Die diesmal sogar knapp hundert Zuschauer wurden vom Konzertorganisten und Kirchenmusiker Alexander Poitner aus Lenggries, der seit einigen Jahren zu unterschiedlichen Stummfilmen improvisiert, begrüßt. Er gab einleitende Worte zu F. W. Murnaus bemerkenswertem Film „Der letzte Mann“, ehe er sich an die Eisenbarth-Orgel setzte.
Mit diesem Film liefert der mit „Nosferatu“ berühmt gewordene Regisseur eine Parabel über die Wechselhaftigkeit des Lebens, in dem das Schicksal unentwegt am Glücksrad dreht. Emil Jannings spielt einen alternden Chefportier des Berliner Hotels „Atlantic“, der dort in prächtigem Livree die Gäste als Respektsperson begrüßt und im armseligen Hinterhof-Milieu, in dem er lebt, bewundert wird. Nach einem Schwächeanfall versetzt ihn der Hoteldirektor mit Verweis auf sein hohes Alter in die Herrentoilette. Der tief gedemütigte, verzweifelte Mann gesteht zu Hause seinen sozialen Abstieg nicht ein, stiehlt zur Heirat seiner Nichte heimlich seine alte Uniform, um den schönen Schein zu wahren, und führt fortan ein Doppelleben. Nach Feierabend spielt er seiner Familie und den Nachbarn vor, es sei alles wie früher. Aber dann fliegt sein Schwindel auf. Hohn und Verachtung schlagen dem einstmals Bewunderten entgegen. Der zum „letzten Mann“ Gewordene scheint endgültig gebrochen. Am Ende erhält die Geschichte noch ein positives Nachspiel, von dem sich Murnau distanzierte und es ironisch, bewusst aufdringlich und als Fremdkörper inszenierte. Ein auf der Hoteltoilette sterbender Hotelgast vermachte dem Gedemütigten sein gesamtes Vermögen, so dass er als souveräner und großzügiger Gast im „Atlantic“ einkehren kann, wo ihm alle mit kriecherischer Unterwürfigkeit begegnen.
Die psychologische Tragödie mit sozialkritischen Tönen stellt in der Entwicklung der Filmkunst einen Meilenstein dar. Neben expressionistischen Elementen wie Traumsequenzen, Überblendungen, Spezialeffekten und kontrastreiche, durch Schatten unterstützte Beleuchtung wird erstmalig in ausgereifter Form eine „entfesselte Kamera“ angewendet, die den subjektiven Standpunkt des Portiers übernimmt und dadurch dessen Gefühlen besonderen Ausdruck verleiht.
Pointner schaffte es mit seiner einfallsreichen Live-Improvisation, zu den auf Monitor übertragenen Bildern des Stummfilms, der unüblich kaum Zwischentiteln verwendet, eine individuelle Geschichte zu erzählen, nicht schwermütig, sondern luftig-locker. Seine Musik war einerseits, abwechselnd in Tonhöhe, Rhythmus, Klangfarbe und Lautstärke, perfekt auf die Aktionen und Bewegungen, auf die Gefühlsregungen und Stimmungen ausgerichtet. Andererseits wurden bestimmte Register und Melodien einer Person zugeordnet, so das Fagott dem Hotelportier. Zusätzlich garnierte der Organist sein absolut auch eigenständiges Werk mit der damaligen Zeit gerecht werdenden romantischen Passagen und mit Variationen von Volks- und Kirchenliedern. Da war bei Einbruch der Dämmerung „Guten Abend, gut Nacht“ ebenso vernehmbar wie am Morgen das „Frère Jacques, dormez-vous“, bei der Hochzeit der Nichte Wagners Brautchor „Treulich geführt“ aus „Lohengrin“ ebenso wie das Kirchenlied „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ beim am Ende feudalen Mahl mit Sekt und Kaviar. Und als besonderer Clou ertönte mehrmals die Trillerpfeife des Portiers durch den Kirchenraum. Es ist keineswegs alltäglich, als Besucher visuell und akustisch sowohl mit einem künstlerisch anspruchsvollen Film als auch mit einem 90-minütigem Klangerlebnis belohnt zu werden, so dass der anhaltende Schlussapplaus mehr als verdient war.
















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