Weiden in der Oberpfalz
28.01.2020 - 09:17 Uhr

Totschlag: Sohn hörte Stimmen

Im Mai 2019 ersticht ein Biologe seinen Vater. Aus Sicht des behandelnden Oberarztes der Forensik in Regensburg spricht vieles dafür, dass der 34-Jährige an Halluzinationen litt. Er hörte Stimmen. Und nicht nur das.

Prozess Bild: Volker Hartmann/dpa
Prozess

In den Tagen vor der Tat bezog er Durchsagen der Deutschen Bahn auf sich selbst. Der ledige Akademiker, zuletzt wohnhaft in Regensburg, will eine Mutter beobachtet haben, deren Kinder die Worte "Apfelkuchen und Blut" wiederholen mussten. Beim Sonntagsfrühstück im Elternhaus in Grafenwöhr habe ihm der Vater "mit hasserfülltem Blick" gesagt, wie viel Kilo Stahl in seinem Brotmesser sei. Er stach zu.

Extreme Nebenwirkungen

Am Tag darauf kam der 34-Jährige in die forensische Psychiatrie. "Er war schwer krank, in einem hochpsychotischen Zustand", sagt er Oberarzt. Der Neuzugang war misstrauisch, verschlossen, flüsterte mit sich selbst. Medikamente waren kaum noch messbar. Das jahrelang verschriebene Leponex hatte der 34-Jährige auf eigene Faust abgesetzt. Antipsychotika haben extreme Nebenwirkungen, weiß der Mediziner. "Man fühlt sich gedrückt, extrem müde, nimmt zu." Bei Leponex kommt hinzu, dass die Zahl der weißen Blutkörperchen lebensbedrohlich abnehmen kann. "Man muss da als Psychiater wahnsinnig aufpassen, dass man einen Patienten nicht versehentlich umbringt."

Die ersten acht Wochen verbrachte der 34-Jährige in einem Isolierzimmer, allein, nur ein Bett. Zur Medikamentengabe rückten immer mehrere Pfleger an. Er wurde auf ein anderes Präparat eingestellt. Nach vier Wochen meldete er Redebedarf an. Er weiß, was er getan hat und hadert mit der Schuld. Zu Ärzten sagte er: "Ich habe meinen Vater doch gemocht. Meine arme Mutter ist jetzt allein. Scheiß Krankheit."

Die Behandlung laufe optimal. "In der Allgemeinpsychiatrie wäre er längst entlassen", sagt der Oberarzt. Im Fall der Unterbringung durch die 1. Strafkammer des Landgerichts Weiden würde man sofort Lockerungen beantragen. In ein paar Monaten wären Spaziergänge auf dem Klinikgelände möglich. "Wenn alles glatt geht, kann er nächstes Jahr um diese Zeit schon in der Resozialisierungsabteilung sein." Dies zeige die Erfahrung. Aber der Oberarzt gesteht: "Ich habe mich auch schon völlig verschätzt."

Für Oberstaatsanwalt Bernhard Voit zeigt die Vorgeschichte des Grafenwöhrers ein Grundproblem der Betreuung: Den Patienten gehe es behandelt immer besser, dann werde die Betreuung aufgegeben, was mangels Außenkontrolle mit dem Ausschleichen der Medikation einhergehe. "Je besser es geht, umso schlechter wird es dann." Der Forensiker widerspricht in diesem Fall: Die Forensik sei personell anders aufgestellt und betreue den Patienten ambulant weiter - inklusive Blutkontrollen. Die zentrale Frage beim Beschuldigten sei eher: "Wo kann er leben?" Tante, Mutter und Schwester haben ihn besucht. Aber wollen sie ihn bei sich haben?

Betreuerin ahnungslos

Weitere Zeugen am Montag sind Freunde und die gesetzliche Betreuerin. Sie war 2015 bestellt worden, als nach einem martialischen Suizidversuch paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden war. Der junge Mann habe sich vorbildlich rehabilitiert: aufgeschlossen, kooperativ, beruflich schnell wieder im Sattel. Vom Rückfall 2017 weiß sie nicht viel. Im Mai 2018 wurde die Betreuung beendet. "Es bestand kein Handlungsbedarf mehr." Ein Jahr später brachte der Biologe seinen Vater um. "Was ist nach Mai 2018 schief gelaufen?", will Oberstaatsanwalt Voit wissen. Die Betreuerin fragt: "Schief gelaufen? Da kann ich jetzt nichts dazu sagen."

Im Prinzip waren sie alle ahnungslos. "Ich will Ihnen nicht zu nahe treten", sagt Psychiater Dr. Bruno Rieder zu einem der besten Freunde: "Aber kann es sein, dass Sie eigentlich relativ wenig über ihn wissen?" Der Kumpel kennt den Beschuldigten seit 20 Jahren. "Wir hatten einen guten Draht zueinander. Andere taten sich schwer mit ihm", meint der IT-Experte. In der Jugend habe der Beschuldigte gekifft, als Student zu viel getrunken. Er weiß auch von einer psychischen Krankheit, aber nichts von fünf stationären Aufenthalten. "Ich wollte ihm immer seine Privatsphäre lassen."

Eine gute Freundin aus Grundschulzeiten gratulierte dem 34-Jährigen wenige Tage vor der Tat zum Geburtstag. Ihr fiel auf: "Er hat zeitverzögert geantwortet." Sie kannte seinen Wortkargheit von früher, "aber für mich war er immer ein guter Freund". Als sie von der Tat erfuhr, war das "einfach nur unreal".

 
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