Vohenstrauß
13.04.2020 - 13:39 Uhr

Serie "Virus und wir": Die letzte Umarmung fehlt

Auch das Sterben in Zeiten von Corona ist anders. Das Kontaktverbot verhindert, dass sich Angehörige von ihren Lieben ordentlich verabschieden können. Das beschäftigt auch Redakteurin Christine Walbert, deren Tante jetzt verstarb.

In Zeiten des Kontaktverbots ist es schwierig, von Verstorbenen richtig Abschied zu nehmen. Symbolbild: es
In Zeiten des Kontaktverbots ist es schwierig, von Verstorbenen richtig Abschied zu nehmen.

Der Tag beginnt mit einer schlechten Nachricht: Tante Rosa ist gestorben. Mit ihren 86 Jahren hatte sie sich im Altenheim bis zum Schluss recht wohlgefühlt. Bis zum Schluss, der dann recht überraschend kam – zumindest für die weit verzweigte Verwandtschaft.

Alte Menschen müssen nunmal sterben, versuche ich mir einzureden. Ich verdränge den Gedanken an ihre letzten Stunden. Stattdessen krame ich nach einem Bild von ihr, das mir immer in Erinnerung bleiben wird. Mit einem roten Faschingshütchen auf dem Kopf sitzt sie mit anderen alten Leutchen an einer Kaffeetafel. Sie blickt gedankenverloren in die Kamera. Als ob sie just in diesem Augenblick ahnte, was ihr bevorstehen würde. Auch wenn sie schon alt und von Krankheiten gezeichnet war, und auch wenn ich keine sehr enge Beziehung zu ihr hatte – ihr Tod fühlt sich für mich in diesen Tagen nicht richtig, nicht natürlich an. Sie war die älteste, noch lebende Schwester meines Vaters. Ihre Mutter, also meine Großmutter Franziska, war über 100 Jahre alt, als sie dankbar für ihr erfülltes Leben diese Welt verließ. Die zehnfache Mutter und zigfache Urgroßmutter hatte als Christin eine schlichte Erklärung für ihr unglaubliches Alter parat, die sie stets mit einem Schmunzeln zum Besten gab: „Ich glaub’, der Herrgott hat mich vergessen.“ Als sie dann von ihm gerufen wurde, war sie mehr als bereit. Das fühlte sich richtig an.

Auch Tante Rosa war sehr gläubig und bestimmt gut vorbereitet. Wieso aber habe ich bei ihr nicht dieses beruhigende Gefühl, dass es gut ist? Stirbt man als alter Mensch, bleibt meist genügend Zeit und Gelegenheit, sich von seinen Liebsten zu verabschieden. Dieser Vorteil des Alters geht inmitten eines strikten Kontaktverbots verloren. Viele müssen jetzt gehen ohne eine letzte Umarmung oder ein letztes Wort des Dankes. Die Angehörigen kämpfen mit dieser zusätzlichen Belastung. Mir bleibt die Hoffnung, dass es Omas Herrgott tatsächlich gibt und dass er seine hochbetagten Überraschungsgäste wie Tante Rosa mit offenen Armen empfängt.

Weiden in der Oberpfalz07.04.2020
 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.