Da steht es, das beste Weihnachtsgeschenk, das ich jemals bekommen habe. Gezeichnet von Alter und Gebrauch klaffen Eselsohren an seinen Seiten – wie Falten in einem uralten Gesicht. Die Rede ist von dem kleinen französischen Wörterbuch, das so prägend war für mein Leben.
"Damit ist ja wohl klar, was du tun musst." Mit diesen Worten drückte mir vor vielen Jahren mein langjähriger Kumpel Andras Borza das Buch in die Hand. Und fügte zwinkernd hinzu: "Voilà. Lies!" Ich schaute ihn an und dachte nur: Ein Wörterbuch "liest" man doch nicht. Aber warum war es dann so ein gutes Geschenk? Ich war 23 Jahre alt, hatte einen Beruf erlernt, aus dem ich nach der Ausbildung fluchtartig wieder ausgebrochen war. Danach hatte ich mein Abi nachgeholt und stand nun vor der Frage: Wohin will ich eigentlich? Zurück in meinen früheren Job, den ich so sehr hasste? Etwas Neues wagen? Zurück war keine echte Option: Das wäre gewesen wie in der Metapher mit dem kleinen Vögelchen, das sich nicht traut davonzufliegen, obwohl die Tür des Käfigs weit offen steht. Andi schubste mich raus aus der Gewissheit, rein ins Ungewisse.
Was macht ein besonderes Geschenk aus? Es kommt von Herzen und zeigt: Da hat sich jemand Gedanken gemacht. Ich bin ein freiheitsliebender Mensch. Literatur, Reisen, fremde Kulturen – das waren Dinge, die mich immer schon begeisterten. Ich wollte frei sein und meinen eigenen Weg gehen. Wozu warten? Das war es, was Andi mir sagen wollte. Ich verstand. Also nahm ich das Wörterbuch, radelte zur Uni und schrieb mich ein: Hauptfach Französische Literatur. Auch wenn ich danach noch mehrere Haken schlug, war dieser Augenblick wegweisend für mein weiteres Leben. Danke, mercí (!), für ein besonderes Geschenk.
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