Das Ehepaar ist der Staatsanwaltschaft Weiden nicht unbekannt. Vor drei Jahren hatte Oberpfalz-Medien Ermittlungen wegen eines Kinderhilfsverein namens "Karolina e.V." angestoßen, den die beiden gegründet hatten. Damals ging es um rund 60 000 Euro an Spenden, die das "Charity-Paar" einsammelte. Ohne, dass je ein Cent an misshandelte Kinder ging. Trotzdem mussten die Ermittlungen im November 2019 eingestellt werden. Die Vereinssatzung deckte das Vorgehen ab.
Das waren "Peanuts" im Vergleich zu jetzt. Die Staatsanwaltschaft Weiden wirft dem Ehepaar vor, über 20 000 Sparer um 13 Millionen Euro geprellt zu haben. Mit einer Wohnungsbaugenossenschaft - ohne, dass je ein Euro in Immobilien investiert wurde. Seit der Festnahme im März 2022 hat sich die Zahl der möglichen Geschädigten und der angenommene Schaden verdoppelt. Bei der Schadenssumme von 13 Millionen handelt es sich um "Geld, das einkassiert und nicht ordnungsgemäß verwendet worden ist", sagt Staatsanwalt Wolfgang Voit, Sprecher der Staatsanwaltschaft Weiden.
Kripo wertet Fragebögen aus
Mithilfe von Vermittlern soll das Ehepaar bundesweit über 100 000 Genossenschaftsmitglieder angeworben haben. Aktuell geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass 20 000 Sparer tatsächlich einzahlten. In der Regel geht es um die vermögenswirksamen Leistungen (VL), die direkt vom Lohn an die WSW flossen. Die Frage ist, ob den Betroffenen bewusst war, dass sie nicht bloß VL ansparten. Sondern Mitglied einer Genossenschaft wurden.
Insgesamt sind über 100 000 Namen als Mitglieder registriert. Die Weidener Kripo kann unmöglich alle vernehmen. Die Rechtsprechung lässt aber zu, potenzielle Geschädigte stichprobenartig zu befragen, um ein mögliches System zu durchschauen. Das Kommissariat 2 (Vermögensdelikte) hat daher über den Sommer 10 000 Fragebögen in die ganze Republik verschickt. Der Rücklauf liegt bei 60 Prozent. Die Antworten werden gerade ausgewertet, so Staatsanwalt Wolfgang Voit, der die Ermittlungen führt.
Ehepaar immer noch in U-Haft
Der Ermittlungsaufwand ist gigantisch - und zeitgleich drückt die Zeit. Das Ehepaar sitzt seit 22. März in Untersuchungshaft; nur der erwachsene Sohn ist zwischenzeitlich entlassen, weil er Kooperationsbereitschaft signalisiert hat. Eine Haftbeschwerde der 48-jährigen Frau war im Juni abgelehnt worden, sie hat ein weiteres, noch minderjähriges Kind.
Ende September steht die obligatorische Haftprüfung durch das Oberlandesgericht Nürnberg an. Länger als sechs Monate soll kein Beschuldigter in Untersuchungshaft sitzen, ohne dass ihm der Prozess gemacht wird. Ausnahmen sind möglich, gerade wenn der Aufwand so erheblich ist. Die Akte - mit angepassten Haftbefehlen - soll nach Auskunft von Staatsanwalt Voit demnächst an das OLG gehen. "Aus Sicht der Staatsanwaltschaft Weiden ist es erforderlich, dass die beiden in Haft bleiben."
Haftungsrisiko für Geschädigte
Für die geprellten Sparer ist eine ganz andere Frage wichtig: Ist schon ein Insolvenzverfahren eröffnet? Die Antwort: Nein. Es haben zwar mehrere Gläubiger Insolvenzantrag gestellt. Aber das Insolvenzgericht Weiden hat nach Recherchen von Oberpfalz-Medien bislang nur einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Dr. Hubert Ampferl (Nürnberg) aus der Kanzlei Beck soll im Vorverfahren prüfen, ob die Fremdanträge begründet sind. Auskünfte zum Insolvenzverfahren gibt es von ihm und der Justiz in diesem Stadium generell nicht.
Sobald ein Insolvenzverfahren eröffnet ist, kann es für die "Genossen wider Willen" dramatisch werden. Das dicke Ende kommt erst noch: Es ist tatsächlich möglich, dass der Insolvenzverwalter von den Betrogenen auch noch die Differenz zur Zeichnungssumme einfordert. Das wären schmerzhafte 9200 Euro, abzüglich der bereits gezahlten 50-Euro-Monatsraten.
Staatsanwalt Wolfgang Voit bestätigt dieses Haftungsrisiko: "Das ist richtig, die Gefahr besteht." Anwälte aus ganz Deutschland betreuen tausende Geschädigte. Einer von ihnen ist Anwalt Jens Reime aus Bautzen. Er berät aktuell rund 130 Betroffene. "Es ist zu befürchten, dass die Anleger vom Insolvenzverwalter aufgefordert werden, die ausstehenden Raten auf einen Schlag zu zahlen", warnt er. Er empfiehlt den sofortigen Ausstieg aus dem Vertrag. So könne zumindest gerettet werden, was noch nicht eingezahlt ist.
Reime kennt die Kripo-Fragebögen seiner Klienten. Seine Erkenntnis: Auf drei Wegen hat die WohnSachWerte eG ihre Kunden geworben. Zum einen mit ein paar Klicks über Internet, wie etwa das Portal "Foerder-helden.de". Zum zweiten wurde Kredit-Suchenden ein alternativer "vermögenswirksamer Sparvertrag" untergejubelt.
Zum Dritten traten die Drücker direkt an Unternehmen heran und kamen so an Arbeitnehmer. In "unmöglichen Situationen", so Reime, wurden den Mitarbeitern die VL-Verträge vorgelegt: in der Schicht, beim Regal einräumen. Teils waren die Arbeitnehmer der deutschen Sprache kaum mächtig. Es hieß, es ging ums Sparen und die anderen machen das auch: "Hintenrum sind sie rechtlich Genosse geworden." Reime sagt: "Dieser Fall betrifft nicht reiche Kapitalanleger. Er trifft die kleinen Arbeitnehmer."
Die WohnSachWerte eG
- 2008 bis 2014: Der Berliner Frank-Peter Evertz lässt 50 Genossenschaften eintragen, darunter die Vigeo eG. Die Genossenschaften verkauft er im Laufe der nächsten Jahre. Was das bringt? Eine Genossenschaft darf erst nach drei Jahren im Genossenschaftsregister vermögenswirksame Leistungen einnehmen.
- 2018: Die damals 44-jährige Beschuldigte aus dem Landkreis Neustadt/WN kauft die Vigeo und benennt sie in WSW WohnSachWerte eG um. Vermittlerteams werben bundesweit bei Arbeitnehmern, ihre vermögenswirksamen Leistungen anzulegen.
- 22. März 2022: Die Bombe platzt. Ab 7 Uhr morgens durchsucht die Kripo Weiden das Privathaus im Landkreis Neustadt/WN und den Firmensitz in Weiden. Die Vorstände - die Beschuldigte (48) und ihr Ehemann (52) - werden verhaftet. Deutschlandweit werden 30 Objekte durchsucht, auch bei den Arbeitnehmern und bei Drittfirmen wird die Polizei vorstellig.
- 23. März 2022: Die Staatsanwaltschaft und Polizei veröffentlichen eine Presseerklärung. Gegen acht Personen besteht der Verdacht gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs und der Untreue. Anfangs gehen die Ermittler von unrechtmäßigen Einnahmen in Höhe von 7 Millionen Euro und 12 000 betrogenen Sparern aus. Auch der erwachsene Sohn der Frau kommt in Untersuchungshaft. Der Verdacht besteht, dass die Gelder weitestgehend nicht für den Genossenschaftszweck - insbesondere die Anschaffung von Immobilien - verwendet wurden.
- Juni 2022: Eine Haftbeschwerde der 48-Jährigen scheitert. Begründung: Fluchtgefahr.
- Juli 2022: Der Sohn wird auf freien Fuß gesetzt. Sein Anwalt Dominic Kriegel kündigt die Kooperation mit den Ermittlern an.
- September 2022: Die Staatsanwaltschaft spricht inzwischen von einer Schadenssumme von 13 Millionen Euro und 20 000 "Genossen", die eingezahlt haben.
- September 2022: Das Insolvenzgericht bestellt Dr. Hubert Ampferl (Nürnberg) zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Er soll prüfen, ob ein Insolvenzverfahren eröffnet werden muss.
- Mit einer Anklageerhebung und einem Prozessbeginn ist erst 2023 zu rechnen. Bis zum Urteil gilt die Unschuldsvermutung. (ca)
Viele Hintergrundinformationen bietet Investigativjournalist Tom Bremer (diebwertung.de):
Die Presseerklärung von Polizei und Staatsanwaltschaft zur Festnahme im März
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