"Er sagte: Rico, Coach, wir werden gerade abgeschoben, es geht direkt nach Georgien." Der Trainer der DJK Weiden ist erschüttert: "Es war, als wenn mich einer in die Schnauze haut. Das ist brutal. Ich bin geschockt. Geschockt von dieser ganzen Aktion." Diese "Aktion" ist alltägliche Abschiebepraxis in Bayern. Abschiebungen erfolgen unangekündigt. Und doch hebt sich der Fall der Familie Chitadze in zwei Punkten deutlich ab: Tochter Salome (24) ist schwerstbehindert und auf den Rollstuhl angewiesen. Und: Sohn Saba wurde vom Schulhof von der Polizei geholt. Die Familie lebt seit fünf Jahren in Weiden. Er hat seine ganze Schulzeit hier verbracht, an der Gerhardinger-Grundschule gewann er einen Landespreis des Kultusministeriums in Geschichte.
Und dann das. Beamte der Polizeiinspektion Weiden - in Zivil - nahmen den Zwölfjährigen am Dienstag gegen 13.45 Uhr nach Schulschluss auf dem Pausenhof der Hans-Scholl-Realschule in Obhut. Sie hatten zuvor Kontakt mit dem Sekretariat aufgenommen. Dann fuhr die Polizei mit dem Kind in die elterliche Wohnung in der Innenstadt. Die Eltern konnten noch Koffer packen, ehe es nach München ging. Von dort hob am Abend der Flug nach Tiflis ab.
Die Fahrt auf den Franz-Josef-Strauß-Flughafen München erfolgte in einem Schubfahrzeug der Polizei, wie es üblicherweise für den Gefangenentransport verwendet wird. Darin fuhren Vater und Sohn mit. Die Tochter (24) des georgischen Ehepaars ist schwerstbehindert und sitzt im Rollstuhl. Sie konnte nicht in dem Polizeifahrzeug transportiert werden. Allerdings verweigerte der Fahrer des Malteser Hilfsdienstes den Transport zur Abschiebung. Die Polizei rief daraufhin das Bayerische Rote Kreuz, das die Fahrt übernahm. Die 24-jährige Tochter, die laut ärztlichem Attest auf dem Stand einer 4-Jährigen steht, muss ständig betreut werden. Die Mutter fuhr beim BRK mit.
Die Hausaufgabenbetreuung des Arbeitskreises Asyl wartete am Nachmittag vergebens auf den Schüler, bis eine Mitarbeiterin ihn schließlich auf dem Handy im Polizeifahrzeug erreichte. Vorsitzender Jost Hess ist entsetzt über das Erscheinen der Polizei an der Schule: "Völlig unakzeptabel. Das ist ein Kind." Nach Auskunft von Inspektionsleiter Klaus Müller habe "die Polizeiinspektion Weiden diese Entscheidungen nicht getroffen, nur umgesetzt". Man sei selbst nicht glücklich über diese Abschiebung und habe sich so pietätvoll wie möglich verhalten. Rektor Michael Meier sah keinen großen Gesprächsbedarf, selbst wenn von heute auf morgen ein Platz im Klassenzimmer leer bleibe. Das passiere immer wieder, wenn beispielsweise jemand umziehe. Die Familie habe nach Erhalt der Abschiebungsandrohung damit rechnen müssen.
Trainer Rico Friese kommen die Tränen, wenn er an Sabas letzten Anruf gegen 15 Uhr denkt. "Ich hatte das Gefühl, er will sich entschuldigen, dass er dieser Tage nicht zum Training kommt." Der gebürtige Georgier sei der Mittelpunkt einer "Supermannschaft" gewesen: "Wir spielen um die Meisterschaft - das juckt jetzt keinen mehr." Das Telefon des Fußballtrainers steht seit Dienstagnachmittag nicht mehr still. "Bei mir rufen weinende Spieler an, die fragen: Coach, was ist mit Saba? Was soll ich denen sagen?"
Rechtsweg ausgeschöpft
Natürlich sei es im Verein und auch an der Schule klar gewesen, dass die Perspektiven für die georgische Familie schlecht waren. Alle Instanzen waren ausgeschöpft. Die Klage am Verwaltungsgericht gegen die Ablehnung war gescheitert, ebenso der Einspruch vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof sowie der Folgeantrag. Asylsuchende aus ehemaligen Sowjetstaaten haben praktisch keinerlei Chance, Asyl zu bekommen, sagt der Regensburger Anwalt Dr. Ronald Hofmann, der die Familie vertrat. Die Hoffnung lag darauf, dass die Behinderung der Tochter zum Bleiberecht verhelfen würde.
Ein Fehler der Familie war nach seiner Einschätzung, dass im ersten Verfahren kein anwaltlicher Beistand beigezogen wurde. "Die haben das allein gemacht." Am Ende kamen nötige Atteste zu spät, und sie machten die Situation nicht besser. Der Verwaltungsgerichtshof entschied laut Hofmann sinngemäß, dass der Zustand der Tochter so schlecht sei, dass er sich in Deutschland nicht verbessern und in Georgien nicht verschlechtern könne.
DJK "tieftraurig"
Bis zuletzt klammerten sich Familie und Freunde an jeden Strohhalm. Selbst dann noch, als vor einigen Wochen die Aufforderung ins Haus flatterte, das Land binnen eines Monats freiwillig zu verlassen. In der Schulklasse wurden Unterschriften gesammelt. Der Verein setzte einen Brief auf, um die Familie zu unterstützen. Die komplette Vorstandschaft hat unterschrieben. "Wir sind tief traurig", sagt DJK-Vorsitzender Reinhold Wildenauer. "Die Maschinerie war nicht mehr aufzuhalten."
Sabine Stahl von der Geschäftsstelle der DJK hat bei den Bemühungen geholfen. Sie versteht die Welt nicht mehr: "Die Guten erwischt's, die anderen tauchen ab." Der Vater habe stets im Verein angepackt. Man hätte ihn auch gern fest beschäftigt, nur durfte er nicht arbeiten. Für den Verein ist es nicht die erste frustrierende Erfahrung dieser Art: Eine DJK-Spitzenläuferin aus Äthiopien durfte ihren Ausbildungsplatz in einem Sporthaus nicht antreten, weil ihr Asylantrag wenig Aussicht auf Erfolg hat. Gleichzeitig zögen sich die Asylverfahren über Jahre, in denen sich die Betroffenen einleben. "Dieses System: Das ist doch falsch."
Stellungnahme des Arbeitskreises Asyl
Ende vergangenen Jahres beging die Weltgemeinschaft den 70. Geburtstag der Erklärung der Menschenrechte und am 23. Mai feierten wir den 70. Geburtstag des Grundgesetzes. Und bei allen hochoffiziellen Feierlichkeiten wurde immer wieder nachdrücklich an die Achtung der Würde des Menschen, an Humanität und gelebte Solidarität erinnert und darauf verwiesen, dass sich unsere politische, demokratische Ordnung daraus legitimiert.
Doch leider ist zwischen schönen festlichen Worten und der Realität zu oft ein großer, nicht hinnehmbarer Gegensatz. Der aktuelle Abschiebefall einer mittlerweile fünf Jahre bei uns lebenden Familie aus Georgien, mit einem 12-jährigen Jungen und einem 24-jährigen schwerstbehinderten Mädchen ist dafür ein erschütterndes Beispiel.
Der Junge besuchte vormittags die Realschule und danach kam er in unsere Hausaufgabenhilfe. Er war kein Wunderkind, aber lernte schnell Deutsch, kam in der Schule gut zurecht , spielte gerne Fußball, hatte viele Freunde, war integriert. Was wollen wir mehr? Warum holt die Polizei diesen Jungen vom Schulgelände weg und schiebt ihn mit seiner Familie in eine völlig ungewisse Zukunft?
Warum holt man ein schwerstbehindertes, im Rollstuhl sitzendes Mädchen (das aufgrund eines frühkindlichen Hirnschadens auf dem Stadium eines Kleinkinds stehengeblieben ist), das ständig auf fremde Hilfe angewiesen und dauerhaft pflegebedürftig ist aus einem ihr wohlgesonnenen, hilfreichen Umfeld und schiebt sie ab in ihr Geburtsland (Heimatland kann man das nicht nennen) mit einer medizinisch unzureichenden Versorgung und einem Klima der Ablehnung gegenüber Behinderten?
Artikel 1 Satz 1 unseres Grundgesetzes sagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – und nach diesem, auf den Erfahrungen der Nazidiktatur beruhenden Grundsatz muss gelebt und danach muss gehandelt werden. Im beschriebenen Fall hat man das (wieder!) völlig missachtet; wir sind erschüttert und traurig zugleich!
Jost Hess, Arbeitskreis Asyl Weiden
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