Eine Art Krampfadernriss in der Speiseröhre. Das sieht nach Gewaltverbrechen aus, ist es aber nicht. Es handelt sich um eine Begleiterkrankung, wie sie bei Alkoholkranken vorkommen kann. Der Kriminaldauerdienst - das K 8 - rückt immer dann aus, wenn es Anhaltspunkte für Selbsttötung, Unfall oder eine strafbare Handlung gibt. Im letzten Jahr sahen sich die Kommissare 180 Tote in Weiden und den Landkreisen Neustadt und Tirschenreuth genauer an - durchschnittlich jeden zweiten Tag. Wenn der Arzt als Todesart "unnatürlich" oder "ungeklärt" ankreuzt, fahren sie zum "Ereignisort".
Denn: Ob es ein Tatort ist, das muss sich erst zeigen. Drei Säulen werden abgearbeitet, selbst wenn der Fall noch so eindeutig wirkt, etwa der Abschiedsbrief auf dem Nachtkästchen liegt. Diese drei Säulen sind die Leichenbesichtigung, die Umfeldermittlung und die Besichtigung des Ereignisortes. Die Kernfrage: Hat jemand Schuld am Tod dieses Menschen? Passt auch nur ein Teil nicht ins Puzzle, wird der Fall aufgerollt. "Die Kollegen machen das mit großer Akribie", sagt Kommissariatsleiter Markus Braun. Seine Leute sind im Drogenmilieu genauso unterwegs wie in Firmen nach Betriebsunfällen.
Die Leichenbesichtigung ist nichts für schwache Nerven. Die Kommissare ziehen den Toten aus. Sie sehen ihn von Kopf bis Fuß an, betasten den Körper. "Das ist nicht wie im Fernsehen, wo immer ein Rechtsmediziner parat steht", sagt Kommissar Thomas Gareis. "Wir machen das selbst." Das K 8 ist meistens im Zweier-Team vor Ort. Alles wird fotografiert und muss im Zweifelsfall vor Gericht wasserdicht sein.
Geprüft wird auf Gewalteinwirkung (Würgemale, Stichverletzungen, Hämatome...), auf Hinweise einer Vergiftung oder eines Erstickungstodes. Diese Leichenbesichtigung erfolgt in der Regel vor Ort - in Wohnung, Krankenhaus, Seniorenheim. In manchen Fällen wird der Tote in den Sektionsraum des Waldfriedhofs gebracht, etwa, wenn der Fundort in der Natur ist oder erst Blut abgewaschen werden muss, um mögliche Verletzungen zu erkennen.
Bei Obduktionen dabei
Die Kommissare wissen, dass von ihrer Entscheidung viel abhängt. "Wir sind der letzte, der hinschaut", sagt Gareis. Dann schließt sich der Sarg. Ihr medizinisches Wissen haben sich die Kommissare über die Jahre selbst angeeignet. Sollte der Staatsanwalt die Obduktion anordnen, stehen die Weidener Kripobeamten in Erlangen an der Seite der Rechtsmediziner am Obduktionstisch und fotografieren jeden Schritt. "Da lernt man wahnsinnig viel", sagt Kriminaloberkommissar Wolfgang Huck.
Selbstredend, dass dieser Beruf nicht jedermanns Sache ist. Der heiße Sommer 2018 tat sein Übriges: Bei Hitze verwesen Körper wesentlich schneller. Lang liegende Tote sind eine Herausforderung für den Geruchssinn. Der sehr spezielle Geruch kriecht in die Kleidung. Huck geht an solchen Tagen daheim über den Waschkeller ins Haus und legt erst einmal ab. Für Kriminaloberkommissar Michael Kirchberger sind es vor allem die toten Kinder, die sich in sein Gedächtnis eingebrannt haben. "Das Schlimmste, was Eltern passieren kann." Der pietätvolle Umgang mit Angehörigen ist ihnen wichtig. Sie wissen, dass sie mit ihren Fragen "sehr abrupt in die Trauerphase einbrechen". Selbst wenn am Ende der Todesfallermittlung Angehörige oft froh seien um die Klarheit, sich nichts vorwerfen zu müssen.
Eine Frau und 14 Männer
Trotz aller Belastungen: Gareis, Huck, Kirchberger und Kollege Peter Haas sind seit Gründung des Kriminaldauerdienstes 2008 dabei geblieben. Insgesamt besteht das Team des K 8 aus 15 Kollegen und ist damit das größte Kommissariat der Kripo: Neben Chef Braun und den "Gründungsmitgliedern" sind dies Kriminalhauptkommissar Josef Fischer, die Kriminaloberkommissare Holger Jodlbauer und Andreas Fleck, die Kriminalkommissare Berthold Völkl, Oliver Schweiger und Roland Schröter sowie die Kriminalhauptmeister Stefan Bortner, Andreas Kappl, Christoph Liedl und - als einzige Frau - Franziska Voit. Weil das K 8 zugleich Ausbildungsdienststelle ist, sind immer auch Praktikanten an Bord.
Gareis rät den Neuen, die "professionelle Distanz" einzuhalten. Ihn habe die Arbeit "demütig" gemacht: "Desto mehr Tote wir sehen, umso mehr wert ist uns das Leben." Kollege Kirchberger stimmt ihm da zu: "Wir sehen, wie schnell es gehen kann. Wir haben gelernt, das Leben zu schätzen."
Der Kriminaldauerdienst ist weit mehr als „nur“ zuständig für Todesfallermittlungen. Er ist die „Feuerwehr“ der Kriminalpolizei. Außerhalb der Bürozeiten – nachts, an Wochenenden und Feiertagen – bearbeitet der KDD sämtliche Fälle, die für die Kripo auflaufen:.von Vergewaltigung bis Brand, von Staatsschutz bis Spurensicherung. 15 Beamte stemmen einen 24-Stunden-Schichtdienst an sieben Tagen die Woche. Nicht glücklich ist man hier über das neue Schichtmodell bei der Bayerischen Polizei, das EU-Richtlinien angepasst wurde. Ein „Doppelschlag“ – aufeinanderfolgende 12-Stunden-Schichten – sind aktuell nicht mehr möglich. Diese wären den KDD-Kommissaren aber sehr recht: Zum einen müssen sie jetzt mit sechs statt vier Kollegen täglich planen. Zum Zweiten würden gerade nach Todesfallermittlungen zusammenhängende Ausgleichstage gut tun.
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