Der Podcast mit Karl Heinz Kristel:
Annekathrin Kristel räumt ihren Spind aus und entfernt ihr eigenes Namensschild. Sie lehnt den Kopf gegen die Spindtür und beginnt zu weinen. Ihre Tränen tropfen auf den Boden. Die Weidenerin weiß: Sie wird diesen Spind nie wieder einräumen. "Sie hat Abschied genommen – auch von der Palliativstation", sagt ihr Ehemann Karl Heinz Kristel heute über die Szene, die sich vor rund zehn Jahren so abgespielt hatte. Er stand damals neben seiner Frau, er musste ebenfalls weinen. Denn auch er wusste es natürlich schon länger: Annekathrin Kristel wird sterben. Sie hatte Lungenkrebs im Endstadium. In ihrem Leben war sie Krankenschwester auf der Palliativstation der Kliniken Nordoberpfalz. Einem Ort, an dem zumeist unheilbare Menschen behandelt werden. Nach der Diagnose ist sie wieder auf ihre eigene Station zurückgekehrt – als Patientin.
"Sie war immer ein Mensch, der Probleme aus dem Weg geräumt hat", sagt der heute 68-jährige Weidener über seine Frau. Als Krankenschwester habe sie immer darauf geachtet, dass sich alle wohlfühlen. Dass das Leid für alle, auch für die Angehörigen, irgendwie erträglicher wurde. Als Patientin machte sie damit weiter. Sie habe zum Beispiel die Station dekoriert. Einfach um ein schönes Umfeld für alle in der Palliativstation zu schaffen. "Sie hat da mitgeholfen, solange sie konnte", sagt Karl Heinz Kristel. Und sie habe auch versucht, ihm und den gemeinsamen zwei Töchtern die Last in diesen schweren Zeiten zu nehmen. Die Beerdigung, wo das Grab liegen soll, wie der Grabstein ausschauen soll – Annekathrin Kristel hat das alles selbst geplant. Ihr Mann war froh darum. "Ich wusste, was ich zu tun hatte", sagt er.
"Schaut nicht so traurig"
Und auch zu ihrem letzten Moment auf dieser Welt hatte sie ganz klare Vorstellungen: "Wenn ich eintrete in die Sterbephase und ich bin noch bei Bewusstsein, bitte schaut nicht so traurig. Redet weiter mit mir und seid lustig und seid heiter." Das Sterben gehöre schließlich zum Leben. Sie forderte ihren Mann außerdem auf, mit einer anderen Frau zu leben, falls es noch einmal passen sollte. Denn er sei kein Mensch, der alleine bleiben soll. Außerdem sollte er weiterhin den Kontakt zu den gemeinsamen Freunden pflegen.
Wenn Karl Heinz Kristel über seine Frau spricht, muss er lächeln. Er spricht über die schönen Momente, über ein spontanes Konzert in ihrem Krankenzimmer und ihren Humor, den sie bis zum Schluss einfach nicht verlieren wollte. Es sind die positiven Bilder, die geblieben sind. Doch das war nicht immer so. Nach dem Tod seiner Frau im Alter von 57 Jahren in einem Hospiz in Bayreuth, habe er drei Jahre gebraucht, um die Leidensbilder zu vergessen – die es natürlich auch gab. Diese Endgültigkeit, seine Frau nie wieder sehen zu können – das war ein Trauma für ihn.
Zudem plagten Karl Heinz Kristel Schuldgefühle. Er haderte damit, keine Symptome bei ihr erkannt zu haben. Denn schließlich war auch der heute 68-Jährige sein ganzes Leben in Krankenhäusern und in der Pflege tätig. Als ehemaliger Krankenpfleger betreute er sogar selbst Krebspatienten. Er arbeitete auf der Intensivstation des Klinikums in Amberg und als Lehrer in Krankenpflegeschulen in Deutschland und in der Schweiz. 19 Jahre lang leitete er schließlich die Berufsfachschulen für Krankenpflege und Krankenpflegehilfe des Klinikums Bayreuth.
Hilfe für Familienangehörige
Karl Heinz Kristel entschied sich nach dem Tod von Annekathrin für eine Reha. In einer Trauergruppe fand er dort wichtigen Trost. In Weiden nahm er zudem psychologische Hilfe in Anspruch. Im Herbst 2017 begann er dann über seine Frau und die letzten Erlebnisse mit ihr zu schreiben. Denn da konnte er auch die schönen Erinnerungen wieder zulassen. Es entstand das Buch "Annekathrin hat Krebs" – ein authentischer Erfahrungsbericht über die Erkrankung seiner Frau. "Es ist ein Buch für Angehörige von Krebskranken, aber auch für alle, die in der Pflege, Hospizarbeit und Trauerbegleitung tätig sind", erklärt er. Das Buch solle vor allem Laien, also Familienangehörigen von Krebskranken und Betroffenen, die Möglichkeit geben, ihre Situation zu vergleichen und ihnen dabei helfen, wieder Mut zu fassen. Denn schließlich treffe die Diagnose Krebs jedes Jahr rund 500 000 Menschen in Deutschland.
"Meine Frau war immer der Mittelpunkt", sagt er. Und sie war ein Mensch, an den man sich erinnern sollte, vor allem aber an ihren Lebensmut. Mit seinem Buch sorgt der Witwer dafür. Passend dazu trägt es gleich zwei Untertitel: "Hört nicht auf, mit mir zu lachen" – Die Geschichte einer Palliativschwester.
Das Buch von Karl Heinz Kristel
- Zum Autor: 1954 geboren in Wölsendorf bei Nabburg, arbeitete zwischenzeitlich in Amberg, lebt nun in Weiden
- Titel: Annekathrin hat Krebs ("Hört nicht auf, mit mir zu lachen" – Die Geschichte einer Palliativschwester)
- Erschienen: Mai 2023
- Verlag: Books on Demand, Norderstedt bei Hamburg
- Weitere Infos unter: kristelkarlheinz.de
- Kontakt zum Autor: kristel_ak[at]kabelmail[dot]de

Danke für diesen berührenden Bericht.
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