Weiden in der Oberpfalz
11.10.2018 - 14:32 Uhr

"Vertreibung traf Unschuldige"

Berichte von Zeitzeugen sind meistens realistischer als Filme. Wenn sie die Nachkriegsgeschichte im tschechischen Nachbarland betreffen, hört man hier in der Region ganz genau hin.

Sie sind die Hauptakteure am deutsch-tschechischen Tag (von links): Bürgermeister Lothar Höher, Zeitzeuge Rudolf Tomsu, Anett Browarzik vom Tschechischen Zentrum München, Studiendirektorin Andrea Hielscher von der Staatlichen Akademie für Übersetzten und Dolmetschen, Zeitzeuge Rudolf Cerny, Harald Krämer von der VHS Weiden-Neustadt und Tschechien-Experte Hans Wurm. Bild: Bühner
Sie sind die Hauptakteure am deutsch-tschechischen Tag (von links): Bürgermeister Lothar Höher, Zeitzeuge Rudolf Tomsu, Anett Browarzik vom Tschechischen Zentrum München, Studiendirektorin Andrea Hielscher von der Staatlichen Akademie für Übersetzten und Dolmetschen, Zeitzeuge Rudolf Cerny, Harald Krämer von der VHS Weiden-Neustadt und Tschechien-Experte Hans Wurm.

Vor 100 Jahren wurde die Tschechoslowakei gegründet. Die Staatliche Akademie für Übersetzen und Dolmetschen und die Volkshochschule Weiden-Neustadt hatten zum deutsch-tschechischen Tag eingeladen. Mit Zeitzeugenberichten aus der Nachkriegszeit und der Eröffnung einer Ausstellung über die Geschichte der Tschechoslowakei wurde das Ereignis gewürdigt.

Der als Außenseiter im Kommunistischen System geltende Journalist Rudolf Tomsu stellte die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung Tschechiens nach dem Zweiten Weltkrieg in den Mittelpunkt seines Vortrags. Diese nannte er "das größte Trauma unserer Geschichte". Jahrzehnte lang sei dieses Thema in Tschechien "ein absolutes Tabu" gewesen. Dieses Schweigen bezeichnete Tomsu als "Ausdruck kollektiven Schuldgefühls". Teilweise würde es bis heute anhalten.

Angst vor "Ehemaligen"

Und bis heute würden viele Tschechen die Vertreibung als Antwort auf die Verbrechen des Nazi-Regimes ansehen. Über eigene Pogrome und Mordtaten sei zu wenig bekannt und viele würden denken, dass die Menschen wieder vertrieben wurden, die im Nationalsozialismus ins Land kamen. Nur wenige wüssten, dass eine jahrhundertelange Situation beseitigt und nahezu ein Drittel der Bevölkerung ausgewiesen wurde. Angst sei nach der Grenzöffnung in Tschechien entstanden, dass "Ehemalige zurückkommen könnten". Um die Angst zu nehmen, hatte Tomsu nach der Grenzöffnung drei Jahre lang mit den Oberpfälzer Nachrichten eine in tschechischer Sprache gedruckte Zeitung herausgegeben. Wenn Tschechien eine erwachsene Demokratie sein wolle, müsse es "das Minimale tun und sagen, verzeiht das Unrecht an den Unschuldigen".

"Totaler Schock"

Einen Zeitzeugenbericht über die Zeit des Prager Frühlings hörten die Zuhörer von Rudolf Cerny. Der Sprachenlehrer wuchs in Tschechien auf als Kind einer deutschen Mutter und eines tschechischen Vaters und kam nach der Grenzöffnung nach Deutschland. Den Einmarsch der Panzer des Warschauer Pakts im Jahre 1968 war für ihn ein "totaler Schock". Danach seien drei Gruppen in der Bevölkerung entstanden: Erstens die "Schwejks", die dachten: "Irgendwie schaffen wir das". Sie hätten viel improvisiert und "gebastelt". Daneben standen diejenigen, die mit dem Kommunismus kooperierten. Schließlich gab es die kleine Gruppe von Dissidenten, zu denen auch Vaclav Havel gehörte.

Die Ausstellung stellte Anett Browarzik vom Tschechischen Zentrum München vor. Sie zeigt, dass die wichtigsten Ereignisse in der tschechischen Geschichte auf die Jahre 1918, 1938, 1948, 1968 und 1989 fallen. Die Ausstellung ist bis Ende Oktober in der VHS-Aula zu sehen.

Im Mittelpunkt des deutsch-tschechischen Tags stand der Vortrag des Zeitzeugen Rudolf Tomšů. Moderatoren waren Studiendirektorin Andrea Hielscher und Harald Krämer von der VHS Bild: Bühner
Im Mittelpunkt des deutsch-tschechischen Tags stand der Vortrag des Zeitzeugen Rudolf Tomšů. Moderatoren waren Studiendirektorin Andrea Hielscher und Harald Krämer von der VHS
Zeitzeuge Rudolf Tomšů Bild: Bühner
Zeitzeuge Rudolf Tomšů
 
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