Weiden in der Oberpfalz
22.06.2018 - 15:36 Uhr

Einatmen und lossingen

Ich bin nervös, als ich in die Keimelstraße in Weiden einbiege. Ehrlich gesagt bin ich schon seit Tagen nervös, wenn ich an diesen Termin denke: Meine erste Gesangsstunde bei einer professionellen Lehrerin.

Suse weiß, wie sie das Beste aus jeder Stimme herauskitzelt. Schönberger, Gabi [gsb]
Suse weiß, wie sie das Beste aus jeder Stimme herauskitzelt.

Es ist nicht so, dass ich nicht gerne singe - alleine. Unter der Dusche, in meinem Auto. Aber erst, nachdem ich mich hundertprozentig vergewissert habe, dass auch wirklich alle Fenster verschlossen sind und mein Handy nicht versehentlich gerade jemanden anwählt. Und jetzt? Jetzt werde ich mich in wenigen Minuten überwinden und vor einer talentierten Sängerin selbst singen müssen. Schon beim Gedanken daran schnürt sich mein Hals zu.

Vor der "Rock-Pop-Musikschule" am Rehbühl empfängt mich Anna Gette, selbst Sängerin und Inhaberin. "Es wird dir Spaß machen, da bin ich mir sicher", will sie mich beruhigen. In den Unterrichtsräumen treffe ich Suse, die mir eine Stunde lang Tipps geben wird, was man mit seiner Stimme alles machen kann. Ich atme auf. Ich hatte eine Lehrerin einem streng nach hinten gebundenen Zopf, Hemd und Brille erwartet. Aber Susann Karadah, genannt Suse, ist genau das Gegenteil: jung, locker, tätowiert, strahlend.

Suse ist 35 und „noch gar nicht so lange Gesangslehrerin“. Leidenschaft für den Gesang, die Stimme, hat sie allerdings schon seit Jahren. Die Sozialpädagogin studiert Jazz-Gesang an der Hochschule für Musik in Nürnberg. „Mit 18 etwa habe ich gemerkt, dass mir das Singen Spaß macht.“ Damals entschließt sie sich, Unterricht zu nehmen, „weil ich gemerkt habe, dass ich alleine nicht weiterkomme“.

Neben Suse steht ein Keyboard. Das werden wir wohl auch brauchen. Suse merkt, dass ich nervös bin. "Setz dich erst einmal, ich hab ein paar Fragen an dich. Damit starte ich immer, wenn ich einen neuen Schüler habe. Ich will mehr über ihn wissen." Ich erzähle ihr, wann ich singe, was ich gerne singe, was ich mir von ihrem Unterricht erhoffe. Erzähle, dass ich dabei am liebsten Kopfhörer im Ohr habe, damit ich meinen schiefen Gesang nicht selbst hören muss. Wir lernen uns ein wenig kennen, das lockert die Stimmung, meine jedenfalls.

Wir entscheiden uns für das Lied "All of you" von John Legend. "Passt zu deiner etwas tieferen Stimme", meint Suse. Den Text kenne ich nicht, lade ihn auf mein Smartphone, dass ich verkrampft mit beiden Händen festhalte. Suse spielt die ersten Töne auf dem Keyboard an, singt die erste Strophe. Bei ihr hört es sich leicht und wunderschön an. Jetzt bin ich dran. "Ich will deine Stimme hören", sagt sie. Also fange ich an. Leise. Ein komisches Gefühl. Ich bin nicht im Takt, verrutsche in der Textzeile. Das erste Fazit von Suse erleichtert mich. "Definitiv keine Vollkatastrophe. Die gibt es nämlich auch nicht." Also noch einmal von vorne. Diesmal fühlt es sich leichter an. Meine Stimme wird lauter, ich sicherer. Suse rät mir, mich hinzustellen. "Aufrecht, stolz. So, als würdest du etwas ganz tolles präsentieren. Mach dich groß." Auch die Atmung sei wichtig, erklärt sie. Wir legen unsere Hände auf den Bauch und atmen tief ein, dann langsam durch den Mund aus. "Es muss sich anhören wie eine Luftmatratze, der die Luft ausgeht."

Dann verrät sie ein kleines Geheimnis. "Ich mache das bei Auftritten auch immer so. Vor einem Lied tief einatmen. Dadurch habe ich gleich den richtigen Ton und atme gleichzeitig die Situation, die Menschen, die Stimmung ein. Das hilft“, erzählt sie mir ihre Erfahrungen. „Vor allem in kleinen Clubs oder Bars, da singe ich nämlich am liebsten. Oder auf Reggae-Festivals.“

Wieder stimmt sie die erste Strophe an. Langsam kann ich den Text auswendig. Wir machen eine Übung. Wütend singen. "Und jetzt lieblich. So, als würdest du es einem Kind vor dem Schlafen vorsingen." Immer wieder unterbricht sie mich, erklärt mir, wie ich Silben besser betonen, Töne anders singen soll. Das hilft. Wir wiederholen die Stellen - immer und immer wieder. Bis ich die richtigen Töne verinnerliche.

Die Nervosität ist weg, es macht sogar richtig Spaß. Meine erste Gesangsstunde vergeht schnell - zu schnell. Am Ende gibt mir Suse noch einen Tipp mit auf den Weg. "Sei selbstbewusster. Jede Stimme ist etwas Tolles. Sie ist das, was wir von Geburt an haben, uns ausmacht. Nächstes Mal lässt du die Kopfhörer weg, wenn du singst." Und genau das werde ich künftig machen.

Suse studiert Jazz-Gesang und steht leidenschaftlich gerne auf der Bühne. Schönberger, Gabi [gsb]
Suse studiert Jazz-Gesang und steht leidenschaftlich gerne auf der Bühne.
 
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