Der Podcast mit Hannelore Haberzett und Sybille Wagner:
Vier Stunden Dienst – doch das Telefon klingelte kein einziges Mal. Vor knapp 30 Jahren als Sybille Wagner bei der Telefonseelsorge eingelernt wurde, war das durchaus Alltag. Ein katholischer Pfarrer habe sie damals gefragt, ob sie sich auch vier Stunden mit sich alleine beschäftigen könne. Konnte sie – zum Beispiel indem sie in einem Buch las. Heute ist die 73-Jährige immer noch bei der Telefonseelsorge, doch das Telefon steht nicht mehr still. "Meistens hat man keine Zeit, eine Seite zu lesen", sagt sie.
In der Telefonseelsorge Nordoberpfalz, bei der Sybille Wagner ehrenamtlich mithilft, gingen im vergangenen Jahr über 13 200 Anrufe ein. Das entspricht 36 bis 37 Anrufen pro Tag und ein bis zwei Anrufen pro Stunde. "Daneben bieten wir Mail- und Chatseelsorge an, die von verschiedensten Menschen unterschiedlichen Alters aus ganz Deutschland genutzt wird", erklärt Hannelore Haberzett. Die 57-Jährige leitet die Telefonseelsorge in der Nordoberpfalz. Die Dienste am Telefon werden als Ehrenamt rund um die Uhr geleistet. 75 Männer und Frauen aus Weiden, den Landkreisen Neustadt/WN, Tirschenreuth, Amberg-Sulzbach und Schwandorf sind dazu bereit, monatlich bis zu zwölf Stunden ihrer Freizeit aufzubringen, um Menschen zuzuhören, Trost zu spenden, Rat zu erteilen oder Mut zu machen. Zudem arbeiten vier Menschen hauptberuflich in der Nordoberpfälzer Dienststelle, die von der Diözese Regensburg und dem Dekanat Weiden getragen wird. "Manche arbeiten bereits seit vielen Jahren mit, viele sehen dies als Bereicherung während einer bestimmten Lebensphase", erklärt Haberzett.
30 bis 45 Minuten
Per Mail meldeten sich im vergangenen Jahr übrigens 2283 Menschen bei der Telefonseelsorge, die ihren Sitz in Weiden hat – das entspricht sechs bis sieben Mails pro Tag. 60 Menschen nutzten im Jahr 2022 das neue Chatangebot, um mit den Helferinnen und Helfern aus der Nordoberpfalz zu schreiben. Vor allem jungen Leuten würde laut Haberzett die Chatfunktion helfen. 72 Prozent der Menschen, die die Dienststelle Weiden kontaktieren, rufen wiederholt an. 30 bis 45 Minuten dauert ein Gespräch am Telefon oder ein Chatkontakt im Durchschnitt.
Dreiviertel der Seelsorgekontakte bestehen zu Frauen, ein Viertel zu Männern. Sie leben alleine oder in einer Familie, sind erwerbstätig oder erwerbsunfähig oder auch einfach im Ruhestand – sie folgen also keinem bestimmten Schema. Das Profil der Personen, die sich bei der Telefonseelsorge melden, ist breit gefächert. "Es ist ein Angebot für die Menschen aus der Region", sagt Hannelore Haberzett. Es könnten sich zwar Personen aus ganz Deutschland bei der Weidener Dienststelle melden, doch zumeist seien es eben doch Oberpfälzerinnen und Oberpfälzer.
Die Gesprächsthemen am Telefon sind vorrangig: die Einsamkeit, Familienbeziehungen, depressive Stimmung, Krankheit oder Alltagsbeziehungen. Suizidalität steht laut Angaben der Telefonseelsorge Nordoberpfalz am Telefon dagegen nicht im Vordergrund. In Mailkontakten sei dies deutlich häufiger ein Thema, teilen die Expertinnen und Experten mit. Wichtig: Beide Seiten bleiben komplett anonym. Für viele mache eben diese Anonymität den Unterschied, für viele sei es eine große Chance, eben doch über ihre Themen sprechen zu können, erklärt Haberzett. Doch besteht auch irgendwann die Chance, dass sich Helfende und Hilfesuchende persönlich kennenlernen? "Das ist völlig ausgeschlossen. Das ist nicht gewünscht. Das findet nicht statt", betont sie.
"Man ist auf alles gefasst"
"Wir versuchen, alles ernst zu nehmen", sagt Sybille Wagner. Eigentlich gebe es kein Thema, das zu banal für die Telefonseelsorge wäre. Bevor sie ihren Dienst beginnt, lässt sie komplett los. "Man lässt den Alltag hinter sich, man lässt das Privatleben hinter sich." Und dann sei es ganz einfach: "Man ist auf alles gefasst", sagt sie.
Und genau das lernen die ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter bei der Telefonseelsorge zu Beginn ihrer Laufbahn. Denn keiner wird natürlich einfach so an den Hörer oder die Tastatur gelassen – es finden zuerst Gespräche, Übungen und ein Kurs statt. Die angehenden Zuhörerinnen und Zuhörer lernen und erfahren, von sich selber ein Stück Abstand zu nehmen, die unterschiedlichen Gründe, warum Menschen anrufen, eine sinnvolle Gesprächsführung sowie die Kunst, Dinge nicht so sehr an sich heranzulassen.
"In unserer Gesellschaft ist es schwierig, Leute zu finden, die wirklich zuhören", sagt Hannelore Haberzett. Doch sie ist immer auf der Suche. Am 28. Oktober starte ein neuer Kurs bei den Telefonseelsorge Nordoberpfalz und es gebe noch Plätze. Sie betont: "Ich freue mich über jeden, der mich anruft." Und bei einem können sich alle Anrufenden sicher sein. Die Leiterin der Telefonseelsorge und ihre Kollegin Sybille Wagner sind richtig gute Zuhörerinnen.
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