Wackersdorf
08.10.2018 - 15:39 Uhr

Die WAA-Winkelzüge der Justiz

Als die WAA gebaut werden soll, ist Heribert Prantl Staatsanwalt in Regensburg. In einem Kommentar schildert der 65-Jährige, was hinter den Kulissen der Justiz passiert, als es um die Verfolgung von Demonstranten geht.

In einem Kommentar schilderte Heribert Prantl, was zu WAA-Zeiten hinter den Kulissen der Justiz passierte. Bild: hou
In einem Kommentar schilderte Heribert Prantl, was zu WAA-Zeiten hinter den Kulissen der Justiz passierte.

Es geschieht nach über drei Jahrzehnten erstmals, dass jemand, der unmittelbar als Jurist im Staatsdienst dabei war, die Dinge so schildert, wie sie tatsächlich abliefen. In einem Kommentar für die Süddeutsche Zeitung, deren Chefredaktion der in Nittenau gebürtige Heribert Prantl angehört, schickt der heute 65-Jährige seinen Betrachtungen voraus: "Natürlich gab es Straftaten in Wackersdorf." Doch rings um den WAA-Bauzaun habe es "noch sehr viel mehr Zivilcourage gegeben, die kriminalisiert wurde." Weil, wie Prantl unterstreicht, "die Politik sich anders gegen die Solidarisierung der Einheimischen mit den auswärtigen Kernkraftgegnern nicht zu helfen wusste."

Dr. Heribert Prantl arbeitete damals als Staatsanwalt in Regensburg. Diese Behörde war für weibliche Demonstrationsteilnehmer zuständig, wenn durch die Polizei Anzeigen erfolgten. In seinem Kommentar schildert der mit vielen Preisen ausgezeichnete Nittenauer seine Beobachtungen so: "Vor den Wirtshäusern, in denen sich WAA-Gegner trafen, schrieben Polizisten die Autokennzeichen auf. Aus einem Protest wurde schnell ein krimineller Landfriedensbruch. Rustikale Kleidung galt als Passivbewaffnung. Und wenn ein Demonstrant weggetragen werden musste, weil er sich schwer machte, wurde er wegen Widerstand angeklagt."

Eigener Trakt im Gericht

Auf dem Gelände des Schwandorfer Amtsgerichts war seinerzeit ein eigener Trakt gebaut worden, in dessen vier Sitzungssälen praktisch ununterbrochen in Sachen WAA-Delikte verhandelt wurde: Nötigung, Widerstand, Hausfriedensbruch ohne Ende. Aus seinen damals intern gemachten Erfahrungen deckt Heribert Prantl nun auf: "Wenn sich im Prozess aber alles in anderem Licht darstellte, durfte der Staatsanwalt nicht einfach Freispruch beantragen und auch nicht einer vom Richter angeregten Einstellung des Verfahrens zustimmen."

Was seinerzeit von vielen Journalisten vermutet und von der bayerischen Staatsregierung unter Franz Josef Strauß stets mit dem Ausdruck der Empörung zurückgewiesen wurde, bestätigt Heribert Prantl nun. Er schreibt: "Der sonst so souveräne Sitzungsstaatsanwalt, der bei jedem Kapitalverbrechen die Freiheit hat, je nach dem Verlauf der Hauptverhandlung ganz selbstständig und nach Gutdünken auf Freispruch oder Lebenslänglich oder sonst eine Strafe zu plädieren, war strikt gehalten, bei seinem Vorgesetzten nachzufragen."

Der Leitende Oberstaatsanwalt habe weisungsgemäß den Generalstaatsanwalt kontaktiert. Doch auch der hatte keinen Ermessensspielraum. "Der Generalstaatsanwalt sagte dann, dass es kein Pardon, keinen Freispruch und keine Einstellung gibt." Lapidar fügt Prantl hinzu: "So war das." Reporter, die damals aus den Gerichtssälen berichteten, hatten immer wieder darüber gestaunt, wie viele Staatsanwälte trotz Personalknappheit plötzlich zur Verstärkung ihrer Behörden nach Amberg und Regensburg kamen. Manche von ihnen traten sogar mit Waffe unter ihrer Robe auf.

Vielzahl von Anzeigen

Verfahren gegen Polizisten, die eine Vielzahl von Anzeigen erhielten, wurden so gut wie nie eingeleitet. In Erinnerung ist nur ein Fall geblieben. Dabei hatte der Pilot eines Polizeihubschraubers seinen Helikopter mitten auf den Bahnschienen nördlich des WAA-Bauzauns gelandet. Das Luftfahrzeug wurde von einem herannahenden Triebwagenzug gerammt und ging in Flammen auf. Es gab einen Toten und mehrere Schwerverletzte.

Ermittelt wurde seinerzeit von der Staatsanwaltschaft Amberg aber nicht nur gegen den Piloten. Auch der Triebwagenführer geriet ins Visier. Der Mann hatte eine Notbremsung eingeleitet und sich in den hinteren Bereich seines ansonsten unbesetzten Zuges gerettet. Er sagte: "Was hätte ich tun sollen? Ich konnte meinen Zug doch nicht aus den Gleisen heben." Für diese jedermann einleuchtende Feststellung brauchte man keinen Sachverständigen.

 
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