Bundestagsabgeordnete Marianne Schieder hatte zur Wahlparty in den Garten ihres Hauses in Wernberg-Köblitz geladen. Wer dorthin durch die Siedlung fährt, muss die Straße "Zur roten Marter" entlang. Gemartert wurden die etwa 40 SPD-Anhänger, die sich in einem Partyzelt vor einer großen Leinwand versammelt hatten, dann um 18 Uhr tatsächlich. Die Prognose der ARD sah die Unionsparteien mit 25 Prozent gleichauf mit der SPD. Vom tagelang vermeldeten Scholz-Vorsprung schien plötzlich nicht mehr viel übrig zu sein. Partystimmung wollte da nicht aufkommen. Stattdessen: Stille und banges Warten auf die ersten belastbaren Zahlen.
Erleichterung nach der ersten Hochrechnung
Gegen 18.40 Uhr gab Ex-Bundestagsabgeordneter und Schieder-Vorgänger Georg Pfannenstein Entwarnung. "Jetzt kannst ihr aber gratulieren", rief er SPD-Kreisvorsitzendem Peter Wein zu. Das ZDF hatte die erste Hochrechnung präsentiert mit einem Vorsprung der SPD. Und Wein verkündete auch die ersten Zahlen für Bayern: 16,5 Prozent, "damit ist unsere Marianne sicher wieder drin". Sektgläser wurden herangetragen, Rotwein ausgeschenkt und Kreisvorsitzender Wein setzte zu einer Lobrede an. "Die SPD ist wieder da. Die Aufholjagd ist gelungen." Das sei dem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz zu verdanken, aber auch der Parteibasis vor Ort. "Wir sind gut vernetzt. Gerade in den vergangenen Tagen haben wir an den Info-Ständen eine gute Stimmung gespürt."
"Dieses Ergebnis hätte uns vor einem halben Jahr keiner zugetraut", analysierte Marianne Schieder die ersten eintreffenden Zahlen. "Das ist für uns als SPD-Landesgruppe ein schöner Abend, weil die amtierenden Kollegen aller Wahrscheinlichkeit alle wieder in den Bundestag einziehen." Schieder ist Vorsitzende der Landesgruppe. Und die 59-Jährige freute sich über jedes Fleckchen auf der Wahlkreis-Karte, das sich rot einfärbte: Stadlern war eines der ersten, gefolgt von Niedermurach und Altendorf. "Ich danke allen, die sich da ins Zeug gelegt haben", sagte sie. "So viele Menschen haben für mich und die Politik der SPD geworben."
Vom tiefen Keller an die Spitze
"Die Leute haben schon gemerkt, was die SPD in Berlin erreicht hat", zeigt sich Georg Pfannenstein überzeugt. "Vor acht Wochen waren wir noch im tiefen Keller", blickte der Ex-Bundestagsabgeordnete zurück. "Es ist unglaublich, was wir da auf den letzten Metern noch geschafft haben." Und der erfahrene Bundespolitiker ließ keinen Zweifel daran: "Olaf Scholz muss Kanzler werden. Selbst wenn es bei den Prozenten einen Gleichstand gäbe, müsste der Kandidat mit dem größeren Ansehen den ersten Zugriff kriegen."
Die Stimmen der TV-Moderatoren und Applaus schallten durch die Siedlung auf dem Wernberg-Köblitzer Kalvarienberg und die Stimmung besserte sich zusehends im Schieder-Garten. Die Hausherrin zieht zum fünften Mal über die SPD-Landesliste in den Bundestag ein. Bei der nächsten Wahl ist sie 63 Jahre alt. Ob sie dann nochmal antritt? "Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht", sagt sie, pflückt sich eine Beere von einem Strauch und mischt sich wieder unter ihre Genossen.
"Dieses Ergebnis hätte uns vor einem halben Jahr keiner zugetraut."
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