ein Arbeitsdienstmann mit Gewehr als Posten an die Sperre kommandiert.

Am 23. April ging abends ein leichter Sprühregen nieder. Um 21.30 Uhr riss plötzlich ein Feuerüberfall die Bewohner aus ihrem Schlaf. Etwa eine Viertelstunde lang explodierten Phosphorgranaten und setzten Gebäude in Brand. Die Leute flüchteten in die schützenden Keller. Um Mitternacht begab sich Ludwig Steininger zu General Schulz und bat ihn, die Stadt zu räumen. Gegen 3 Uhr verließen die deutschen Soldaten dann die Stadt.

Der evangelische Pfarrer Ludwig Hopf und sein katholischer Kollege Sebastian Riedl veranlassten, dass am Dienstagmorgen auf beiden Kirchtürmen weiße Fahnen gehisst wurden. Diesem Beispiel folgten die Bürger. Frauen beseitigten die Panzersperre bei der Ledermühle: „Vohenstraußer Weiber sägten sie ab, weil nichts mehr half.“ Auch die anderen Panzersperren wurden geöffnet. Die Frauen Ring und Meier eilten zur Baumsperre bei der Apotheke. „Die Sperre muss weg“, rief Rosa Meier. „Wenn mir was passiert, kümmert euch um meine zwei Kinder!“

Der Morgen war ruhig und man konnte beobachten, wie Bewohner von Vohenstrauß, die sich in der Nacht in Gehöften, Mühlen oder im Walde aufgehalten hatten, wieder mit ihren kleinen Wagen zurückkehrten. Auch Anneliese Engel aus Hamburg, die mit ihren vier Kindern aus einem Keller in ihr Behelfsheim im westlichen Teil der Stadt zurückging, dachte nicht mehr an eine Gefahr, zumal es nur wenige Schritte bis zu ihrer Wohnung waren.

Da kam gegen 8.30 Uhr plötzlich und unerwartet ein zweiter Vergeltungsschlag mit Artillerie- und Maschinengewehrfeuer. Er dauerte nur einige Minuten. Ein Granatsplitter traf Anneliese Engel in den Oberschenkel. Ihr neben ihr gehender zwölfjähriger Sohn erhielt einen Bauchschuss, er lebte nur noch vier Stunden.

Ein Tiefflieger überflog die Stadt und beschoss den Zug, der dann nicht mehr nach Pleystein fahren konnte. Die Amerikaner rollten in die Stadt. Steininger ging ihnen als Parlamentarier mit der weißen Fahne entgegen. Der erste Panzerspähwagen stoppte und der Major fragte, ob noch bewaffnete Truppen in der Stadt seien. Auf den ersten Jeep musste sich August Weidner mit der weißen Fahne setzen. Dann fuhren die Amis den Markt herauf und gaben ziel- und planlos Streufeuer in die weißbeflaggten Häuser ab. Fenster und Schaufenster gingen zu Bruch.

Die Leute flüchteten wieder in ihre Keller Die Familie Schwägerl in der Bahnhofstraße versteckte sich in den Kellern des benachbarten Postgebäudes. Der kleine Anton war damals gerade 10 Tage alt. Auch ein deutscher Soldat wollte noch mit in den Keller, der ein Hakenkreuz an der Uniform trug. „Wenn Dich damit die Amis erwischen, erschießen sie Dich!“, warnte man ihn. Zur Sicherheit standen Kisten mit Sand vor den Kellerfenstern. Die Pinter-Bäcker-Familie duckte sich zu fünft in den Felsenkeller am Marktplatz. „Diese hätten uns im Keller noch erschossen“, vermerkt der Bäcker in seinen Memoiren. Ein Amerikaner zielte auch in die Ladentüre. Der Schuss ging über den Ladentisch durch die dünne Wand und schlug hinter dem Ofen ein.

Auf der Friedrichstraße gegenüber dem Kirchplatz übergaben Bürgermeister Albert Sommer und Steininger offiziell die Stadt an den US-Offizier. Oberlehrer Karl Waetzmann, der am 11. Juni 1945 als Flüchtling aus Schlesien nach Vohenstrauß kam, hat einige Ereignisse der letzten Kriegstage aufgezeichnet. Er war sich sicher: „Vohenstrauß und Altenstadt sind vor völliger Vernichtung dadurch bewahrt worden, dass die Übergabe beider Orte rechtzeitig erfolgte und dass die Frauen von Waldau den leitenden amerikanischen 1. Offizier der Batterie baten, mit dem Feuerbefehl zu warten. Hier in Waldau standen auf dem Rembühl neun Langrohrgeschütze, die in ganz kurzer Zeit beide Orte in Trümmerhaufen hätten schießen können.“

Der amerikanische General quartierte sich im Rathaus ein. Bald wehte aus einem der vorderen Fenster die amerikanische Flagge.

Der Führer der amerikanischen Panzerabteilung teilte die Ausgehzeiten mit. Sie waren auf vormittags 8 bis 10 Uhr und zwei Stunden nachmittags beschränkt. Ansonsten war Ausgangssperre. Patrouillen mit Gewehr und Stahlhelm durchstreiften die Stadt. Der Landwirtssohn Michael Rauch aus Gmeinsrieth ging auf seine Wiese, um Gras für sein Vieh zu holen. Die Patrouille sah es, verfolgte ihn und schoss ihn nieder. Schwer verletzt musste er nach Weiden gebracht werden. Dort starb er am nächsten Tag. Er wurde in einem Massengrab beigesetzt.

Im Keller des Postgebäudes richteten die Amerikaner ein Lager ein. Dort sammelten sie ihre deutschen Gefangenen. Auch Rewitzer wurde dort eingeliefert, der wegen Ausgangssperre beim „Remerer“ (Dietl) übernachtete, weil dort eine Kuh kalbte. Der Bader Hans Hoch und die Hebamme Anna Dirscherl erhielten am 27. April Passierscheine. Auch die sechs Ärzte Hans Hofmann, Ernst Bamler, Hans Kraus, Adolf Betz, Josef Lubtschak und Tierarzt Giniotis Romualdis erhielten Ausweise. Ausnahmen galten auch für die in der Krankenversorgung tätigen „Red Cross armlets“ Eli Wappmann, Olga Aichinger und Therese Weiß. Passierscheine erhielten die „Town Official Armlets“, also die Personen, die direkt die Militärregierung zu unterstützen hatten, wie „Major“ Bürgermeister Xaver Wittmann, „Assistent of Major“ Ferdinand Wolf, „Commissariat“ Georg Brusch, „Electrical Ingeneer“ Josef Schopper und „Serjeant“ Anton Völkl.

Durch die Besetzung befreite Ausländer durchstreiften den Landkreis. Die amerikanische Armee wies sie an, im Ort zu bleiben. Auch die „Police Armlets“ erhielten Passierscheine: Hans Dietl, Jakob Fischer, Fritz Fuchs, Georg Fuchs und Georg Hoffmann.

Ab Montag, 30. April, wurde die Ausgehzeit auf 7 bis 19 Uhr verlängert. Die Landwirte begrüßten diese Entscheidung besonders. Die zurückgebliebene Frühjahrsarbeit konnte beginnen. Die Dörfer Böhmischbruck, Waldau und Oberlind hatten keine Ausgehbeschränkung. Dort waren keine Panzersperren errichtet und auf das amerikanische Militär ist dort auch nicht geschossen worden.

Da einige Einwohner die Ausgehzeiten überschritten, wurde abends die Sperrstunde früher angesetzt, jedoch am 10. Mai bis 21.30 Uhr verlängert. Gleichzeitig wurde die bis dahin geltende Verdunkelungspflicht gegen Fliegerangriffe aufgehoben. Auch russische Kriegsgefangene, die hier frei umhergingen, traf eine Ausgehverkürzung. Sie hatten drei amerikanische Offiziere auf der Straße belästigt, deshalb erhielten sie zur Besorgung ihrer Mahlzeit nur eine einzige Stunde Ausgang pro Tag. Überhaupt wurde gegen russische Plünderer drakonisch vorgegangen. Diese suchten für ihre Raubzüge vornehmlich einsam gelegene Gehöfte auf.

Am 16. Mai durfte keiner ohne Erlaubnis der Kommandantur die Stadt Vohenstrauß verlassen. In Eslarn, Waidhaus und Pleystein war Flecktyphus ausgebrochen. Posten sperrten die Ausfahrtswege. Amerikanische Soldaten, die am 17. Mai aus der Tschechoslowakei kommend in der Seltmann-Fabrik einquartiert wurden, mussten sich einer Fleckfieberimpfung durch ihre Ärzte unterziehen. August Sperl erhielt einen Ausweis, dass er als Wasserwart sein Motorrad benutzen durfte.

Am 8. Juni wurde die Ausgehzeit von 5 Uhr bis 21.30 Uhr verlängert. Die Bevölkerung durfte sich nun bis zu sechs Kilometer im Umkreis des Wohnsitzes frei bewegen. Einige Tage später konnte man sich jetzt auch 20 Kilometer im Umkreis vom Ort entfernen, vorausgesetzt, dass man seinen Ausweis mit sich führte. Ein Überschreiten der tschechischen Grenze war jedoch verboten. Die Kommandantur stellte für Pfarrer, Ärzte, Krankenschwestern und politisch unbelastete Personen Pässe für die Nacht aus. Patrouillen kontrollierten. Waetzmann notierte weiter: „Das Leben in der Stadt nimmt wieder seinen normalen Gang.“

Mitte Juli galt eine Ausgangssperre von 22.30 Uhr bis morgens um 5 Uhr. Kinder unter 17 Jahren mussten bereits ab 21.30 Uhr zuhause bleiben. Dann ab 25. Juli: Kinder unter 18 Jahren durften sich nur bis 21 Uhr auf der Straße blicken lassen.

Reisebescheinigungen erteilte nur der Bürgermeister. Die Anträge waren genau zu begründen. Eine private Reise des Karl Stümpfler, Führer des Roten Kreuzes, wurde abgelehnt. Auch Arbeiter, die täglich den Zug benutzen wollten, hatten einen Antrag zu stellen. Die Grenzen waren auf beiden Seiten noch geschlossen. Wegen unerlaubter Grenzüberschreitungen verhängte das Militärgericht bei mehreren Personen jeweils 14 Tage Gefängnis. Es kamen weniger Flüchtlinge an. Erst ab September waren Reisen mit der Bahn bis zu 50 Kilometer Entfernung genehmigungsfrei. Seit Dezember war es jedem Zivilisten erlaubt, in amerikanisch besetztes Gebiet, unter Beachtung der noch geltenden Ausgehbeschränkungen, zu reisen.

Es drohten übertragbare Krankheiten. Zivilisten wurden untersucht. Auf Anordnung der Militärregierung waren listenmäßig zu erfassen: Friseure, Kellner, Köche, Kindermädchen, Hausangestellte und Bardamen.

Info:

Panzersperre auch in Braunetsrieth

Trotz heftigen Widerstands durch die gesamte Bevölkerung musste der Volkssturm auch in Braunetsrieth eine Panzersperre aus Baumstämmen anlegen. Sie wurde bei dem Gehöft des Bauern Hans Gilch errichtet. Als man hörte, dass die Amerikaner am Dienstag, 24. April, gegen 9 Uhr Vohenstrauß kampflos besetzt hatten, meinte man, es sei die Zeit gekommen, die Panzersperre zu entfernen. Es waren Frauen, die sich noch vormittags mit Sägen und Äxten bewaffnet an die Arbeit machten, das Hindernis zu entfernen. Inzwischen erschien über Braunetsrieth ein amerikanischer Flieger. Er hat wohl seine Beobachtung nach Vohenstrauß gemeldet. Zwar war den Bewohnern von Braunetsrieth durch Befehl des Generals und durch SS-Leute verboten worden, weiße Fahnen zu zeigen, trotzdem war mit einem Mal das ganze Dorf weiß beflaggt. Die Amerikaner ließen jetzt auch nicht mehr lange auf sich warten. Sie kamen mit ihren Panzern von Weißenstein gegen 11.30 Uhr angerückt. Furchtlos stand die Bevölkerung vor den Gehöften und wartete. Die amerikanischen Soldaten machten in Braunetsrieth aber nur kurze Rast. Sie gingen von Haus zu Haus, um nach etwaigem deutschen Militär zu fahnden. Dabei schenkten sie den Kindern sogar Schokolade und Bonbons. Dank der umsichtigen Haltung der Einwohner ist in diesem Dorf niemand zu Schaden gekommen. Lehrer Waetzmann schrieb erleichtert: „Die Besetzung ging reibungslos vonstatten.“

1945 hängt die weiße Fahne aus dem Rathaus. Vohenstrauß ist in der Hand der Amerikaner. Repro: dob
1945 hängt die weiße Fahne aus dem Rathaus. Vohenstrauß ist in der Hand der Amerikaner.
 
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