Zeitreise in ein früheres Leben im Waldnaabtal-Museum

Windischeschenbach
08.07.2021 - 16:06 Uhr
OnetzPlus

Gustl wird vor 150 Jahren geboren, zu Hause, wie es damals üblich war. Er wächst heran, lernt ein Handwerk, heiratet, gründet eine Familie. Im Waldnaabtal-Museum in der Burg Neuhaus kann man ein ganzes Leben wie seines nacherleben.

Es ist die unerhörte Vielfalt des Museums in der Burg Neuhaus, die Reinhard Heine jedes Mal wieder begeistert, wenn er Besucher durch die Räume führt. Räume, die er lange schon in- und auswendig kennt. Denn dieses Museum bildet sozusagen das Leben nach, nur eben das Leben einer vergangenen Zeit.

Bleiben wir bei unserem fiktiven Gustl, zum Beispiel einem Schuhmacher gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Im Waldnaabtal-Museum könnte seine Wiege stehen, könnte das Brautkleid seiner Frau hängen, die Zoiglwirtschaft nachgebildet sein, aus der er allzu oft mit einem Rausch nach Hause gekommen ist. Dort könnte Gustls Schuhmacher-Werkstatt zu sehen sein, das Geschirr, mit dem seine Frau täglich hantiert hat. Es sind nicht die Sachen eines erfundenen Schuhmachers namens Gustl, aber all diese Dinge sind im Waldnaabtal-Museum zu sehen.

Und das ist nur einer von vielen möglichen Lebensläufen, die der Besucher in diesem Museum beinahe mit Händen greifbar erleben kann. Tatsächlich sollte der Besucher mit den Händen möglichst nichts greifen, denn inzwischen ist auch im Waldnaabtal-Museum fast alles entweder hinter Glas gesichert oder an die Wand geheftet, da Besucher zunehmend übergriffig geworden sind und allzu vieles in großen Taschen verschwunden ist.

Reinhard Heine führt seit drei Jahren durch das Anfang der 1980er Jahre gegründete und vom Oberpfälzer Waldverein (OWV) betreute Museum. Er hatte ursprünglich nur gemeinsam mit seiner Frau, einem Hilferuf des OWV folgend, auf- und zusperren wollen. Das Ehepaar Heine saß dann einige Jahre immer wieder auch aushilfsweise an der Kasse, bis Reinhard Heine von einem älteren OWV-Mitglied angesprochen wurde, die Führungen zu übernehmen.

Museumsleiterin ist zwar offiziell Gisela Kick-Schaffer, aber Heine, inzwischen auch Vorsitzender des OWV-Zweigvereins Windischeschenbach-Neuhaus, führt die Besucher durch das Museum. Das Wissen über die Ausstellungsstücke hat er sich nach und nach angeeignet, aber er hat für Notfälle immer noch einen Spickzettel in der Tasche. Denn es sind über 4000 Exponate auf nicht ganz 500 Quadratmetern. Die Ausstellungsstücke stammen alle aus der Region und sind ausschließlich Spenden oder Leihgaben, denn das Museum kauft grundsätzlich nichts an. Angebote gebe es immer wieder, sagt Heine, auch durchaus sehr attraktive, aber bezahlt wird nichts. Und doch, sagt Heine, kann das Museum nicht alles annehmen, was ihm angeboten wird. Und sei es noch so schön. Ein ganzes Jagdzimmer zum Beispiel habe der OWV ablehnen müssen - aus Platzmangel. Schon jetzt seien Teile des Museums eingelagert. „Ein Dachboden und zwei Scheunen sind voll“, sagt Heine.

Wenn Reinhard Heine durch das Museum führt, tut er das nicht mit der bisweilen nachlässigen Routine desjenigen, der schon hundertmal dasselbe erzählt hat. Es mag mit seinem Beruf als Fahrlehrer zusammenhängen, dass er sich hütet, in eine gefährliche Routine zu geraten. Eher jedoch scheint hier ein Mann seine Berufung gefunden zu haben. Reinhard Heine hat offenkundig Respekt vor all den Dingen, die die Burg Neuhaus unter ihrem Dach versammelt. Er bringt ihnen Ehrerbietung entgegen, und diese Haltung überträgt sich auf den Besucher.

Hat Heine ein Lieblingsexponat? Man mag fast nicht danach fragen. Aber es gibt eines. Es ist eine alte Milchzentrifuge, mit der früher Rahm und Milch getrennt wurden. Die handbetriebene Maschine im oberen Stock erinnert den Museumsführer an seine Kindheit. Bei seinen Großeltern, die wie so viele eine kleine Landwirtschaft als Selbstversorger betrieben, durfte er als Bub diese Zentrifuge bedienen. Immer, wenn die Oma nicht hinsah, strupfte der kleine Reinhard schnell einen Finger voll Rahm. Heute kann er sich kaum mehr erklären, wie er als Bub das Gerät überhaupt bedienen konnte.

Die Serie als Karte

Noch einmal zurück zum fiktiven Schuhmacher Gustl: Im Waldnaabtal-Museum lässt sich nicht nur ein ganzes Leben eines Schuhmachers vor hundert Jahren nachvollziehen - Gustl könnte auch Schmied, Porzellanmaler, Bürgermeister oder Flüchtling aus Schlesien gewesen sein. Man versteht mit jedem weiteren Zimmer, durch das man mit Reinhard Heine geht, mehr, warum dieses Museum sich einer Klassifizierung entzieht. Das Waldnaabtal-Museum bildet das Leben vor Jahrzehnten ab. Ein Leben, zu dem aber nicht nur die detaillierte Darstellung der damaligen Handwerksberufe gehört, sondern auch die des gesellschaftlichen Lebens, des Feierabend-Seidls in der Zoigl-Wirtschaft oder des herrschaftlichen Zimmers der Bürgermeister von Neuhaus.

BildergalerieOnetzPlus
Vilseck01.07.2021
BildergalerieOnetzPlus
Plößberg25.06.2021
BildergalerieOnetzPlus
Steinberg am See20.06.2021
Info:

Das Waldnaabtal-Museum in der Burg Neuhaus

  • Die noch weitgehend erhaltene Burganlage von Neuhaus ist heute im Besitz der Stadt Windischeschenbach und wird größtenteils als Heimatmuseum (mit jährlich wechselnden Sonderausstellungen betreut durch den Oberpfälzer Waldverein, Zweigverein Windischeschenbach-Neuhaus) genutzt.
  • Die auf steilem Fels über dem Tal der Waldnaab thronende Burg wurde um 1300 von Landgraf Ulrich von Leuchtenberg als Jagdschloss erbaut.
  • Öffnungszeiten jeden Sonntag und Feiertag von 14 bis 18 Uhr und neu: jeden 3. Samstag im Monat von 19 - 23 Uhr
  • Eintrittspreise: Erwachsene 3 Euro, Kinder bis 14 Jahre, Rentner und Studenten 2 Euro ; Kinder unter 14 Jahre frei
  • Anfahrt/Parkmöglichkeiten: Anfahrt über Windischeschenbach; einige Parklätze direkt vor dem Museum sowie ausgeschilderter Parkplatz unterhalb der Burg Neuhaus
  • Keine Barrierefreiheit
  • Führungen sind auch außerhalb der Öffnungszeiten nach Voranmeldung möglich.
  • Kontakt: Tourismusbüro der Stadt Windischeschenbach, Tel. (09681) 401 240, Mail: tourismus[at]windischeschenbach[dot]de
  • Ausflugstipps in der Region: Geozentrum an der Kontinentalen Tiefenbohrung mit dem „tiefsten zugänglichen Bohrloch der Welt“ (www.geozentrum-ktb.de); Wanderung auf dem Goldsteig im Waldnaabtal
  • Gleich nebenan im restaurierten Zehenthof der Burg, dem Schafferhof, ist eine für den Ort und vor allem den Ortsteil Neuhaus typische Zoiglwirtschaft zu finden, in der auch regelmäßig musikalisch-kulturelle Events stattfinden.
 
 

Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Zum Fortsetzen bitte

Um diesen Artikel zu lesen benötigen sein ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.