Warum es in der Oberpfalz mehr Krebsfälle gibt als anderswo

Weiden in der Oberpfalz
25.09.2022 - 17:34 Uhr
OnetzPlus

Die offizielle Statistik zeigt, dass vor allem männliche Oberpfälzer häufiger Krebs bekommen als das in anderen Regionen Bayerns der Fall ist. Woran liegt das? Und was kann die Medizin tun?

Corona hat die Menschen im Jahr 2020 offensichtlich davon abgehalten, zur Krebsvorsorge zu gehen. Viele Männer in der Oberpfalz brauchen allerdings gar keine Pandemie, um die Vorsorge ausfallen zu lassen. Das zeigen Zahlen aus dem Gesundheitsatlas Bayern. Von allen bayerischen Bezirken belegt die Oberpfalz regelmäßig den letzten Platz, wenn es etwa um die Darmkrebsvorsorge geht.

Und für Experten ist klar, dass diese Zurückhaltung direkt mit einem anderen Spitzenplatz für die Oberpfalz in Zusammenhang steht: Bei Oberpfälzer Männern werden häufiger bösartige Tumore festgestellt als dies anderswo der Fall ist. Jüngste Auswertungen zeigen, dass in den Jahren 2015 bis 2019 immerhin 11 329 Männer im Regierungsbezirk eine Krebsdiagnose gestellt bekommen haben.

Das entspricht mehr als zwei Prozent aller Oberpfälzer Männer – oder Spitzenwert in Bayern. Am geringsten ist die Krebshäufigkeit in Oberbayern, wo 1,5 Prozent der Männer innerhalb des fünf Jahreszeitraums eine solche Diagnose gestellt bekommen haben – ein Viertel weniger. Bei Frauen sind Krebsdiagnosen insgesamt seltener als bei Männern und hier steht die Oberpfalz im Vergleich auch etwas besser da, nicht an der Spitze. Allerdings liegen auch die Frauen im Bezirk deutlich über dem bayerischen Mittel.

Der Eindruck verstärkt sich noch, wenn man die Zahlen des bayerischen Krebsregisters oder aus dem Gesundheitsatlas auf Landkreisebene betrachtet. Auch wenn es dabei über die Jahre Schwankungen und kurzfristige Ausreißer gibt: Es ist auffällig, dass immer wieder und vor allem die Kreise und kreisfreien Städte der nördlichen und mittleren Oberpfalz einen Platz unter den Regionen mit den höchsten Fallzahlen einnehmen – und gleichzeitig mit den wenigsten Vorsorgeuntersuchungen.

Diese statistischen Daten kann Professor Frank Kullmann auch aus der täglichen Praxis bestätigen. Der Internist leitet das onkologische Zentrum bei den Kliniken Nordoberpfalz in Weiden und kennt diese Zahlen. Und er kennt auch die praktischen Auswirkungen. Kullmann ist es dabei wichtig, keine Vorurteile zu schüren und verkürzt zu argumentieren. Und doch zeige sich eben immer wieder, dass bei der Krebshäufigkeit der kulturelle Hintergrund eine Rolle spielt, der Lebens- und Ernährungsgewohnheiten, aber auch den Umgang mit der Gesundheitsvorsorge beeinflusst. In den USA gebe es etwa unter der schwarzen Bevölkerung deutlich mehr Krebsfälle als bei Weißen, erklärt Kullmann.

"Erst, wenn Blut fließt"

In Deutschland zeige sich dagegen, dass auf dem Land Krebs häufiger auftritt als in der Stadt. Und er habe eben auch in der Oberpfalz den Eindruck, dass Menschen länger als anderswo mit dem Arztbesuch warten. Der eigentlich sympathische Wesenszug, nicht gleich loszujammern, ist so schon manchem Oberpfälzer zum Verhängnis geworden. "Wir erleben es leider immer wieder, dass Patienten erst kommen, wenn die Schmerzen nicht mehr auszuhalten sind, oder schon Blut fließt", beschreibt es Kullmann.

Dabei zeige sich gerade beim Darm, dass regelmäßige Vorsorge das Risiko ernsthaft zu erkranken extrem absenkt. Bei einer Koloskopie werden bestimmte Krebsvorstufen erkannt und unkompliziert entfernt. Ab 50 Jahren übernimmt die Krankenkasse die Kosten für diese Routineuntersuchung. Wer auf die Vorsorge verzichtet, erhöhe eben sein Risiko.

Gefahr durch Radon unklar

Andererseits lasse sich diese Information auch positiv fassen. Selbst wenn die Statistik auf den ersten Blick etwas anderes sagt: Wer auf gesunde Lebensführung und medizinische Vorsorge achtet, hat auch in der Oberpfalz kein höheres Krebs-Risiko als anderswo – zumindest kein belegbar höheres. Denn nicht ganz klar erforscht ist der Einfluss des radioaktiven Radon-Gases auf die Häufigkeit von Krebsfällen. Radon entsteht dort, wo es Granitvorkommen gibt, so wie entlang des Oberpfälzer Walds. Den Effekt auf die Krebshäufigkeit aber wirklich nachzuweisen, sei schwer und bis heute noch nicht zweifelfrei gelungen, sagt Professor Kullmann.

Insgesamt und und unabhängig von Oberpfälzer Besonderheiten habe sich in den vergangen Jahren bei den Krebsdiagnosen einiges getan . Zwar bleiben bei Frauen Brust- und bei Männern Prostatakrebs auch weiterhin die häufigsten Diagnosen. Die Bedeutung des Lungenkrebs wandle sich aber seit Jahren deutlich. Nach vielen Jahren des Rückgangs habe es zuletzt wieder mehr Fälle gegeben. Vor allem bei den Frauen stiegen die Zahlen. Professor Kullmann führt dies auf Veränderung beim Rauchverhalten zurück.

Bemerkenswerte Behandlungsfortschritte

Deutliche Fortschritte habe die Medizin in den vergangenen Jahren bei der Behandlung einzelner Krebsarten gemacht. So war schwarzer Hautkrebs vor wenigen Jahren für viele Menschen oft noch gleichbedeutend mit einem Todesurteil. "Innerhalb weniger Jahre haben wir hier ganz andere Möglichkeiten der Behandlung gewonnen", sagt Kullmann. Auch beim Lungenkrebs stehen den Medizinern viel bessere Möglichkeiten zur Verfügung als noch vor zehn Jahren.

Dagegen tritt die Forschung bei der Behandlung von Tumoren an der Bauchspeicheldrüse auf der Stelle. Auch heute seien die Behandlungsmöglichkeiten beim sogenannten Pankreaskarzinom vergleichsweise schlecht. Das ist auch deshalb ein wachsendes Problem, weil diese Art des Krebses zuletzt häufiger auftrat. Zwischen 2006 und 2018 wuchs die Zahl bei Männern wie Frauen um fast 50 Prozent. Dies sei Folge der Lebensführung im Wohlstand, sagt Kullmann. Diabetes und Übergewicht erhöhen das Risiko.

Und auch allgemein nehme die Zahl der Krebsdiagnosen in Deutschland weiterhin zu. Im Zeitraum von 2011 bis 2030 gehen Experten davon aus, dass sich der Wert um rund 25 Prozent erhöhen wird. Allerdings warnt Professor Frank Kullmann auch davor, diese Entwicklung unabhängig vom Alter der der jeweiligen Patienten zu betrachten. Die Diagnosehäufigkeit wachse auch deshalb, weil die Menschen heute älter werden – heute bekommen Menschen Krebs, die vor 20 oder 30 Jahren schon längst an anderen Krankheiten gestorben wären. Oder wie der 62-jährige Kullmann erklärt: "Als ich als Arzt angefangen habe, war man mit 70 Jahren ein alter Mann. Die heutigen 70-Jährigen sind jung."

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Weiden in der Oberpfalz25.09.2022
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