Grüner Wasserstoff: Siemens steht zu Wunsiedel

Wunsiedel
19.01.2023 - 15:42 Uhr
OnetzPlus

Der bei der Siemens AG für die erneuerbaren Energien Verantwortliche Andreas Schmuderer hofft auf eine baldige Weiterentwicklung der Strompreisbremse. Wunsiedel bleibe für den Konzern weltweit das Vorbild in Sachen erneuerbare Energien.

Eine Zwölf-Modul-Anlage zur Wasserstoffproduktion steht in Wunsiedel.

Von Matthias Bäumler

Die Strompreisbremse ist beschlossen, wie beurteilen Sie das Gesetz?

Andreas Schmuderer: Dass eine Entlastung der Bürger und Unternehmen notwendig ist, steht außer Frage, betreffen die Energiekosten doch uns alle. Wenn die Energiepreise für 80 Prozent des Bedarfs des Vorjahres gedeckelt sind, hilft das vielen Menschen und Unternehmen. Allerdings ist die Strompreisbremse nicht unbedingt der Beschleuniger für den weiteren Ausbau von Wasserstofferzeugungsanlagen.

Weshalb Siemens die Produktion von Wasserstoff in Deutschland jetzt kritischer sieht?

Die Strompreisbremse hat keinen Einfluss auf unsere Meinung und unsere Motivation. Natürlich setzen wir weiterhin auf Wasserstoff. Aber: Die Situation ist herausfordernder geworden. Das Geschäft ist mit der aktuellen Gesetzeslage härter geworden. Wir bleiben aber an dem Thema dran und verfolgen weiterhin die Wasserstoffprojekte, an denen wir schon arbeiten. Es gibt einige – unter anderem in Bayern – ein paar davon sind so groß wie jene in Wunsiedel mit 8,7 Megawatt, viele andere sind kleiner.

Das heißt, bislang sind wegen der gesetzlichen Regelungen noch keine Kunden abgesprungen?

Noch habe ich keine Informationen darüber, dass Kunden zurückrudern und sagen, wir legen unser Projekt auf Eis. Das liegt daran, dass diese Projekte überwiegend 2024 und damit nach der Strompreisbremse ans Netz gehen. Projekte wie in Wunsiedel sind in einer anderen Situation und wesentlich stärker betroffen. Daher können wir die Erweiterung in Wunsiedel derzeit nicht mit gleicher Intensität voranbringen. Da ist jetzt erst einmal Pause. Wobei dies nicht heißt, dass das Projekt für uns nicht mehr interessant wäre, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern.

Warum stoppt Siemens Wunsiedel?

Wir müssen zunächst einmal sehen, wie sich die Situation in den nächsten Monaten weiterentwickelt.

Das heißt, es ist durchaus realistisch, dass die zweite Elektrolyse-Anlage in Wunsiedel noch gebaut wird?

Natürlich, wenn auch nicht so schnell wie in unseren Plänen vorgesehen. Wie Sie wissen, befanden wir uns bereits zur Eröffnung der ersten Anlage Mitte September in Gesprächen über die Erweiterung. Die sind jetzt erst einmal auf Eis gelegt. Die Anlagen benötigen sehr viel erneuerbare Energie – und die muss ja irgendwo herkommen. Solange auf dem Strommarkt mit dem Thema Übergewinnabgabe Unsicherheit herrscht, geht es nicht weiter. Ich persönlich bin aber davon überzeugt, dass die Projekte schnell wieder gestartet werden, wenn das Gesetz ausläuft oder die Thematik geregelt ist.

Also noch einmal: Der Knackpunkt, warum es am Bau weiterer Elektrolysen hakt, ist die Strompreisbremse.

Richtig. Die Strompreisbremse entlastet zwar alle, muss jedoch auch finanziert werden. Zum Prozedere: Der Energiepreis an der Börse richtet sich immer nach dem teuersten Kraftwerk in der Erzeugung. Um die Übergewinne zur Finanzierung abzuschöpfen, wird allerdings auch der direkte Handel zwischen Erzeuger und Verbraucher herangezogen, die PPAs, also Power Purchase Agreements. Das kann bei diesen speziellen Stromlieferverträgen dazu führen, dass der Erzeuger mehr Geld als „Übergewinn“ abführen muss, als er für die produzierte Energie einnimmt. In dieser durchaus realistischen Konstellation wird natürlich niemand investieren.

So dass sich zum Beispiel auch Projekte wie die geplante Großflächen-Photovoltaikanlage bei Holenbrunn nicht mehr rechnen?

Das ist möglich. Angenommen, Sie schließen als Energieerzeuger mit einem Abnehmer einen Vertrag ab und verlangen 130 Euro für die Megawattstunde Strom, also 13 Cent für die Kilowattstunde. Wegen des Prinzips, dass sich der Börsen-Energiepreis am teuersten einspeisenden Kraftwerk orientiert, kann es sein, dass in der gleichen Zeit der Marktpreis 300 Euro pro Megawattstunde beträgt. Auf den Marktpreis kommt noch ein Sicherheitszuschlag in Höhe von sechs Prozent.

Was letztlich bedeutet?

Dass Sie als Erzeuger 137 Euro pro Megawattstunde abführen müssten, aber lediglich 130 Euro dafür erhielten.

Dieses Rechenmodell dürfte mittlerweile auch in der Politik bekannt sein.

Wir wissen, dass dies auf den unterschiedlichen politischen Ebenen diskutiert wird. Gerade Wunsiedel ist hier sehr aktiv, was wir zu schätzen wissen. Jetzt hoffen wir, dass dies die Regierung aufnimmt und sich Gedanken macht, wie man damit umgeht. Auf der einen Seite wollen wir dezentrale, grüne Wasserstofferzeugung bauen, stehen uns aber selbst im Weg. Keine Diskussion darüber gibt es jedoch, dass wir den Wandel brauchen, was nur mit Hilfe des grünen Wasserstoffs möglich ist. Daher glaube ich, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis man die nächsten Schritte einleitet und die Regelungen anpasst.

Was, wenn die kommenden zwei Jahre – so lange ist das Gesetz wirksam – nichts geschieht?

Was uns passieren könnte – ich rede jetzt bewusst im Konjunktiv – ist, dass die Investoren auf die Bremse steigen. Dies wäre der Fall, wenn die Ungewissheit so groß ist, dass niemand weiß, welche bilanziellen Auswirkungen es hat, wenn man so eine Anlage bauen würde. Man muss wissen, dass besagte Anlagen wie ein Kraftwerk zu werten sind. Darin stecken viel Know-how und viel Geld, so dass ein Bau von der Risikobeurteilung her überblickbar sein muss.

Angenommen, das Gesetz bleibt zwei Jahre in der jetzigen Form in Kraft, was bedeutet das für die Siemens AG?

Wir werden jetzt nicht 24 Monate warten und beobachten, wie sich der Markt verhält. Natürlich bleiben wir an unseren Kunden dran und versuchen Alternativen zu entwickeln. Interessant ist – unabhängig von Siemens – wie bereit der Markt jetzt noch ist, in die Elektrolyse-Technologie zu investieren. Wir als Know-how- und Technologielieferant stehen bereit.

Welche Dimensionen sind in der Wasserstoffproduktion denkbar?

Die Siemens Energy plant im Ausland wesentlich größere Anlagen als in Wunsiedel, sogenannte Gigafabriken. In Wunsiedel stehen zwölf Module in drei Reihen – wir bezeichnen dies als halbes Feld. Wer das System komplett kauft, hat 24 Module. Es können aber auch viele derartige Module nebeneinander gestellt werden, also acht, zehn oder wie viele auch immer.

Wo sind derartige Anlagen sinnvoll?

Etwa in der Nähe von Offshore-Windparks, wo man mit ganz anderen Energiemengen planen kann.

Rentieren sich dann überhaupt im Binnenland, wie im Fichtelgebirge, Elektrolyse-Anlagen?

Ich würde niemals sagen, das eine ersetzt das andere, es handelt sich um sich ergänzende Systeme. Man muss immer im Auge behalten, wo benötige ich wie viel Wasserstoff in welcher Zeit. Wir können mit der Anlage in Wunsiedel pro Stunde 165 Kilogramm Wasserstoff produzieren. Das heißt, wir könnten pro Tag vier Tonnen herstellen, was wir aber gar nicht wollen, weil es sich hier um eine netzdienliche Anlage handelt, die immer dann Wasserstoff produziert, wenn Überschussenergie vorhanden ist.

Wasserstoff lässt sich auch speichern. Wie interessant ist diese Eigenschaft?

Sehr interessant sogar, haben wir doch mit dem Gas auch einen Langfrist-Energiespeicher. Was ich im Sommer produziere, kann ich im Herbst und Winter rückverstromen. Dass dies von der Kostenseite her aktuell noch nicht perfekt ist, das ist uns klar. Aber man muss sich heute schon damit beschäftigen und beginnen. Genau dies macht Wunsiedel als Pionier vor.

Hintergrund:

Herstellung von grünem Wasserstoff

  • Wasserstoff lässt sich durch das Spalten von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gewinnen.
  • Passiert das mit Hilfe von elektrischem Strom, spricht man von Elektrolyse.
  • Wenn der Strom für die Elektrolyse mit erneuerbaren Energien – etwa Wind oder Sonne – erzeugt wird, ist der so produzierte Wasserstoff ebenfalls „grün“, weil bei der Gewinnung kein Kohlendioxid entsteht.
  • Von "grauem" Wasserstoff ist die Rede, wenn der Strom mit fossilen Energien wie beispielsweise Erdgas erzeugt wird. Es entsteht dabei Kohlendioxid, was aus Gründen des Klimaschutzes vermieden werden soll.
 
 

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