Vor jeweils 120 interessierten Besuchern und somit in ausverkauften Häusern stellte die an der Ostsee beheimatete Autorin Monika Kiel-Hinrichsen laut einer Mitteilung sowohl im Pfreimder Pfarrsaal als auch im Unterköblitzer Pfarrheim ihr Buch "Burgschattenkinder" vor. Die Sachbuchautorin, die Sozialpädagogik studiert und als Familien- und Paartherapeutin sowie als Dozentin arbeitet, greift in ihrem ersten Roman nach einer wahren Begebenheit ein Stück Familiengeschichte auf und stellt einen Teil Ortsgeschichte von Wernberg-Köblitz vor.
Warum schreibt eine Autorin aus dem hohen Norden über Burg Wernberg in der Oberpfalz? Dazu muss man wissen, dass in Niedersachsen in den 1960er Jahren der Betreuungsnotstand für behinderte Jungen ausgerufen wurde und man sich an andere Bundesländer wandte. Auf Burg Wernberg wurden 60 dieser Kinder in das Agnesheim aufgenommen. Weit von ihren Familien entfernt, gingen diese davon aus, dass ihre Jungen eine optimale Förderung und liebevolle Erziehung erhielten. Einer dieser Jungen, im Buch Johann genannt, ist der Bruder der Autorin.
Vor gebanntem Publikum las Kiel-Hinrichsen unterschiedliche Passagen vor, die verschiedene Aspekte und die Geschehnisse im Zeitraum zwischen 1964 und 1980 beleuchteten, aber auch zeigten, wie es nach der Zeit auf der Burg mit Johann weiterging. Klar wurde laut Mitteilung dabei, dass die Heimleitung versagt habe, indem sie sich nicht um das Wohlergehen der Kinder gesorgt habe, sondern auf eigenen Profit aus gewesen sei. Sie habe zum Beispiel einen fachfremden Hilfspfleger eingestellt, der die Kinder misshandelt habe. Auch allen anderen Mitarbeitern habe sie ihr Motto vorgestellt, nachdem die Jungen nicht verweichlicht werden sollten, sondern zur Not geschlagen werden sollten, damit sie spurten.
Bei der anschließenden Aussprache berichtete eine damalige Erzieherin im Agnesheim, dass ein kleiner Junge sich sehnsüchtig ein Matchboxauto zu Weihnachten gewünscht hatte und stattdessen ein völlig verfehltes Geschenk erhielt: Ein Puzzle mit 1000 Teilen. Die vorher geschriebenen Wunschzettel seien nicht beachtet worden. Eine Kollegin sei ins Büro zitiert und niedergemacht worden, was ihr einfiele, Kosten zu verursachen: Sie wollte Fingerfarben für die Kinder anschaffen.
Anzeigen im Sand verlaufen
Ein Mann gab an, dass seine Schwester, die ein Praktikum im Agnesheim machte, die Missstände zur Anzeige gebracht habe. Der eingesetzte Gutachter sei aber auch als Arzt auf der Burg tätig und zudem privat mit der Heimleitung verbandelt gewesen. Deshalb habe er diese und weitere Anzeigen im Sand verlaufen lassen.
Applaus erhielt die im Publikum anwesende und damals auf der Burg arbeitende Kinderkrankenschwester Margit Hohl, deren Anzeige 1979 zu einer dreijährigen Haftstrafe für die Heimleitung und zur Schließung des Heims führte. Der als Hilfspfleger angestellte und gewalttätige Schlosser wurde laut Mitteilung zu 20 Monaten Haft verurteilt. Eine ebenfalls im Saal anwesende Besucherin sagte gegen den Gutachter aus. Gegen ihn wurde zwar ein Vorermittlungsverfahren eingeleitet. Er ließ sich aber vorzeitig pensionieren und wurde deshalb nie bestraft.
Gespräche mit Zeugen
Die Frage ihrer Tochter nach Familiengeheimnissen, brachte Monika Kiel-Hinrichsen dazu, genauer zu recherchieren. Sie machte sich auf den Weg in die Oberpfalz und erhielt von den damals auf der Burg arbeitenden und vor Gericht aussagenden Personen Hilfe und einen Ordner mit allen Zeitungsartikeln im besagten Zeitraum, was sie dazu veranlasste, über die damaligen Geschehnisse zu schreiben – im Namen der Menschen mit Beeinträchtigung.
Zum Abschluss trat Kiel-Hinrichsen mit dem Wunsch an das Publikum heran, sich Menschen mit Beeinträchtigung zu öffnen und –angelehnt an den systemischen Ansatz, nach dem der Mensch in Wechselwirkung mit seinem sozialen Umfeld steht – damit einen Stein ins Rollen zu bringen. Die Eintrittsgelder beider Abende werden an Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners gespendet.
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