Als Ernst Reiter mit seiner Tochter Ingrid Portenschlager damals Stevens Spielbergs Filmdrama "Schindlers Liste" im Kino sah, habe er zu ihr gesagt: "Wenn's nur so gewesen wäre." Der Alltag im Konzentrationslager Flossenbürg sei für ihren Vater nämlich in der Realität noch viel grausamer und schrecklicher gewesen, als der Film das Leben und Sterben im KZ darstelle. Das erzählt Portenschlager als Zeitzeugin der zweiten Generation vor Neunt- und Zehntklässlern an der Gustl-Lang-Schule. Der Österreicher Ernst Reiter war viereinhalb Jahre lang in Flossenbürg inhaftiert.
Sein damaliges Vergehen: Wehrdienstverweigerung. Er war Zeuge Jehovas. Seine Tochter besucht heute Schulen und widmet ihre Freizeit der Aufgabe, Jugendliche aus zweiter Hand über die Gräueltaten der NS-Schergen zu informieren. Und dabei erzählt sie auch, was es für eine Tochter bedeutet habe, von einem Vater erzogen zu werden, der schwer traumatisiert war. An der Staatlichen Wirtschaftsschule berichtet sie ferner von der Ausgrenzung und vom Spott, den sie als Kind eines ehemaligen KZ-Häftlings in der noch recht braun angehauchten Nachkriegszeit habe erdulden müssen. Selbst von ihrer Klassenlehrerin.
"Schule ohne Rassismus"
Organisiert und begleitet wird die Referentin von Esther Dürnberger, die seit 20 Jahren mit dem Verein "Lila Winkel" zusammenarbeitet. Der organisiert die Zeitzeugengespräche. Die Wirtschaftsschule wurde ausgewählt, weil sie "Schule ohne Rassismus und Schule mit Courage" ist.
Ernst Reiter sollte bereits 1933 eingezogen werden, konnte aber die Einberufung umgehen. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 verweigerte er den Wehrdienst, weswegen er zu sechs Monaten Haft verurteilt und nach Verbüßung auf den Truppenübungsplatz Grafenwöhr überstellt wurde, wo er erneut verweigerte. Ein Kriegsgericht verurteilte ihn zu 18 Monaten Gefängnis. Anschließend wurde er nach Flossenbürg gebracht, wo er als Steinmetz und später in der Schreibstube arbeitete. Weil der Zeuge Jehovas seinem Glauben nicht abschwor, ordnete die SS Prügelstrafe an.
Ehemaligen Peiniger aufgesucht
Nach dem Krieg habe es sich ihr Vater nicht verkneifen können, von Graz nach Landshut zu reisen, erzählt seine Tochter. Dort wollte er einem ehemaligen Peiniger, der am Gemeindeamt arbeitete, mitteilen, dass er noch lebe. Rache sei das nicht gewesen, erklärte Ingrid Portenschlager. Reiter sei dem Mann, der ihm den Tod prophezeit habe, einfach nur eine Antwort schuldig geblieben.
Der KZ-Häftling mit der Nummer 1935 überlebte nicht nur das unmenschliche Konzentrationslager, sondern auch den berüchtigten Todesmarsch im April 1945. Er kehrte nach Graz zurück und arbeitete dort als Handelsvertreter. Er wurde 91 Jahre alt.
Zur Person: Ernst Reiter
- Geboren am 11. April 1915 in Graz, gestorben am 25. April 2006
- Häftling "Nummer 1935" im KZ Flossenbürg
- Vergehen: Wehrdienstverweigerer aus Glaubensgründen (Zeuge Jehovas)
- 1939 vom Kriegsgericht Regensburg verurteilt zu 18 Monaten Gefängnis, nach Verbüßung der Strafe ins KZ Flossenbürg gebracht
- Mehrfach schwer misshandelt von SS-Männern
- Todesmarsch in Richtung Süden. Am 23. April 1945 bei Cham befreit
- Rückkehr nach Graz, Arbeit als Handelsvertreter
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