Einen bittereren Zeitpunkt hätte es kaum geben können. Die E-Mail, die die Denkwelt in Halmesricht beerdigte, ging am späten Dienstagabend bei der Stadt ein. Christian Engel, Gesellschafter und mit seiner Luce-Stiftung entscheidender Mann hinter dem Projekt, verkündete seinen Rückzug. Am Mittwoch hätte eigentlich ein erstes konkretes Planungsgespräch für das gewaltige Bauprojekt stattfinden sollen. Thema: Entwässerung. Das Gespräch im Weidener Rathaus fand freilich nie statt. Stattdessen gibt es lange Gesichter in der Stadtverwaltung. "Ich war schockiert, erstaunt und verärgert", gesteht Weidens dritter Bürgermeister Reinhold Wildenauer. Oberbürgermeister Jens Meyer ist derzeit im Urlaub. Auf Nachfrage von Oberpfalz-Medien sagte er: "Ich bedauere diese Entscheidung von Herrn Engel nach 14 Jahren der Zusammenarbeit."
Nach dem Gewerbegebiet West IV geht mit der Denkwelt Halmesricht für Weiden nun ein zweites Großprojekt in kürzester Zeit in die Brüche. In Halmesricht hätte ein gänzlich neuer Stadtteil samt hochinnovativer Forschungs- und Bildungsgebäude und 400 Arbeitsplätzen entstehen sollen. Kernthema: künstliche Intelligenz (KI), enge Verzahnung mit der OTH inklusive. Es war fraglos ein Projekt, das weit über die Stadt- und Landkreisgrenze hinaus gestrahlt hätte. Die Absage per E-Mail - ohne persönliches Gespräch - stößt die Weidener Stadtspitze vor den Kopf. Engel spricht in seinem Schreiben von Fördergeldern, die nun offen oder unwahrscheinlich geworden seien, da im Kloster Speinshart eine KI-Begegnungsstätte entstehen soll. Oberpfalz-Medien gegenüber bemängelte er die Bürokratie und Vorplanung, mit der sich Weiden wohl zu lange aufgehalten habe. Hatte Engel die Ungeduld gepackt?
"Für uns war das Feld bereitet"
Von beiden Argumenten will die Stadtspitze nichts wissen. Vielmehr sei es die GDH (Gesellschaft Denkwelt Halmesricht) gewesen, die die Planungen verzögert habe. Seit 2019 sei klar gewesen, dass die Gesellschaft die Planungen übernehme, sagt Baudezernent Oliver Seidel. Bis auf die Standortprüfung sei aber dann lange Zeit nicht viel passiert. Die Stadt habe bei den Planungen stets zur Verfügung gestanden und sie begleitet.
In den vergangenen Monaten machte die Stadt tatsächlich noch einmal einige Schritte auf die GDH zu. Man hätte beispielsweise 50 Prozent der Planungskosten des Projekts übernommen und sich an der Machbarkeitsstudie finanziell beteiligt. Die explizite Planung weiterer Bauabschnitte nach dem ersten Turm sei, wie von Engel gewünscht, in die Zukunft verschoben worden, berichtet Roland Richter von der SPD-Fraktion im Stadtrat. Er stützt die meisten Positionen von Seidel. "In letzter Zeit waren wir in guten Gesprächen, haben vieles vorbereitet. Für uns war das Feld bereitet, wir waren startklar. Es sollte eigentlich losgehen. Herr Engel muss nun schon konkret sagen, was ihm nicht gefallen hat." Die Stadt sei Engel zuletzt "sehr, sehr entgegengekommen", sagt auch Karl Bärnklau (Grüne). Dennoch hegte seine Fraktion schon länger Zweifel am Willen der GDH, das Projekt umzusetzen, und stimmte deshalb im Juni gegen den Bebauungsplan.
So klingen Ohrfeigen
Vielleicht war der Zeitpunkt, zu dem die Stadt die Initiative ergriffen hat, auch zu spät. Das sieht CSU-Fraktionschef Benjamin Zeitler so. "Wir haben echt versucht, das zu retten, mit viel Energie. Aber es war einfach zu spät." Er könne das nicht mehr hören. "Wir warten auf den, wir warten auf den. Das kann es jetzt echt nicht sein." Bei Zukunftsinvestitionen dürfe man nicht zehn Jahre warten. "Man kann sich in den Schaukelstuhl setzen und warten, bis das Glück auf einen zukommt. Oder man kann dem entgegengehen. Wenn man immer nur wartet, dass jemand etwas für uns tut, dann ist das die falsche Einstellung." So klingt eine Ohrfeige an die Stadtspitze. "Wir vernichten hier brutal Zukunft", sagt Zeitler.
Christian Deglmann (Bürgerliste) teilt auch kräftig aus. "Wir fordern die Stadt seit Jahren auf, das Projekt voranzubringen. Das haben sich der Oberbürgermeister und sein Vorgänger jetzt selbst zuzuschreiben." Weiden verliere mit der Denkwelt Visionen, Zukunft, Arbeitsplätze und einen Aufbruch nach vorne. "Mit West IV und der Denkwelt sind zwei Ausrufezeichen kaputtgemacht worden."
Umstritten ist auch der zweite Grund, den Christian Engel in seiner E-Mail anführte: die Fördergelder. Ja, für die KI-Begegnungsstätte in Speinshart fließen wohl 300 000 Euro. Warum sollten Weiden und die Denkwelt Halmesricht nun von Fördergeldern abgeschnitten sein? "Speinshart hat eben Kontakt zur Staatsregierung und hat ganz gezielt die Gelder kanalisiert. In Weiden haben alle geschlafen", schimpft Deglmann. Es werde kein zweites Fördergeld geben, sagt er. Belege, dass es bei der Vergabe der Fördergelder einen Zusammenhang zwischen Halmesricht und Speinshart gibt, nennt er nicht. "Dieses Argument greift nicht", findet Bürgermeister Wildenauer deshalb. Beide Projekte würden sich gut ergänzen. Das sieht auch der Speinsharter Bürgermeister Albert Nickl so.
Gibt es Alternativen?
Was passiert aber nun, erstens, mit den Flächen in Halmesricht? Und zweitens mit dem Projekt Denkwelt? Auf 20 Hektar sollte der neue innovative Stadtteil entstehen. Baurecht für die Denkwelt wurde nie geschaffen. Und die momentane rechtliche Situation sieht landwirtschaftliche Flächen vor, bestätigt Seidel. Gut möglich also, dass es tatsächlich bei grüner Wiese neben Engels Pferdegestüt, das zuletzt dort entstand, bleibt. Die Fläche ist nicht in Besitz der Stadt und daher "nicht unser Thema", kommentiert Wildenauer.
Die Denkwelt an sich, in welcher Form auch immer, ist noch nicht vom Tisch, zumindest im Weidener Rathaus. "Weiden ist ja nicht nur Halmesricht", sagt Seidel. Nur dafür habe Engel eine Absage erteilt. Wildenauer denkt bereits über Alternativen nach. "Für das Bahngelände läuft aktuell ein Förderprogramm. Das wäre vielleicht auch eine Möglichkeit." Die innovative Denkwelt also mitten in Weiden, auf den Brachflächen am Bahnhof? "Das könnte man schon in Verbindung bringen", sagt Wildenauer. "Vielleicht sogar mit Herrn Engel oder einem anderen Partner." Das Tischtuch mit der Luce-Stiftung ist also, allem Ärger zum Trotz, noch nicht zerschnitten. Ob Engel das genauso sieht, ist fraglich. Er war am Donnerstag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.
Das Projekt Denkwelt Halmesricht
- Zentrum der Digitalisierung für Wirtschaft und Wissenschaft, Kernbereich Künstliche Intelligenz (KI)
- Entwicklungsgesellschaft GDH: Luce-Stiftung (Lars und Christian Engel), Stadtbau Weiden, OTH Amberg-Weiden
- Geplante Fläche des eigens dafür angedachten Stadtteils: 20 Hektar
- Erste Überlegungen 2009
- Drei vielgeschossige Türme mit etwa 400 Arbeitsplätzen, Fertigstellung des ersten Bauabschnitts für 2024 angedacht
- Start bereits 2019 mit dem "Future Lab" in Weiherhammer, das 2024 nach Halmesricht umziehen sollte
- Juni 2022: Bauausschuss stimmt mehrheitlich für die Erstellung eines Bebauungsplans, ein Signal pro Denkwelt
- August 2022: Christian Engel kündigt den Rückzug vom Projekt an
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