Wiesauer Schauspieler brennen auf Auftritte

Wiesau
19.01.2022 - 10:15 Uhr
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Die Geduld schwindet, weil Corona ausbremst. Schauspieler und Regisseur Bernhard Neumann von der Theatergruppe Shalom Amitié in Wiesau berichtet im Interview von Frust und Lust auf Theater.

ONETZ: Herr Neumann, wie geht es Ihnen und Ihrer Theatergruppe Shalom Amitié nach zwei Corona-Jahren? Wie ist die Stimmung im Ensemble?

Bernhard Neumann: Die Situation in den beiden Jahren war nicht gerade einfach und oft auch frustrierend. Man hatte kleine Hoffnungsschimmer, kleine Lichtblicke und dann kam der berühmte Schlag in den Magen und man landete wieder auf dem harten Boden der Realität und Verordnungen. Aber wir sind guter Dinge und sehen etwas mehr Licht am Ende des Tunnels. Ich denke, dass wir spätestens im Sommer wieder ein relativ hohes Maß an Normalität erreichen werden und auch im Herbst/Winter wieder mehr möglich ist. Deshalb herrscht sowohl bei mir als auch in der Theatergruppe eine große Vorfreude und das Brennen, endlich wieder ein Stück auf die Bühne zu bringen.

ONETZ: Ihr habt Rückschläge erlitten. Zwei Workshops mussten abgesagt werden. Einmal in eigener Sache und der Workshop „Bühnenkampf“. Gibt es Pläne für eine Wiederholung in diesem Jahr?

Bernhard Neumann: Vor allem für „Bühnenkampf“ gab es ein sehr großes Interesse und da war es natürlich besonders schade. Aber Aufgeben war nie unsere Sache und deshalb werden wir diesen Workshop sicher im Herbst/Winter 2022 erneut anbieten. Den Schnupperkurs für neue Mitstreiter wird es sicher im Frühjahr geben. Man darf aber auch gerne ohne Workshop zu unserer Gruppe dazustoßen. Jede und jeder – vom Jugendlichen bis zum Greis – ist bei uns immer willkommen. Wir suchen ja nicht nur Leute auf der Bühne, sondern auch hinter den Kulissen: fürs Schminken, fürs Haare machen, für den Bühnenbau, für die Sound- und Lichttechnik. Einfach melden!

ONETZ: Finden Sie die Corona-Regeln für Theater ungerecht, nachdem in Fußballstadien wieder Tausende Fans eingelassen wurden?

Bernhard Neumann: Puuuhhhh – bei dem Thema muss ich echt zuerst mal tief durchschnaufen, bevor ich antworte. Vielleicht vorneweg: Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass es Einschränkungen gibt, ganz allgemein, aber auch für die Kultur. Aber ich hinterfrage auch einzelne Maßnahmen kritisch. Und wenn ich daran denke, dass im Sommer 70, 80 Tausend Fans in den Fußballstadien waren, mit lauten Fangesängen ihren Verein anfeuerten und Kultur jetzt nur mit 2G-plus, Maske während der kompletten Vorstellung, natürlich mit Abstand und nur 25 Prozent Auslastung möglich ist, dann geht mein Puls sehr schnell in den roten Bereich. Obwohl es verschiedene Studien gibt, die ganz klar zeigen, dass Theater keine Pandemietreiber sind, sind es genau diese Orte gewesen, die mit als Erstes mit zum Teil sehr harten Einschränkungen kämpfen mussten. Wir als Laientheater haben ja fast keine Ausgaben – Saalmiete und Verlagskosten sind wahrscheinlich die größten Posten – und trotzdem wäre auch für uns bei solchen Vorgaben eine Produktion ein Minusgeschäft. Und tagesaktuell wurde zwar über Lockerungen im Bereich Kultur nachgedacht, aber es blieb leider beim Nachdenken. Ich hoffe sehr, dass hier bald ein Umdenken stattfinden wird.

ONETZ: Wie kriegt man seinen Zorn und Frust in den Griff?

Bernhard Neumann: Dazu braucht es zum einen liebe und geduldige Menschen um einen herum, bei denen man – ich muss es so sagen – auskotzen kann. Das hilft schon sehr viel, wenn man eine Freundin zur Seite hat, die dann einfach nur zuhört, wenn der innere Vulkan wieder explodiert. Und dann ist es einfach ein Wesenszug von mir, den Blick nach vorne zu richten und niemals aufzugeben.

ONETZ: Wie zuversichtlich sehen Sie die Zukunft für Theaterbühnen? Wird sich die Szene eines Tages wieder erholen und wie früher gefeiert werden? Oder denken Sie, dass Corona der Kulturszene derart geschadet hat, dass es zu bleibenden Schäden kommen wird?

Bernhard Neumann: Es wird mit Sicherheit nicht alles sofort so sein, wie es einmal war. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich die Szene erholen wird und man nach einer Premiere auch wieder ausgelassen feiern kann und wird. Manches wird vielleicht anders sein. Aber anders bedeutet ja nicht zwangsweise schlechter. Die Kulturszene ist ja sehr kreativ und deshalb bin ich absolut davon überzeugt, dass es ein lebendiges und kreatives Nach-Corona geben wird.

ONETZ: Nun zu den erfreulichen Dingen: Ihre historischen Wiesauer Ortsführungen von Shalom Amitié mit dem Titel „Richter, Frühmesser und Saubären“ inklusive Theatereinlagen waren der Renner. Eine Wiederholung in diesem Jahr ist da geradezu Pflicht?

Bernhard Neumann: Die Führungen wurden wirklich sehr gut angenommen und auch das positive Feedback war überwältigend. Mit solch einem Erfolg haben wir überhaupt nicht gerechnet. Aktuell laufen die Planungen für 2022 und wir werden Ende Februar neue Termine für den Sommer bekanntgeben.

ONETZ: Wie viele Aufführungen gab es und wie viele Zusatzvorstellungen?

Bernhard Neumann: Wir hatten ganz am Anfang vier Termine geplant. Als dann aber kurz nach der Veröffentlichung die Karten wie die warmen Semmeln weggingen, haben wir auf zehn Termine erhöht. Und nach weiteren Zusatzterminen waren es 16.

ONETZ: Gibt es neue Ideen, vielleicht andere Szenen oder zusätzliche?

Bernhard Neumann: Im Großen und Ganzen wird die Führung in der gleichen Form stattfinden wie 2021. Aber es gibt auch die eine oder andere Idee, punktuell Neues einzubauen beziehungsweise auf Änderungen zu reagieren, wie den jetzt abgerissenen Kramerladen der Härtl Anna.

ONETZ: Die vielen Termine waren für die Theaterspieler, die alle ehrenamtlich dabei sind, sehr zeitaufwendig. Freut sich das Ensemble trotzdem auf eine Wiederholung, besonders unter den aktuellen Gegebenheiten? Weiterhin weiß man nicht, ob Theater auf einer Bühne 2022 überhaupt wieder möglich sein wird.

Bernhard Neumann: Es waren zwar sehr viele Termine, aber durch die Doppelbesetzungen war der Aufwand für den Einzelnen überschaubar. Die im Vergleich zu einem großen Bühnenstück kurze Probenphase hat dazu beigetragen, dass dieses Projekt im Ensemble mit so viel Freude und Begeisterung umgesetzt wurde. Wir können uns auch eine dreifache, vierfache Besetzung vorstellen. Die Szenen bei den Führungen sind ideal, um sich als Akteur auszutesten. Wer Lust hat, in die Theaterwelt hineinzuschnuppern und unser Team bei den Führungen zu verstärken, der kann sich gern melden. So konnten wir auch 2021 zwei talentierte, hoffnungsvolle Newcomer integrieren.

ONETZ: Schmiedet Shalom Amitié für den Herbst Pläne für eine größere Theateraufführung im Pfarrheim Wiesau?

Bernhard Neumann: Aus verschiedenen Gründen wird es im Herbst kein Bühnenstück geben. Aber wir planen einen „Bunten Abend“ im Sommer 2022. An diesem Abend wollen wir Sketch-Klassiker, die man aus den vergangenen 50 Jahren Fernsehgeschichte kennt, auf die Bühne bringen. Als Location wollen wir diesmal aus dem Pfarrzentrum ausbrechen und uns einen besonderen Ort suchen. Vielleicht wird es ein lauer Sommerabend auf einer Picknickdecke in einer Wiese, mit verführerischen Cocktails, herrlich duftenden Sachen vom Grill und einem Orgasmus für die Lachmuskeln? Aber auch für ein Bühnenstück gibt es große Hoffnungen. Wir planen für Anfang 2023 ein neues Stück. Es muss noch einiges organisiert und abgesprochen werden. Aber ich denke, dass wir bis Ostern auch hier genaue Termine veröffentlichen können. Was ich aber schon sagen kann: Wenn wir wieder auf der Bühne stehen, dann werden wir die Bühne rocken. Es wird ein fetziger, beschwingter, rockiger Abend werden, bei dem die Gefahr von Lachmuskelkater besteht. Und auch hier der Aufruf für beide Projekte: Sei dabei und probiere dein schauspielerisches Talent aus.

ONETZ: Voraussichtlich soll die Tirschenreuther Passion nach dem Aus wegen Corona in diesem Herbst 2022 aufgeführt werden. Sie spielen den Judas. Gibt es bereits Vorbereitungen? Sie müssen sich sicherlich in die Rolle wieder komplett neu einarbeiten. Judas soll laut Drehbuch der „Neuen Passion Tirschenreuth“ eine tragende Rolle spielen, sozusagen den Schmerz der Welt verkörpern.

Bernhard Neumann: Die Bilder der Absage 2020 habe ich noch immer im Kopf. Selten habe ich so viele traurige, enttäuschte und niedergeschlagene Menschen gesehen. Aber, und das war das Schöne in diesem traurigen Moment, jede und jeder hat gesagt: Wir geben nicht auf, wir werden die „Neue Tirschenreuther Passion“ spielen. Die Figur des Judas hat mich von Anfang an fasziniert und in ihren Bann gezogen. Und sie hat mich bis heute nicht losgelassen. In den vergangenen zwei Jahren habe ich mich sehr intensiv mit dem Menschen Judas auseinandergesetzt, viel recherchiert, viel gelesen, viele Gedanken gemacht. Ich glaube, dass mein Judas im Herbst 2022 ein anderer als der Judas im März 2020 ist. Wobei anders vielleicht das falsche Wort ist. Es wird ein Judasspiel sein, das gereift, weiterentwickelt, überarbeitet, intensiviert ist, das klarer ist. Wenn im Oktober die Passion gespielt wird, dann hat mich die Figur des Judas von der Rollenverteilung 2019 bis zur Premiere 2022 über drei Jahre begleitet und war in meinem Kopf präsent. Sie können sich sicher vorstellen, wie groß das Brennen, die Vorfreude, die Begeisterung ist. Schon der Gedanke daran löst ein großes Kribbeln aus und man spürt das Leuchten in den eigenen Augen.

ONETZ: Was wünschen Sie sich für das neue Theaterjahr 2022?

Bernhard Neumann: Normalität. Damit die kleinen und großen Theater, Laien- und Profitheater wieder ihre wichtige Aufgabe in der Gesellschaft ausüben können. Egal, ob die lustigen Schwänke und Komödien, die die Zuschauer für einen Moment aus den Sorgen des Alltags in ein Meer das Lachens mitnehmen, oder die gesellschaftskritischen Stücke, die zum Nachdenken anregen und uns den Spiegel vorhalten und somit einen wichtigen Beitrag zu einem reflektierten Handeln und Denken leisten. Vor allem wünsche ich mir, dass wir in unserer Gesellschaft wieder auf eine Ebene des Dialogs zurückfinden, dass wir lernen, andere Meinungen zu akzeptieren, dass wir kompromissbereit sind und wir ein farbenfrohes Miteinander leben.

Tirschenreuth07.10.2021
Hintergrund:

Historische Spaziergänge durch Wiesau

  • Die Ortsführung mit Theatereinlagen ist ein „Corona-Kind“ - geboren aus der Hoffnung der Theaterakteure, im Sommer draußen ein wenig Theater anbieten zu dürfen. Was mit umständlichen Proben daheim wegen der Kontaktbeschränkungen begann, war von Erfolg gekrönt.
  • Die Tour mit dem Titel „Richter, Frühmesser und Saubären – ein historischer Spaziergang durch Wiesau“ beginnt mit einem Blick auf den Teichelberg beim Friedhof und endet bei der Gaststätte "Stefflwirt" am Kirchplatz.
  • Dazwischen liegen 90 Minuten und 14 Stationen, gespickt mit Erzählungen, Anekdoten, Wissenswertem, Neuem und Sagenhaftem – mal gesprochen, mal als Theaterszene gespielt.
  • Die Nachfrage war enorm. Es gab im vergangenen Jahr 16 Aufführungen.
 
 

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