Julian Seiferth fühlt sich wohl zwischen den Fronten. "Im Auge des Orkans", wie er selbst sagt. "Aus irgendeinem Grund habe ich das Bedürfnis, zwischen zwei Seiten zu stehen, die sich in schlechtem Deutsch anschreien", sagt der 27-Jährige. Deswegen sei er Redakteur geworden – und Schiedsrichter.
Freilich wird er nicht nur angeschrien. "Oft ist es entspannt", sagt Seiferth im Amateurfußball-Podcast "Fehlpass" von Oberpfalz-Medien. Aber manchmal sei es auch ein bisschen stressig. Vor kurzem erst musste er sich "echt ein wenig aufregen". Der Grund: Eltern. Es sei ein entspanntes Spiel gewesen, bis zur Nachspielzeit. "Dann holzt einer einen um", sagt der Schiedsrichter. Das erste böse Foul im Spiel. "Und auf einmal steht der Vater daneben und schreit rein und hört überhaupt nicht mehr auf."
Was Seiferth dabei denkt? Die kurze Variante: "Halt's Maul", sagt er. Die lange: "Ich bin der Einzige auf dem Platz, der bezahlt wird, in den Kreisen, in denen ich pfeife." Und was er entscheidet, das gelte dann halt auch. Aber er müsse in solchen Situationen auch ein wenig entspannt bleiben. "Ich denke mir schon: Geh mir nicht auf den Sack. Ich mach mein Hobby, die Jungs machen ihr Hobby, dann bleib halt du auch locker."
Leichter gesagt, als getan – vor allem für so manche Zuschauer. Seiferth erinnert sich an ein Spiel, das kurz vor dem Abbruch stand. Und das er im Nachhinein gerne abgebrochen hätte. "Das bereue ich fast", sagt er im Podcast. Es war – mal wieder – ein Jugendspiel. Eine Gruppe von Eltern habe die ganze Zeit gepöbelt, "nahe an der Schmerzgrenze", wie Seiferth erzählt. "Die haben die Kids aufs Heftigste beleidigt." Die Spieler hätten sich dann nach Abpfiff in Reihe bei ihm entschuldigt – fürs Verhalten ihrer Eltern.
Julian Seiferth war elf, als er mit dem Pfeifen begann. Er spielte auch Fußball - aber eher ohne Talent, wie er selbst zugibt. "Ich mochte auf dem Platz stehen", sagt der heute 26-Jährige. Also Schiri. Und da habe er festgestellt, dass es ihm taugt, das Pfeifen. Das sei dann aber nicht immer so gewesen.
Nach ein paar Jahren im Einsatz hat er zwischendurch wieder aufgehört. Es war sein erstes Spiel als Assistent im Herrenbereich, erzählt der Oberfranke, der seit einem Jahr in der Oberpfalz wohnt und seitdem dort bis zur Kreisklasse pfeift. Damals aber, in Coburg, als 14- oder 15-Jähriger, sei er zwei Stunden nur beleidigt worden. "Da habe ich es dann für ein Jahr gelassen", sagt Seiferth. Als Jugendlicher hatte er noch nicht das dicke Fell, das er jetzt hat. "Jetzt habe ich so viel Spaß wie noch nie."
Aber klar, wenn junge Fußballer sehen, was sich der Schiri auf dem Platz alles anhören muss - dann müsse man sich schon fragen, warum ein Elfjähriger Schiri werden will.
Das ist ja das große Problem im deutschen Amateurfußball: Es fehlt der Schiedsrichter-Nachwuchs. In manchen Spielen werden gar keine Unparteiische mehr gestellt, weil es eben nicht genügend gibt. Muss dann eben ein Trainer oder Betreuer pfeifen. In Bayern waren es laut "Lagebericht Amateurfußball" 2010 noch mehr als 16.000 Schiedsrichter. Zehn Jahre später waren es nicht ein mal mehr 9000. Tendenz sinkend.
"Bei uns im Raum wird echt noch viel besetzt", sagt Seiferth, der als Redakteur bei Oberpfalz-Medien arbeitet. Das gelinge aber auch nur, weil manche Schiris mehrere Spiele an einen Tag pfeifen. "Das ist auch keine ungefährlich Situation, aber auch nicht so schlimm, wie man sagt." In seiner Schiedsrichtergruppe Amberg gebe es viele junge Talente, "die sind so gut", meint er. Aber: "Es wird immer schwieriger Talentförderung zu machen, wenn du als Einteiler primär damit beschäftigt bist, Löcher zu stopfen." Das sei ein bisschen schade.
Der "Job", so nennt Seiferth sein Hobby, sei ja auch cool. Was ihn daran so gefällt? "Ich will nicht angebetet werden", sagt er, aber es passiere ganz oft, dass Leute sich nach dem Spiel bedanken, ihm sagen, dass er gut gepfiffen habe. Auf dem Fußballplatz aktiv zu sein, auch wenn man mit dem Ball jetzt nicht der große Zauberer ist. In Bewegung zu sein - während des Spiels. Denn einfach nur Joggen, das sei ihm zu langweilig. Dann lieber laufen, und zwar im "Auge des Orkans".
Mehr über Schiedsrichter Julian Seiferth und über den großen Aufreger des vergangenen Wochenendes, einen ungewöhnlichen Spielabbruch, gibt es in der sechsten Folge des Podcasts "Fehlpass".
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