Weiden in der Oberpfalz
23.11.2018 - 12:01 Uhr

Alkoholmissbrauch hält an

52 heftig alkoholisierte Jugendliche landeten heuer bis Oktober in der Kinderklinik Weiden, sagt Chefarzt Dr. Fritz Schneble. Bis Jahresende dürften es 62 sein. Genau so viele wie 2016. Weiden liegt damit leider nicht im Trend.

Volle Dröhnung: Für manche Jugendliche ist der Konsum von Alkohol ganz normal. Ein gefährlicher Trend, der in Weiden - im Gegensatz zur bayernweiten Entwicklung - weiter anhält. Bild: Petra Hartl
Volle Dröhnung: Für manche Jugendliche ist der Konsum von Alkohol ganz normal. Ein gefährlicher Trend, der in Weiden - im Gegensatz zur bayernweiten Entwicklung - weiter anhält.

Denn der ist in Bayern durchaus positiv. 4091 Kinder und Jugendliche mit Alkoholvergiftung landeten laut DAK im Jahr 2017 im Freistaat im Krankenhaus. Das bedeute einen Rückgang von 6,9 Prozent im Vergleich zu 2016 und zugleich den niedrigsten Stand seit zehn Jahren.

Davon kann in Weiden keine Rede sein. 2016 wurden 62 Jugendliche nach Alkoholmissbrauch in die Kinderklinik eingeliefert. 2006 dagegen waren es nur 13. Von 2005 auf 2015 steigerte sich die Zahl von 22 auf 76, von 2007 auf 2017 stieg die Zahl der Jugendlichen von 15 auf 48. Und von 2008 auf 2018 wuchs die Zahl von 36 auf (bisher) 52 an.

Betroffen ist vor allem die Altersgruppe der 13- bis 17-Jährigen, so Schneble. Was er noch eindringlich klar macht: Die Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs. "Bei uns landen ja nur die Jugendlichen, denen es so schlecht geht, dass Freunde oder Passanten den Notarzt holen, weil sie beispielsweise nicht ansprechbar sind oder eine Unterkühlung droht."

29 Buben und 23 Mädchen benötigten in diesem Jahr ärztliche Hilfe. Dabei holten die Mädchen in den letzten Jahren auf. "In früheren Jahren waren oft doppelt so viele Jungs betroffen wie Mädchen. In den letzten Jahren lagen die Mädchen dagegen manchmal gleichauf." Dabei wären die Betroffenen oft erstaunlich jung - 12 oder 13 Jahre - und würden eine hohe Promillezahl aufweisen. Schuld daran seien oft süße Cocktails, weiß der Chefarzt. "Durch die Süße wird der Alkoholgehalt nicht so bemerkt. Die Mädchen können einen richtigen Filmriss haben." Und das wiederum berge ein erhöhtes Risiko für sexuelle Gewalt, gerade wenn die jungen Mädchen mit älteren Jugendlichen abfeiern würden und nicht mehr wüssten, was geschieht. "Dieses Zusatzrisiko ist vielen Jugendlichen nicht bewusst", sagt Schneble. "Wir erklären das den Mädchen sehr genau."

Inwieweit die Jugendlichen die ärztlichen Warnungen ernst nehmen, lässt sich kaum feststellen. Auch wenn der Chefarzt betont: "Eher selten werden die gleichen Jugendlichen mehrfach bei uns eingeliefert." Das kann bedeuten, dass sie die erste Alkoholvergiftung als Warnung genommen haben und von da an vorsichtiger sind. "Bei regelmäßigem Genuss gibt es aber auch einen gewissen Gewöhnungseffekt." Nicht nur bei dem Betroffenen selbst, weiß Schneble, sondern auch im Familien- und Freundeskreis. "In manch einem Elternhaus wird es als normal angesehen, dass ein 14-Jähriger öfter neben der Spur ist." Dabei sei das alles andere als normal. "Körper und Gehirn eines Jugendlichen tolerieren den Alkoholmissbrauch schlechter."

Während bei betrunkenen Mädels das Risiko von sexuellen Übergriffen wächst, droht betrunkenen Jungs im Extremfall sogar Todesgefahr, warnt der Mediziner. Sie neigen zur Selbstüberschätzung, sind dadurch überproportional stark unfallgefährdet. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird in 35 Prozent aller Todesfälle von 15- bis 29-jährigen Männern Alkohol als Ursache angesehen. Denkbar seien viele Szenarien: "Der eine ertrinkt im See, der andere rennt über die Gleise und wird vom Zug erfasst, der dritte verunglückt mit dem Motorrad, der vierte klettert auf den Balkon und stürzt ab."

Damit es nicht so weit kommt, raten die Experten von der Kinderklinik zur Teilnahme am Projekt "Halt", das allen Familien offensteht. Was Schneble ebenfalls am Herzen liegt: "Eltern sollten ihren Kindern unbedingt raten, sie sollen aktiv werden, wenn sie eine hilflose Person beobachten: zum Beispiel den Notarzt rufen, wenn sich jemand betrunken auf die Parkbank zum Schlafen legt, weil die Gefahr der Unterkühlung besteht." Also, im Freundeskreis gut aufpassen, falls einer mal zu tief ins Glas geschaut hat. Oder - was noch besser ist: Es gar nicht so weit kommen lassen.

Modellprojekt "HaLT" seit 2013:

Im Jahr 2013 startete die Gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung beruflicher und sozialer Integration (gfi) das Projekt „HaLT“ (Hart am Limit) in Weiden. Sie steht damit allen Interessierten aus dem Raum Weiden und dem Landkreis Neustadt als Partner in Fragen der Alkoholprävention für Kinder und Jugendliche zur Verfügung. Das bundesweite Modellprojekt „Hart am LimiT – HaLT“ wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit entwickelt. „Wir haben seitdem rund 80 Kinder und Jugendliche betreut“, berichtet Projektleiterin Martina Weiß. Die Zahlen würden von Jahr zu Jahr stark schwanken, da die Teilnahme auf Freiwilligkeit beruht. Diese Freiwilligkeit ist nach Ansicht der Expertin aber auch die Ursache für den Erfolg der Maßnahme. „Die Gespräche bleiben vertraulich.“ Die Jugendlichen würden sich dadurch öffnen und teilweise sehr geschockt reagieren, wenn ihnen klar werde, was ihnen alles hätte passieren können.

 
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