Weiden in der Oberpfalz
02.01.2020 - 18:13 Uhr

Einsatz in Nigeria: 160 Operationen in zweieinhalb Wochen

Als Dr. Štěpánka Šenkýřová und ihre Kollegen in der kleinen Klinik in Nigeria eintreffen, warten bereits 70 Patienten auf sie. 15 davon operieren sie gleich am ersten Tag. 160 sollen es in den zweieinhalb Wochen insgesamt werden.

Zwei OP-Tische in einem Saal, dazu gab es noch einen weiteren Saal mit einem OP-Tisch. Die Ärzte aus Deutschland und der Schweiz konnten so drei Patienten parallel operieren und unterrichteten dabei zugleich Ärzte und Pfleger aus dem St. Mary's Hospital. Bild: exb/Šenkýřová
Zwei OP-Tische in einem Saal, dazu gab es noch einen weiteren Saal mit einem OP-Tisch. Die Ärzte aus Deutschland und der Schweiz konnten so drei Patienten parallel operieren und unterrichteten dabei zugleich Ärzte und Pfleger aus dem St. Mary's Hospital.

Ende Oktober flog die sechsköpfige Truppe zu ihrer Mission nach Okpoga im Südosten von Nigeria. Seit 2011 ist Dr. Štěpánka Šenkýřová an der Klinik für Allgemein-, Thorax- und Visceralchirurgie am Klinikum Weiden tätig, hat hier auch ihre Facharztausbildung absolviert. Die junge Frau ist ehrgeizig, zielstrebig – und sie will helfen. Deshalb hatte sie sich für das Projekt des International College of Surgence (ICS) und der Organisation Global Surgery beworben. Sie selbst ist Mitglied der tschechischen Sektion des ICS und glücklich, dass sie für diese Mission ausgewählt wurde. Ihr Chef Professor Karl-Heinz Dietl hat sie dabei unterstützt, ebenso wie Professor Carsten Nowak, Chef der Europäischen Föderation der ICS. Leiter der Gruppe war Dr. Peter Nussbaumer, Chirurg und Chef der Schweizer ICS-Sektion.

Mit Vorlesungen für die nigerianischen Kollegen begann jeder Tag im St. Mary's Hospital. Dabei zeigten sich die Kollegen sehr wissbegierig. Bild: exb/Šenkýřová
Mit Vorlesungen für die nigerianischen Kollegen begann jeder Tag im St. Mary's Hospital. Dabei zeigten sich die Kollegen sehr wissbegierig.

Ein Aspekt hatte die 36-Jährige besonders gereizt, sich zu bewerben: "Unser Ziel war es nicht nur, nach Nigeria zu fliegen, dort Patienten zu operieren und dann wieder heimzukehren. Unsere Aufgabe war es auch, die Ärzte und Pfleger vor Ort in Operationstechniken weiter auszubilden, so dass sie die Patienten selbst weiter behandeln können. Mir hat die Idee gefallen, dass man so auch etwas Bleibendes hinterlässt." Dabei sei es in dem afrikanischen Land durchaus üblich, dass das Pflegepersonal einfachere Eingriffe vornimmt. Ein Gebot der Not, meint Dr. Šenkýřová: "Es gibt dort einfach zu wenig Ärzte."

Ein Anästhesist, eine Anästhesieschwester, eine junge Chirurgin und eine OP-Schwester gehörten ebenfalls zum europäischen Team. Jeder von ihnen hatte rund 50 Kilo an medizinischem Material und Geräten mit im Gepäck. Darunter auch ein Anästhesiegerät, an dem die Kollegen in Okpoga gleich angelernt wurden.

Das Krankenhausgelände in Okpoga (Benue State) im Südosten Nigerias. Bild: exb/Šenkýřová
Das Krankenhausgelände in Okpoga (Benue State) im Südosten Nigerias.

Mit dem bundesdeutschen Klinikalltag sind die Verhältnisse im St. Mary's Hospital - ein kleines Krankenhaus, das von katholischen Nonnen geleitet wird - nicht vergleichbar. Da schaut schon mal ein Huhn im Bettensaal vorbei, die Glasscheibe in der Tür zwischen den beiden OP-Räumen war zerbrochen und durch eine Plastikfolie ersetzt, und in einem der beiden OP-Säle befinden sich zwei Liegen, so dass zwei Patienten parallel operiert werden können. Aber: "Die OP-Kleidung wird sterilisiert, die Räume sauber gehalten." Überhaupt hat die Ärztin erlebt: "Es geht viel, wenn es gehen muss."

Das gilt übrigens auch für die Patienten, denen sie bescheinigt, hart im Nehmen zu sein. "Alle 15 Operationen am ersten Tag haben wir nur bei örtlicher Betäubung oder nach Spinalanästhesie vorgenommen, weil das Anästhesiegerät noch gar nicht angeschlossen war." Eine Gebärmutterentfernung nur mit Spinalanästhesie - also eine örtliche Betäubung über die Wirbelsäule - sei im St. Mary's gang und gäbe. "Die Leute sind dankbar, dass sie überhaupt von einem Arzt angeschaut und behandelt werden." Das hat die Ärztin immer wieder erlebt.

Dr. Štěpánka Šenkýřová mit dem sogenannten Box-Baby. Der Säugling wurde in einer Schachtel (Englisch: box) entdeckt, nachdem die Mutter als Notfall eingeliefert worden war. Bild: exb/Šenkýřová
Dr. Štěpánka Šenkýřová mit dem sogenannten Box-Baby. Der Säugling wurde in einer Schachtel (Englisch: box) entdeckt, nachdem die Mutter als Notfall eingeliefert worden war.

Eine Patientin hat sie besonders beeindruckt. Bei ihr wurden die Gebärmutter und ein fußballgroßer Tumor entfernt. "Ohne Bildgebung, ohne Nachbeamtung", staunt die 36-Jährige noch im Nachhinein. "Am nächsten Tag kam sie mir schon entgegen und sagte: Hi, mir geht's gut."

Nicht selten haben die Patienten mehrere Jahre lang für die Operation gespart. Dabei sind die OP-Gebühren im St. Mary's Hospital nur etwa halb so hoch wie in anderen nigerianischen Krankenhäusern. Doch die große Masse der Einheimischen ist sehr arm. So arm, dass sie nicht einmal 5 Dollar im Monat abzweigen können, um die nach einer Kropf-OP lebensnotwendige Nachsorge mit einem Schilddrüsenhormon-Präparat finanzieren zu können. "Das ist eine Tragödie", sagt Šenkýřová. "Das heißt, wir konnten diese Menschen auch nicht operieren. Denn ohne die notwendige medikamentöse Versorgung im Anschluss würden sie sterben."

Die Nonne Christiana Obe ist Krankenschwester und leitet das Hospital. "Was sie sagt, hat Gewicht", betont Dr. Šenkýřová. "Sie ist sehr freundlich und kompetent." Bild: exb/Šenkýřová
Die Nonne Christiana Obe ist Krankenschwester und leitet das Hospital. "Was sie sagt, hat Gewicht", betont Dr. Šenkýřová. "Sie ist sehr freundlich und kompetent."

Unter den Kranken waren naturgemäß viele Kinder. "Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 18 Jahre, und davon wiederum sind 93 Porzent unter 15 Jahre." Die Lebenserwartung der Bevölkerung hat sich übrigens seit 1950 von 35 auf inzwischen 53 Jahre erhöht, liegt damit aber immer noch weit unter dem deutschen Schnitt von 78,5 (Männer) bzw. 83,3 Jahre (Frauen).

Leisten- und Nabelbrüche waren bei den kleinen Patienten weit verbreitet. Es gab aber auch komplizierte Fälle, die das ganze Können der Chirurgin forderten. Wie beispielsweise eine Vollhauttransplantation bei einem Mann, der eine große offene Wunde an seinem Fuß hatte. Dr. Šenkýřová hat dafür ein Hautstück aus dem Oberschenkel des Mannes entnommen, es entsprechend präpariert und die Wunde damit verschlossen. "So etwas macht man bei uns gar nicht. Da haben wir viel feinere Methoden."

"Röntgenbilder mussten wir gegen die Sonne halten, weil es keine Lichtwand gab", erzählt Dr. Štěpánka Šenkýřová. Sie hat festgestellt: "Auch das geht." Bild: exb/Šenkýřová
"Röntgenbilder mussten wir gegen die Sonne halten, weil es keine Lichtwand gab", erzählt Dr. Štěpánka Šenkýřová. Sie hat festgestellt: "Auch das geht."

Jeden Morgen hielten die Gäste aus Deutschland und der Schweiz eine Vorlesung für das Klinikpersonal. Anschließend ging es in die OP-Räume, wobei die einheimischen Kräfte zugleich Praxisunterricht erhielten. "Dadurch haben die Operationen natürlich etwas länger gedauert. Wir mussten ja jeden Schritt erklären", sagt die Fachärztin. Manchmal standen die Ärzte und Schwestern deshalb bis 22 Uhr am OP-Tisch.

Zugleich stellt Dr. Šenkýřová den nigerianischen Kollegen ein super Zeugnis aus. "Sie haben fast jeden Handgriff mit dem Handy fotografiert und dokumentiert. Sie waren hoch interessiert." Eine schriftliche Prüfung bildete den Abschluss für die Ärzte und Schwestern vor Ort. Von 52 Teilnehmern haben 29 das Zertifikat erhalten. Für die Fachärztin ein großer Erfolg. Denn, so gibt sie zu bedenken: "Alle mussten die Prüfung auf Englisch ablegen. Aber nur wenige beherrschen diese Sprache gut."

Sie selbst möchte die Erfahrungen, die sie in Afrika gemacht hat, nicht missen. Nicht nur, weil ihr Helfen ein Bedürfnis ist. Auch weil sie überzeugt ist, dass die Schulungen des ICS-Teams viel vorangebracht haben. Die Freundlichkeit, aber auch die Geduld der Nigerianer haben sie tief beeindruckt. Sie überlegt deshalb nicht lange, wenn sie gefragt wird, ob sie so einen Einsatz noch einmal machen würde. "Sehr gerne." Vorausgesetzt, das Projekt lässt sich mit dem Dienstplan vereinbaren.

 
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