Die Stiftland-Adler heben (nur) dieses Mal nicht ab

Münchsgrün bei Leonberg
11.06.2021 - 17:12 Uhr
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Sie haben die halbe (Fußball)-Welt gesehen. Jetzt, da die Fußball-EM vor der eigenen Haustür stattfindet, bleibt sie auch wegen Corona zu. André Heindl und Stefan Sailer vom Fanclub Stiftland-Adler kritisieren zudem den DFB.

Schafe hinterm Tor grasten damals keine, das soll es aber auch schon gegeben haben. "Das war wie ein Bolzplatz bei uns", erinnert sich André Heindl. "Auf der einen Seite eine kleine Tribüne wie in Weiden, ansonsten außen rum alles frei." Mittendrin waren Heindl (46) und sein Kumpel Stefan Sailer (44). Der kramt auch im Gedächtnis: "Das war echt cool. Die Faröer waren mit unser exotischstes Ziel." Und sie hatten bisher schon viele Ziele. Die beiden Fußballfans ließen jahrelang nichts aus, wenn die deutsche Nationalmannschaft auf Reisen ging. Im September 2013 waren die beiden Stiftländer für ein paar Tage hoch oben auf der Insel im rauen Atlantik. Sie sahen einen 3:0-Erfolg der deutschen Millionärskicker gegen die Amateure von den Faröer-Inseln und sammelten noch viel mehr Eindrücke vom Leben auf diesem besonderen Fleckchen Erde.

Die EM-Tickets zurückgegeben

"Ob Kasachstan, Aserbaidschan oder eben die Faröer, wir waren immer vor Ort", sagt Heindl, der mit seiner Familie in Münchsgrün (Landkreis Tirschenreuth) wohnt. Hardcore-Fußballfans sind er und Sailer, der aus Plößberg stammt, noch immer. Anfang der 2000er Jahre haben sie mit etlichen Gleichgesinnten gar einen Fanclub der Nationalelf, die Stiftland-Adler, gegründet. Aber, da jetzt quasi mit Spielen in München eine Europameisterschaft vor der Haustür beginnt, sagt Fanclub-Vorsitzender Heindl: "Ich habe meine Karten zurückgegeben." Natürlich hatte er Tickets für die Spiele der DFB-Elf gegen Frankreich, Portugal und Ungarn in der Allianz-Arena bekommen. Aber es dürfen ja überhaupt nur 14 000 Zuschauer rein - coronabedingt. Da ist ihm nicht nach einem Stadionbesuch. Sailer hatte auch Tickets für München. Und für das Achtelfinale in Bukarest. Und - jetzt kommts - Karten fürs Halbfinale und Finale in Wembley. Und jetzt kommts noch dicker: "Ich habe sie alle zurückgegeben." In Coronazeiten sei ihm das zu heikel, es sei nichts sicher, vielleicht müsse er nach drei, vier Tagen in London anschließend in Quarantäne. "Das hat für mich wenig Sinn."

Rein in den Campingbus

Ja, und auch die Begeisterung für die schwarz-rot-goldenen Kicker hat etwas nachgelassen. "Ja, es ist nicht mehr so intensiv wie früher", meint Heindl. Hinzu kommt eine Europameisterschaft, die in aller Herren Länder ausgetragen wird. Es gibt keine feste Anlaufstation. Für die beiden ist Fußball auch, etwas Neues zu entdecken, ein Land zu bereisen. "Mit wildfremden Leuten aus allen Ecken der Welt ein Bier zu trinken." So wie das 1998 war. Da gab es die Stiftland-Adler noch nicht offiziell, aber die Idee eines DFB-Fanclubs geisterte schon herum. "Wir sind eine Woche zur WM nach Frankreich. Einfach rein in den Campingbus und rüber nach Paris." Heindl erinnert sich genau. "Im Prinzenpark wollten wir das deutsche Spiel gegen die USA anschauen. Die Tickets waren aber zu teuer." So sogen die beiden Nordoberpfälzer die Turnieratmosphäre, die sie nicht mehr losließ, außerhalb der Stadien auf.

Nach Japan und Südkorea 2002 wären sie wohl auch geflogen, wenn sich was Passendes ergeben hätte. Nur wenige Wochen nach dem Turnier in Asien gründeten ein paar Stiftländer Fans offiziell den ersten Fanclub der Nationalmannschaft. 17 Mitglieder zählt er heute noch. Der vom DFB selbst initiierte Fanclub Nationalmannschaft wurde erst später gegründet. Auch da übernahm Heindl für die Fans in Nord- und Ostbayern die Koordination. Vor drei Jahren hörte er etwas gefrustet auf. "Man bringt neue Ideen ein, aber man merkt, man kommt keinen Schritt weiter." Jetzt kümmert sich Sebastian Kress aus Windischeschenbach um die DFB-Fans aus der Region, wenn sie Fragen haben.

Im Stiftland-Gymnasium

2004 war noch alles unkomplizierter. Die EM in Portugal war eigentlich das erste richtige Turnier von Heindl und Sailer, den beiden Freunden, die sich seit ihrer Schulzeit am Stiftland-Gymnasium kennen. „Da waren wir dann auch im Stadion“, sagt Heindl grinsend. Sailer rechnet kurz nach und kommt zu dem Ergebnis: „Ich denke, ich habe seit 2004 die Hälfte aller deutschen Turnierspiele live vor Ort erlebt.“ Die Heim-WM zwei Jahre später war auch ein Fest für die Fans und die beiden Stiftländer, wie Sailer anmerkt. „In der Vorrunde sind wir im Wohnmobil durch Deutschland, waren in 13 Städten.“ Zu den Spielen reisten sie immer in die entsprechenden Stadien.

„Brasilien war die Krönung“

Aber nichts war zu toppen durch die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Die beiden Freunde ahnten schon, dass da etwas Richtung Finale gehen könnte. Gemeinsam schauten sie noch in Kirchenlamitz (Landkreis Wunsiedel), wo Sailer mit seiner Familie wohnt, das legendäre Halbfinale gegen Brasilien, das die Deutschen mit 7:1 gewannen. „Nach dem 4:0 haben wir fürs Finale gebucht“, sagt Heindl. Nach dem zweiten Tor von Toni Kroos nach knapp einer halben Stunde waren sich die beiden sicher, dass nichts mehr anbrennt.

Heindl hatte schon in weiser Voraussicht zwei Finaltickets reserviert, jetzt wurden noch die Flüge klargemacht. Für ein paar Tage ging es nach Südamerika. „Brasilien war die Krönung“, schwärmt Sailer heute noch. „Rio, die Urgewalt von Maracana und der WM-Titel.“ Den feierten die beiden noch an der Copacabana. „Nach dem Titel ging es etwas abwärts“, meint Heindl. Auf allen Ebenen. Sportlich bei der Nationalelf, emotional bei vielen Fans. Das sportliche Desaster von 2018 war da irgendwie erwartbar. Für die Oberpfälzer Anhänger war das Land aber noch einmal ein Erlebnis. „Wir haben mit ein paar Fans in der Datscha eines Bekannten in Moskau übernachtet“, sagt Heindl: „Russland war geil, ein nettes Volk, alles gut organisiert.“ Mit dem Zug und dem Flugzeug starteten die beiden zu den Spielen der deutschen Elf im größten Land der Erde. „St. Petersburg hätten wir gerne noch mitgenommen.“ Das blamable Vorrunden-Aus der Löw-Elf nach der Vorrunde sorgte aber für einen verfrühten Abflug.

Verständnis der Ehefrauen

Da waren sie wieder früher zu Hause bei Frau und Kindern. Knatsch, weil die Papas mal wieder den DFB-Lieblingen hinterherfliegen, gibts mit den Liebsten daheim nicht. „Unsere Frauen verstehen uns“, sagt Heindl augenzwinkernd. Sie würden ihnen das gönnen.

Der Münchsgrüner, der als Beamter bei der Stadt Windischeschenbach arbeitet, erklärt auch, dass in manchen Jahren schon der halbe Urlaub für Länderspielreisen draufgegangen sei. Und natürlich auch einiges an Geld. Wie viel, das kann Heindl nicht beziffern. Aber es sei ja bei allen Fans so, dass manche mit wenig Geld an die entferntesten Ziele kämen. Eine Nacht am Bahnhof oder stundenlang in Flixbussen unterwegs, das müsse aber nicht mehr sein. „Ich brauche jetzt schon ein ordentliches Bett und eine Dusche am Morgen“, sagt der 46-Jährige lachend. Seine Eintrittskarten aus aller Welt sammelt er nicht. „Ich nehme nur immer Magneten für den Kühlschrank mit.“ Und natürlich sei der Kleiderschrank voller Nationalelf- und Gladbach-Trikots. Heindl ist glühender Anhänger der „Fohlen“. „Da kann man ihm nicht mehr helfen“, stichelt Sailer. Der Geschäftsführer der Werbevermarktung „Frankenpost/Nordbayerischer Kurier“ hält es schon immer mit dem FC Bayern.

Keine Bratwurstsemmel mehr

Auch bei den Münchenern knirschte es zuletzt. Aber das ist noch lange nichts gegen Frankfurt, wo der Deutsche Fußball-Bund ansässig ist. Drunter und drüber ging es an der Otto-Fleck-Schneise.Die Entwicklung im größten Sportverband der Welt sehen die Fans mit Sorge, vielleicht ist das auch ein Grund, warum die in ihrem Fan-Dasein derzeit ein bisschen durchhängen. „Die Entwicklung ist nicht gut“, sagt Heindl und Sailer ergänzt: „Da gibt es derzeit alles andere als einen Hype.“ Auch die Entfremdung des Fußballs von den Fans macht ihnen Sorge. Das Getue um „die Mannschaft“ nerve. Für ein Alarmzeichen halten sie ohnehin, dass Länderspiele nicht mehr ausverkauft seien. Dieses ganze Versnobte, Abgehobene – Heindl drückt es vielleicht am einfachsten aus: „Bei den Länderspielen kriegst ja alles Mögliche, aber keine Bratwurstsemmel mehr.“

Die beiden machen sich ihre Gedanken, die beiden schmieden aber auch schon wieder Pläne. Melbourne statt München? „Die Arena kenne ich doch in- und auswendig“, sagt Sailer. Heindl hielte eine WM in „Down Under“ für ein absolut erstrebenswertes Reiseziel. Aber erst einmal kommt ja die Corona-EM.

Nach Katar und zur Heim-EM 2024

„Das Kribbeln kommt schon wieder vor dem Event“, kennt sich Heindl ganz gut. „Wir schauen die Spiele bei mir in der Kellerbar“, lädt Sailer ihn ein, und dann freue man sich schon auf Katar und die richtige Heim-EM 2024. Da wollen sie hin. Kurz geht sein Blick aber doch noch zurück: „Ich hätte echt niemals geglaubt, dass ich mal Tickets zurückgebe.“

Weiden in der Oberpfalz20.11.2019

Die Stiftland-Adler bei der WM in Brasilien

"Ob Kasachstan, Aserbaidschan oder eben die Faröer, wir waren immer vor Ort."

André Heindl

„Ich hätte echt niemals geglaubt, dass ich mal Tickets zurückgebe.“

Stefan Sailer

Hintergrund:

Fanclub Stiftland-Adler

  • 12. Oktober 2002: Gründung des 1. DFB-Fanclubs "Stiftland-Adler" im Reiterhof Heindl in Münchsgrün (Landkreis Tirschenreuth). 13 Gründungsmitglieder.
  • Erstes Wahlergebnis: Vorsitzender André Heindl; Stellvertreter Martin Kreuzer; Kassier Matthias Eckmeyer; Schriftführer Peter Fröhlich: Pressebeauftragter: Stefan Sailer
  • 10. März: "Stiftland-Adler" werden vom Amtsgericht Tirschenreuth als eingetragener Verein "e.V." anerkannt
  • Ende März 2003: erste Fanfahrt zum Länderspiel Deutschland gegen Litauen nach Nürnberg
  • Mitglieder der Stiftland-Adler haben für Fußballspiele 30 bis 35 Länder bereist.
 
 

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