Weiden in der Oberpfalz
15.12.2019 - 16:50 Uhr

Die neuen Süchte der Jugendlichen in der Region: Katjenka Wild von der Caritas im Interview

Die aktuelle "Schulbus-Studie" bringt es ans Licht: 14- bis 17-Jährige trinken im ländlichem Raum mehr, in der Stadt sei Cannabis beliebter. Ist das in unserer Region genauso? Oberpfalz-Medien fragte Suchttherapeutin Katjenka Wild.

Katjenka Wild gibt Einblicke in das Suchtverhalten von Jugendlichen und zu ihrer Einrichtung. Bild: Petra Hartl
Katjenka Wild gibt Einblicke in das Suchtverhalten von Jugendlichen und zu ihrer Einrichtung.

Jugendliche in ländlich geprägten Regionen trinken mehr und häufiger Alkohol als Gleichaltrige in den Großstädten München und Nürnberg. Das ist eine der vielen Erkenntnisse der Schulbus-Studie, die das Institut Sucht Hamburg in München und Nürnberg sowie in den Landkreisen Miltenburg, Dillingen und Weihern-Schongau erstellte. Knapp 5700 Schülern wurden zum Thema Sucht befragt, sei es zu Alkohol, Drogen oder den "neuen" Suchtmitteln wie Computer- und Mediennutzung. Was bedeuten die Ergebnisse für die Jugendlichen in Weiden und dem Landkreis Neustadt? Die Leiterin der Caritas Fachambulanz für Suchtprobleme, Katjenka Wild, weiß es.

ONETZ: Mehr Cannabiskonsum in der Stadt, mehr Alkohol auf dem Land – ist das hier genauso?

Katjenka Wild: An sich haben wir keine repräsentativen Zahlen, aber gewisse Tendenzen können wir schon feststellen. Für Weiden und den Landkreis Neustadt haben wir zwei große Themen: Alkohol und Cannabis. Aber wo mehr konsumiert wird, können wir nicht sagen.

ONETZ: Welche Suchtmittel konsumieren Jugendliche am häufigsten?

Katjenka Wild: Droge Nummer eins, nicht nur hier sondern auch in allen deutschen Fachambulanzen, ist Alkohol. Wir hier haben da einen Schwerpunkt bei 35- bis 55-Jährigen. Eine deutlich jüngere Gruppe ist beim THC-Konsum. Da rechnen wir ab 18 Jahren aufwärts. In den letzten Jahren hat Cannabis Crystal als zweitgrößtes Suchtproblem überholt. Die jüngere Generation fällt also zahlenmäßig eher mit illegalen Drogen auf.

ONETZ: Wie würden Sie eine Sucht beschreiben, abgesehen von den "klassischen" Suchtmitteln?

Katjenka Wild: Man kann so gut wie alles zum Suchtmittel machen. Fachlich haben wir eine klare Definition mit dem Diagnosekatalog ICD-10. Umgangssprachlich kann man von einer Sucht sprechen, wenn durch das Konsummittel Dinge passieren, die man eigentlich nicht will. Das sind zum Beispiel Probleme in der Schule, auf der Ausbildungsstelle, mit dem Partner. Das heißt nicht automatisch, dass man abhängig ist, aber für uns ist das ein Zeitpunkt, wo man sagen muss: "Jetzt muss man hinschauen."

ONETZ: Kann man bei einer Sucht auch von verschiedenen Stadien sprechen?

Katjenka Wild: Wir machen eine große Unterscheidung: Missbrauch und Abhängigkeit. Missbrauch ist die Phase, bei der man das Gefühl hat, das Suchtmittel hilft einem in einer Situation. Zum Beispiel, wenn man einen schlechten Tag hatte und dann am Abend Alkohol trinkt. Mit der Erwartung, danach gehe es einem besser. Oder natürlich der Konsum in unpassenden Situationen, wie im Straßenverkehr oder in der Schule. Ein Kriterium für Abhängigkeit ist beispielsweise die Toleranzsteigerung. Früher hat man vielleicht die Wirkung von Alkohol nach einem Bier gemerkt, und mittlerweile braucht man vier. Als abhängig gilt man, wenn innerhalb eines Jahres drei der sechs Kriterien auftreten. Ein anderes Kriterium ist zum Beispiel, wenn man mit dem Konsum eines Mittels gefühlt nicht aufhören kann.

ONETZ: Ist das Thema Sucht auch abhängig von sozialen Schichten?

Katjenka Wild: Nein. Sucht ist leider weiterhin wie ein Stigma. Unsere Botschaft: Sucht kennt weder eine Altersgrenze noch eine soziale Schicht. Wir bewegen uns in der gesamten Gesellschaft. Sei es der Schüler oder der Arzt. Sucht hat wenig damit zu tun wie alt man ist oder was man verdient. Unterschiede gibt es nur, was und wie man konsumiert. Frauen konsumieren zum Beispiel Alkohol anders als Männer.

ONETZ: Was aber motiviert Jugendliche, die Suchtmittel zu konsumieren?

Katjenka Wild: Das hat am Anfang ganz simpel mit Neugierde zu tun. Entwicklungspsychologisch ist es wichtig, wenn man erwachsen wird, Dinge auszuprobieren und über Grenzen zu gehen. Ein Grundbedürfnis des Menschen ist es, den Rausch zu erleben. Natürlich gibt es auch das Thema Gruppendruck. An sich ist das Ausprobieren nicht problematisch. Schwierig ist, es wenn man etwas ausprobiert, das illegal ist. Oder man an den Konsummitteln hängen bleibt.

ONETZ: Was sind dann mögliche Lösungsansätze?

Katjenka Wild: Die Idee ist nicht, dass niemand etwas konsumiert. Das funktioniert nicht. Wichtiger ist es, die Entwicklungsphase so zu gestalten, dass unsere Jugendlichen nicht an den Suchtmitteln und ihren Wirkungen hängen bleiben. Dass man den Kindern und Jugendlichen so viel mitgibt, dass sie die Droge nicht brauchen. Das heißt, wenn ein Jugendlicher frustrierende Ereignisse erlebt – schlechte Noten, das Verlassen des Partners oder wenn es mit den Eltern nicht läuft – dass er dann nicht zur Droge greift, um sich besser zu fühlen, sondern weiß, was ihm gut tut. Das kann Sport sein, laut Musik hören oder mit einem Kumpel rausgehen. Je besser man da aufgestellt ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, nicht von einer Droge abhängig zu werden.

ONETZ: Ist auch der Medienkonsum in den letzten Jahren zu einem größeren Thema geworden?

Katjenka Wild: Ja, das kann man sagen. Hier in der Abteilung haben wir eine extra Stelle nur für Glücksspiel und Medienkonsum. Die Beobachtung ist, dass das Thema wichtiger und gefragter wird. Aus meiner Erfahrung aber auch deswegen, weil die junge Generation ganz anders aufwächst als beispielsweise meine. Die große Aufgabe hier ist wie beim Alkohol auch: Man muss eine gewisse Medienkompetenz entwickeln. Dass man in der Lage ist, nicht ständig das auf das Handy zu schauen oder nicht unruhig wird, wenn man nicht weiß, wo das Handy ist.

ONETZ: Wie können Eltern ihren Kindern beim Thema Sucht helfen?

Katjenka Wild: Es reicht nicht Kindern alles zu verbieten. Erwachsensein heißt, für die Dinge, die man tut, Verantwortung zu übernehmen. Das müssen die Jugendlichen lernen. Dazu gehört auch Konsum. Die Erfahrung zeigt aber, je besser Eltern mit ihren Kindern in Kontakt bleiben und auch über Drogen sprechen, desto besser. Denn so bekommen die Eltern auch mit, was passiert, und können sich zu Suchtmitteln positionieren.

ONETZ: Welche Möglichkeiten zur Hilfe haben Sie bei der Caritas?

Katjenka Wild: Wir sind die niedrig-schwelligste Beratungsstelle. Wenn's brennt, kommt man einfach rein, ohne Anmeldung oder Termin. Wir sind auch nicht abstinent orientiert. Das heißt, bei uns muss man nicht aufhören. Wir haben viele Klienten, die weniger konsumieren möchten. Wenn man aber ganz aufhören möchte, können wir eine stationäre Therapie vermitteln. Die Fachambulanz bietet hier vor Ort aber auch die ambulante Therapie an.

Hilfe bei der Sucht:

Die Caritas Fachambulanz für Suchtprobleme in Weiden bietet jeden Donnerstag von 14 bis 16.30 Uhr in der Nikolaistraße 6 eine offene Sprechstunde zur Suchtberatung an. Eine vorherige Anmeldung ist nicht nötig. Außerdem ist die Stelle von Montag bis Donnerstag von 8 bis 12 Uhr und 13 bis 17 Uhr unter der Nummer 0961/3891433 erreichbar. Freitag kann man von 8 bis 12 Uhr und 13 bis 16 Uhr anrufen.

 
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